Neue Vision Pro von Apple - „Wir sind schon alle Cyborgs“

Zum ersten Mal seit neun Jahren hat Apple eine neue Produktkategorie vorgestellt: die „Mixed Reality“-Brille Vision Pro. Im Cicero-Interview spricht der VR-Künstler Dennis Rudolph über die Neuheiten des Geräts und die Rolle virtueller Elemente in seiner Arbeit.

Apple-Chef Tim Cook stellt die neue VR-Brille Vision Pro vor / dpa
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Dennis Rudolph ist ein Maler und Konzeptkünstler. Seine Arbeiten, die Ölmalerei und Elemente virtueller Realität kombinieren, waren unter anderem auf der Karachi Biennale 22 und im Zeiss Planetarium in Jena zu sehen.

Herr Rudolph, Sie nutzen Elemente von virtueller Realität in Ihrer künstlerischen Arbeit. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich arbeite seit 2017 mit Virtual Reality oder VR. Es war das Jahr, ab dem VR-Brillen für Verbraucher im Handel erhältlich waren, und seitdem male ich in der Virtual Reality. Ich hatte damals ein Projekt in der Mojave-Wüste in Kalifornien, wo ich Rodins „Höllentor“ updaten wollte. Meine Idee war, es ans Ende der westlichen Zivilisation, eben in die Wüste, zu stellen. Es sollte auf der Schwelle zwischen zwei Realitäten stehen, also offen sein im Gegensatz zu Rodins Tor. Das Problem: Ein Ding, was auf der Stelle zwischen zwei Realitäten steht, gehört zu beiden Realitäten, muss also irgendwie anwesend und abwesend zugleich sein. Jahrelang wusste ich nicht, wie ich dieses Konzept umsetzen soll, bis dann diese VR-Brillen auf den Markt kamen.

Wie haben Sie die virtuelle Realität für das Projekt genutzt?

Anstelle einer tatsächlichen Skulptur habe ich das Tor in der Virtual Reality gemalt, in einem 3D-Malprogramm, das meine Hand trackt. So konnte ich meine künstlerische Geste in die VR übertragen. Ich habe das fertige Gemälde dann mit einer GPS-basierten Augmented-Reality-App an den Ort in der Wüste gesetzt, an dem ich es haben wollte.

Augmented Reality oder AR – das bedeutet so viel wie „erweiterte Realität“. Im Unterschied zur VR, die eine rein animierte Welt darstellt, werden bei der AR nur animierte Elemente in die echte Umgebung hineinprojiziert.

Genau. Für das Rodin-Projekt war die Augmented Reality genau das Richtige, weil es ein Medium ist, das anwesend und abwesend zugleich ist. Ich sehe die Animation auf dem Bildschirm und kann nachvollziehen, wie und wo sie im Raum platziert ist – aber ohne den Bildschirm sehe ich nichts. Das hat meine komplette künstlerische Arbeit verändert und wäre heute aus ihr nicht mehr wegzudenken.

Am Montagabend hat Apple das erste Mal seit neun Jahren ein Produkt in einer neuen Kategorie vorgestellt: die Vision Pro. Das ist eine VR-Brille oder, wie Apple sie bezeichnet, eine „Mixed Reality“-Brille. Was halten Sie davon?

Der Künstler Dennis Rudolph / Foto: Cicero

Natürlich habe ich die Brille noch nicht selbst ausprobieren können, da sie wohl erst nächstes Jahr auf den Markt kommt. Aber ich denke, dass diese Entwicklung wirklich zukunftsweisend ist. Das faszinierendste an der Brille ist für mich eben dieses Medium der Mixed Reality – dass sie also die Realitäten in verschiedenen Abstufungen vermischen kann. Wenn man sie zum Beispiel zum Arbeiten nutzt, kann man die digitalen Bildschirmelemente, die man sonst auf dem Computer oder dem Smartphone sehen würde, über die Brille im Raum platzieren. Das ist quasi die AR-Funktion. Das finde ich total faszinierend. Ich denke, das könnte die Art, wie wir arbeiten, verändern, zum Beispiel wenn wir in einem Café sitzen und eben keinen Computer mehr zum Arbeiten brauchen, sondern nur noch diese Brille. Man kann aber auch in einen vollständigen VR-Modus schalten, sodass man die Umwelt komplett ausblendet und nur noch die virtuelle Realität sieht.

Was macht die Vision Pro von Apple so besonders im Vergleich zu herkömmlichen VR-Brillen?

Das Besondere an dieser Brille ist genau das – dass sie viel mehr auf das digitale Arbeiten ausgelegt ist. Die Brillen bis jetzt kommen meistens aus dem Entertainment-Bereich und werden vor allem fürs Gaming oder zum Filmeschauen genutzt. Das ganze Interface, das man schon vom iPhone oder den Computern kennt, hat Apple in 3D auf die Vision Pro übertragen. Man kann zum Beispiel das iPhone oder das Macbook mit der Brille verbinden und ganz normal darüber arbeiten. Es braucht keinen Controller, gesteuert wird das Ganze über Handbewegungen. Die Gaming-Welt ist eine Subkultur, und die Technologien aus dem Bereich bedienen daher eigentlich eine verhältnismäßig kleine Zielgruppe. Aber mit dem iPhone arbeitet jeder, deswegen könnte auch die VR-Brille von Apple in der breiten Gesellschaft Anwendung finden. Zumindest wenn sie billiger wird.

Apple will die Vision Pro für 3500 Dollar anbieten – das ist im Vergleich zu anderen VR-Brillen teuer. Trotzdem äußerte sich Apple-Chef Tim Cook optimistisch, dass sie die Zukunft des Computers sein könnte. Denken Sie, er hat recht?

Ich kann es mir auch vorstellen, obwohl ich denke, dass die Zukunft die Augmented Reality ist, nicht die Virtual Reality – dass wir also durch Brillen virtuelle Elemente in unsere Umwelt einblenden ohne den Umweg über den Computerbildschirm. Letztendlich ist die VR kein neues Medium. Das Neue ist, dass man diese zwei Welten im Alltag derart miteinander verschmelzen kann.

Allerdings hat Google schon 2014 die sogenannte Google Glass, eine AR-Brille, auf den Markt gebracht. Microsoft folgte ein Jahr darauf mit der HoloLens. Beide Produkte haben viel Aufsehen erregt, sind aber Verkaufsflops gewesen. Könnte das bei der Vision Pro auch passieren?

Die Google Glass habe ich selbst nie ausprobiert, aber ich habe mal eine Arbeit mit der HoloLens gemacht. Das Problem da war, dass man nur ein relativ kleines Sichtfenster hatte, in dem die Verschmelzung von virtueller und realer Umwelt funktionierte. Die Projektion wurde nur in einem sehr kleinen Ausschnitt angezeigt. Man hatte einfach nicht diese Immersion, die man eigentlich braucht, um sich im virtuellen Raum frei bewegen zu können. Die Illusion war so perfekt. Und teuer war die HoloLens auch. Ich meine, sie hätte auch um die 3500 Euro gekostet. Sie war aber auch nie für den breiten Markt konzipiert. Bei Apple ist das ganz anders. Die halbe Welt nutzt irgendein Apple-Produkt. Dadurch, dass man zwischen den ganzen Geräten hin und her wechseln kann, wird vielleicht auch die Vision Pro massentauglich.

Können Sie sich vorstellen, die Vision Pro für Ihre Arbeit zu nutzen?

Warum nicht? Wenn es ein 3D-Malprogramm in der Brille gibt. Die Sachen, die ich male, sind relativ komplex, und wenn die Brille das rechnerisch bewältigen kann, würde ich auch damit arbeiten. Wenn es darum geht, wie die Leute meine Kunst sehen können, wird es fürs Erste beim Smartphone bleiben, weil die Infrastruktur einfach vorhanden ist. Bislang funktioniert es so, dass man sich für die Ausstellung eine App herunterlädt, die ich programmiert habe. Die App funktioniert zusammen mit der Ausstellung und reagiert auf die Bilder: Sie lädt das digitale Pendant zu dem echten Gemälde, das steht auf dem Bildschirm dreidimensional im Raum wie eine Skulptur. Durch dieses Zusammenspiel der Augmented Reality und dem echten Gemälde soll so ein Gesamtkunstwerk entstehen. Bis jeder so eine Brille dabei hat, wird wohl noch etwas Zeit vergehen, aber das Handy hat jeder in der Hosentasche. Wir brauchen es jeden Tag. Das finde ich umso faszinierender, weil es zeigt: Wir sind auch jetzt schon alle Cyborgs.

Das Gespräch führte Lukas Koperek.

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