Neue Deutsche Medienmacher*innen - Alles Kartoffeln außer Ferda

Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen um ihre Vorsitzende Ferda Ataman verleihen ihren Anti-Preis, die „Goldene Kartoffel“, an „die“ Debatte über linke Identitätspolitik. Ein Anti-Preis für eine Debatte? Warum die Argumentation der NGO populistisch ist.

Nicht vergessen, dass die Kartoffel auch ein leckeres Knollengemüse ist / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Vertreter einer enthemmten Identitätspolitik vergeben einen Anti-Preis an „die“ Berichterstattung über Identitätspolitik. Das wäre keine Nachricht wert, wenn diese Vertreter in den vergangenen drei Jahren nicht unter anderem vom Familienministerium mit insgesamt rund 2,5 Millionen Euro gefördert worden wären. Das heißt, der Art und Weise, wie die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM) sich „für mehr Diversität in den Redaktionen und für diskriminierungskritische Berichterstattung im Einwanderungsland“ einsetzen wollen, wird mit der Finanzierung eine gewisse Legitimität im Einsatz für das demokratische Zusammenleben zugesprochen. Gerade deswegen sollte man sie an diesen Maßstäben messen und sie kritisieren, wenn sie im Widerspruch zu diesen stehen – auch, wenn sie das offenbar als bodenlose Frechheit empfinden.

Seit 2018 verleihen die NDM einen Anti-Preis, die „Goldene Kartoffel“. Falls es jemand nicht wissen sollte: „Kartoffel“ ist eine satirische Bezeichnung oder Beleidigung (da gehen die Meinungen auseinander) für Deutsche ohne Migrationshintergrund – sozusagen eine Revanche für die Nahrungsmittelbeleidigungen, mit denen etwa Türken („Kümmel“) und Italiener („Pizza“) beworfen wurden und werden. Laut der NGO geht der Anti-Preis für „besonders unterirdische Berichterstattung (…) an Medien oder Journalist*innen, die ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland zeichnen, Probleme und Konflikte stark übertreiben, Vorurteile verfestigen und gegen journalistische Standards verstoßen“.

„Lügenpresse!“

Was eine solche Verzerrung ist, legen die NDM fest, ohne diese Festlegung plausibel zu begründen. 2021 geht die Goldene Kartoffel „an die Debatte über ‚Identitätspolitik‘ in bürgerlichen Medien“, die angeblich „rechtsradikale Thesen normalisiert und salonfähig gemacht“ haben. Ein Anti-Preis für eine Debatte? Der Preis richtet sich damit nicht an einzelne Journalisten oder Medien, sondern an „so gut wie alle Medien des bürgerlichen Spektrums, von der taz bis zur FAZ, von ARD bis ntv, von Deutschlandradio bis zum gesamten Privatfunk. Das war wirklich ein Gemeinschaftswerk.“ Das klingt wie eine linke Version des rechten Raunens von „den Mainstreammedien“ oder gar der „Lügenpresse“.

Diese „bürgerlichen Medien“ hätten „schwere Geschütze“ aufgefahren, um – das nächste Pauschalurteil –  „die verlorene Ehre des alten, weißen Mannes“ zu retten. Die Pressemitteilung der NGO ist voll von den typischen Tricks, mit denen populistischen Argumentationsweisen Geltung verschafft werden soll. Zum Beispiel die Verabsolutierung der eigenen Position – in diesem Fall durch pauschalisierende Entlegitimierung des Gegners, der es wagt, diese Position zu kritisieren, wenn sie enthemmte Auswüchse annimmt. In dem Fall setzen die NDM auf ideologische Unterstellungen (rechte Denkweisen salonfähig machen, den alten, weißen Mann retten wollen et cetera). Auch beliebt: Identitätspolitik in Anführungszeichen setzen, um zu signalisieren, dass die Kritik sich gegen ein Hirngespinst richte.

Verschleierte Klassenwidersprüche

Der „Vorteil“, wenn man eine Debatte pauschal für illegitim erklärt, ist, dass man die lästige Auseinandersetzung mit Kritik und Selbstkritik umgeht. Man selbst hat die Deutungshoheit darüber, welcher Weg zu einem gerechten Zusammenleben der beste ist – und der wird folglich als richtig vorausgesetzt und Kritik daran als Denkverirrung markiert. Das wird schon an den Quellen ersichtlich, die die NDM als Beleg anführen: Darunter eine Diskussion zwischen Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Journalist Mohamed Amjahid im NDR, ein Streitgespräch zwischen Sascha Adamek und Pune Djalilehvand im RBB und ein Interview Jagoda Marinić im Deutschlandfunk Kultur. Marinić ist eine Vorkämpferin für die Anerkennung und Nicht-Diskriminierung von Migranten. Warum soll das Interview mit ihr ein Problem sein? Dass überhaupt darüber diskutiert wird, welcher Weg der richtige ist?

In diesen Debatten geht es immer wieder auch um die Frage, ob auch manch linksliberale identitätspolitische Auswüchse die Gesellschaft spalten und Klassenwidersprüche verschleiern. Ein krasses Beispiel dafür, wie vermeintliche Antidiskriminierungspolitik soziale Anliegen vernebelt, ist Amazon. Amazons Filmstudio („Amazon Studios“) hat eine Diversity-Liste mit Antidiskriminierungsrichtlinien aufgestellt, aus angeblichem Respekt vor Minderheiten, also aus hehren Anliegen. Das ist natürlich absurd, wenn so etwas von einem Konzern kommt, der gleichzeitig aggressiv die vornehmlich schwarzen Mitarbeiter in Alabama bekämpft, die die erste Amazon-Gewerkschaft in den USA gründen wollen.

Atamans Klassismus

Aber man braucht gar nicht ein solch krasses Beispiel. Die Journalistin, NDM-Mitbegründerin und -Vorsitzende Ferda Ataman lieferte jüngst selbst ein Beispiel dafür, dass diese Kritik nicht aus der Luft gegriffen ist. Kurz bevor die Bild mit ihrem Fernsehformat an den Start ging, antwortete Ataman im Gespräch mit Radio Eins auf die Frage, an wen sich Bild TV richtet:  „Die natürliche Zielgruppe für so ein Julian-Reichelt-TV (…) ist vermutlich 60+, anfällig fürs TV-Shoppen und für SMS-Gewinnspiele. Bild fischt nach dem digital vernachlässigten, rechten Rand. Ich stelle mir so Leute vor, die auf der Couch sitzen, morgens vielleicht schon Bier trinken und über Merkel und Migranten herziehen.“

Ataman prangert immer wieder strukturellen Rassismus an. Hier tut sie so, als wäre Rassismus ein Unterschichtenproblem und verwehrt unteren Schichten den Respekt, den sie für Minderheiten fordert – weil sie in ihrem verkürzten identitätspolitischen Raster privilegierte Weiße sind. Wer erkennt sie hier nicht wieder, die Chiffren für den stereotypen Proll aus der Unterschicht, die knapp zwei Jahrzehnte „Hartz-IV-TV“ in der Öffentlichkeit etabliert haben? Faul, herzlos, den ganzen Tag vor der Glotze hängend, morgens schon Bier aus Plastikfalschen trinkend.

„Die faulen Arbeitslosen“

Ironischerweise bedient sich Ataman damit klassistischer Abwertungen, an deren Verbreitung die Bild einen nicht unerheblichen Anteil hat. Erinnert sich noch jemand an Arno Dübel, laut Bild „Deutschlands frechster Arbeitsloser“? Das Boulevardblatt berichtete gerne über den Langzeitarbeitslosen, der nicht daran denkt, arbeiten zu gehen und stattdessen sein Arbeitslosengeld für Bier und Zigaretten ausgibt – und verfestigte unter dem Scheinargument, einen echten Fall zu zeigen, das Klischee vom faulen Arbeitslosen, der es sich auf Kosten des Steuerzahlers „in der sozialen Hängematte“ bequemt macht. Böse Zungen behaupten, das sei eine perfide Verschleierungstaktik gewesen, um mittels eines Nach-unten-Tretens den Sozialabbau der Agenda-Reform zu rechtfertigen.

Zu Recht wird kritisiert, wenn die soziale Frage zu einer Opposition „Deutsche vs. Migranten“ stilisiert wird und ökonomische Fragen pauschal gegen anerkennungspolitische Anliegen von und für Minderheiten ausgespielt werden. Warum soll es andersherum besser sein, wenn Anerkennungspolitik gegen die Teile unterer Schichten ausgespielt wird, die in einer starren identitätspolitischen Kategorisierung als privilegiert gelten, allein deshalb, weil sie weiß und deutsch sind?

Ataman zeichnet selbst „ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland“. Ihr und den NDM geht es nicht um ein gerechteres Zusammenleben für alle, auch nicht um eine demokratische Debatte, sondern ums Abblocken jeglicher Kritik am eigenen Standpunkt, so spaltend er auch ist.

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