Migrantische Monokulturen in Berliner Kiezen - Wenn aus Vielfalt Langeweile wird

Unser Genusskolumnist wohnt in einem Stadtteil mit einem hohen migrantischen Bevölkerungsanteil. Das hat dort auch die kulinarische Alltagskultur deutlich verändert. Teilweise führt das nach seiner Erfahrung zu eher negativen Entwicklungen.

Badstraße in Berlin-Gesundbrunnen / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Noch ist die Huttenstraße im westlichen Teil des alten Industrie- und Arbeiterquartiers in Berlin-Moabit nicht in jedem Stadtführer vertreten. Dabei könnte man vor allem den kurzen Abschnitt zwischen der Beussel- und der Rostocker Straße wunderbar als eine Art „Ethno-Food-Mekka“ vermarkten, zumal es in dem Gebiet immer mehr Ferienwohnungen gibt. Auf knapp 200 Metern findet man hier sage und schreibe rund 20 gastronomische Einrichtungen – Restaurants, Imbisse und Cafés. Dazu noch zahlreiche orientalische Lebensmittelgeschäfte, vom Supermarkt über den Halal-Fleischer und den Bäcker bis zur Nussrösterei.

Auffällig ist die Dominanz libanesischer und anderer arabischer Anbieter. Es gibt sogar ein jemenitisches Restaurant. Und wer auf Hummus und Lammfleisch keine Lust hat, kann auch zu einem der beiden asiatischen Restaurants gehen. Döner und überhaupt türkische Anbieter wird man in diesem Abschnitt dagegen vergeblich suchen. Die findet man dafür zuhauf, wenn man die Beusselstraße in östlicher Richtung überquert. Und wenn man in die nächste Querstraße (Gotzkowskystraße) nach rechts abbiegt, stößt man plötzlich auf ein indisches Restaurant nach dem anderen.

Nivellierte ethnische Gastrokultur

Aber sind die Huttenstraße und der angrenzende Kiez deswegen wirklich ein „Ethno-Food-Mekka“? Eher nicht, denn gerade die Angebote der arabischen Restaurants sind in großen Teilen recht gleichförmig. Und auch bei dem vermeintlich recht exotischen jemenitischen Restaurant kommt man schnell ins Grübeln, wenn man auf der Karte einen Posten wie „Jemenitischer Salat“ sieht (mit Eisbergsalat, Gurken, Tomaten, Olivenöl-Zitronen-Dressing und Dosenmais). Zweifel, dass es derartiges im Jemen gibt, sind jedenfalls angebracht. Ohnehin wirkt es etwas befremdlich, dass hier (vermeintliche) Spezialitäten eines Landes offeriert werden, das seit Jahren Schauplatz eines mörderischen Stellvertreterkrieges ist und von extremen Hungersnöten betroffen ist.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Und wer sich wirklich für vietnamesische Küche interessiert, sollte eben nicht ins „Tönis“ in der Huttenstraße gehen, wo wenig mehr als die nivellierte, irgendwie asiatische Einheitsverköstigung geboten wird, die nicht nur in Berlin allgegenwärtig ist. Ähnliches lässt sich von den indischen Restaurants in der Gotzkowskystraße sagen.

Traditionelle deutsche Küche fast verschwunden

Natürlich ist es in einer Stadt wie Berlin, in der fast eine Million Zuwanderer aus über 170 Ländern leben, ziemlich normal, dass dies auch Einfluss auf die gastronomischen Angebote hat. Und im Prinzip kann das auch eine Bereicherung sein, denn lange Zeit beschränkte sich die kulinarische Vielfalt jenseits der deutschen Küche weitgehend auf Pizzerien, griechische und jugoslawische Lokale, Döner-Buden und China-Restaurants. Dazu kommt, dass es in vielen migrantischen Communities einen starken Drang zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit gab und gibt. Doch von „Vielfalt“ kann in diesem Zusammenhang nur sehr bedingt gesprochen werden.

Denn zur gastronomischen Vielfalt würde auch bodenständige deutsche Küche gehören. Doch die ist weitgehend verschwunden, und auch die klassische „Eckkneipe“ ist deutlich auf dem Rückzug. Eisbein, Kohlrouladen, Erbsensuppe & Co. findet man jetzt eher höherpreisig in auf Touristen ausgerichteten Lokalitäten in anderen Stadtteilen. Gerade im unteren Preissegment gibt es fast nur noch türkische, arabische und asiatische Anbieter, die sich in ihrem jeweiligen Angebot aber oftmals nur geringfügig unterscheiden. Das gilt auch für die meisten Pizzerien.

Im mittleren Segment dominieren in einigen Stadtteilen Lokale, die ihre „Weltläufigkeit“ und „Vielfalt“ mit einer Speisekarte zum Ausdruck bringen, auf der alles und nichts absurd gemischt offeriert wird. Das nennt sich dann „Internationale Küche“ oder „Crossover“. Dazu noch Sushi und der ganze hippe Kram, vor allem vegan. Einigermaßen spannendes und auch regional eindeutig zuordbares Essen findet man natürlich auch in Berlin, aber dann eher im gehobenen Preissegment.

Keine Bäcker, kein Nicht-Halal-Fleischer mehr

Zurück zur Huttenstraße. Glücklicherweise gibt es auch hier ein paar Highlights. Im „Big Bascha“ gibt es – für ganz kleines Geld – ein großartiges, vielfältiges arabisches Frühstücksangebot. Und die El-Reda-Fleischerei gilt bei Moabiter Lammfleischfreunden als Referenzladen für gute Qualität, was auch dem benachbarten gleichnamigen Restaurant anzumerken ist. Der Rest ist mehr oder weniger austauschbares Mittelmaß. Das gilt auch für die zahlreichen arabischen und türkischen Supermärkte in dem Kiez, die alle ein fast identisches Sortiment haben. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass sie mit ihrem sehr umfangreichen Angebot an Obst und Gemüse einen sehr wichtigen Beitrag zur Grundversorgung leisten.

Zum Thema „Vielfalt“ gehört auch, dass es in der gesamten Huttenstraße und ihrer östlichen Verlängerung, der einstigen Moabiter Einkaufs- und Flaniermeile Turmstraße, keinen klassischen Bäcker mehr gibt, sondern nur noch diverse Filialbetriebe und Aufbackstationen. Und keinen Nicht-Halal-Fleischer, noch nicht mal einen deutschen Supermarkt mit Frischfleisch- und Wursttheke, kein Fischgeschäft, kein klassisches Café außerhalb des orientalischen Spektrums, kein deutsches Gasthaus und noch vieles andere nicht mehr, was dort früher selbstverständlich war.

Von Zuwanderung profitieren – aber nicht so

Um Missverständnisse zu vermeiden: Berlin hat – nicht nur kulinarisch – immer von Einwanderern profitiert. Man denke nur an die Innovationsschübe, die die Hugenotten im 17. Jahrhundert auslösten. Daran ändern auch die gravierenden Probleme nichts, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch eine teilweise desaströse Flüchtlings- und Integrationspolitik dramatisch verschärft haben.

Natürlich sind Hummus, Falafel, Kebab und orientalische Gewürze genauso kulinarische Bereicherungen, wie es einst Weißbrot, Birnen und Spargel und später Pizza, Pasta, Tzatsiki, Sauer-Scharf-Suppe und Djuvec-Reis waren. Aber eine ethnische Homogenisierung und Nivellierung der Esskultur in manchen Bereichen der Stadt ist wohl eher das Gegenteil von erwünschter Vielfalt.     

Anzeige