Appell für Meinungsfreiheit - Solidarität mit den Ausgeladenen

Politmoralische Inquisitoren drängen die Freidenkenden zunehmend zurück und gefährden so die Demokratie. Ein „Appell für freie Debattenräume“ fordert die Wiederbelebung der Meinungsfreiheit, Alexander Grau hat ihn mitunterzeichnet.

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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ein Ungeist geht um. Er ist unzählige Mal beschrieben und analysiert worden. Es ist der Ungeist des betreuten Denkens, der politischen Korrektheiten, der verordneten Maulkörbe und der Shitstorms. Wann immer die mit Moralin getränkte Horde eifert – und das ist inzwischen nahezu wöchentlich – formiert sich zwar Kritik und Widerstand. Doch diese sind vereinzelt, nie koordiniert und daher wirkungslos.

Die Liberalen ziehen sich zurück

Zudem wird jeder Einwand gegen die Unkultur des Niederschreiens, des Ausladens und Löschens geradezu reflexartig mit den üblichen Scheinargumenten diskreditiert: Es gäbe keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie man an der Debatte sehen würde; Freiheit dürfe nicht dazu führen, Unsagbares wieder sagbar zu machen; und ohnehin stünden hinter der Klage über Political Correctness und Cancel Culture lediglich die üblichen Verdächtigen, die Raum für ihre Ressentiments einforderten.

Diese pauschalisierende Strategie führt fast immer dazu, dass die liberalen Verteidiger der Meinungsfreiheit, die Vorsichtigen und Differenzierten sich zurückziehen, um nicht von den Hütern des richtigen politischen Geschmacks als verdächtig eingestuften zu werden. Eine verhängnisvolle Spirale, die dazu führt, dass sich mitunter tatsächlich nur noch Aktivisten von den politischen Rändern für die Freiheit der Rede einsetzen, was den Wächter über die richtige politische Haltung in die Hände spielt.

In Demokratien wird gestritten

Es ist eine bittere Einsicht, dass die Demokratie nicht von ihren klassischen Feinden vergangener Jahrhunderte gefährdet ist, sondern zunehmend von jenen, die meinen, sie zu verteidigen. Das macht die Debatten mitunter so giftig.
Doch Demokratie meint zuerst und vor allen Dingen die Freiheit der Wahl und der Rede. Wer demokratische Gesinnung an politische Inhalte koppelt, etwa an spezielle migrationspolitische Überzeugungen oder an umweltpolitische Zielvorgaben, hat ein arg verkürztes Demokratieverständnis. Demokratie bedeutet, über politische Maßnahmen zu streiten und nicht, die angeblich einzig legitime Überzeugung zu haben.

Aber genau dieser Geist der Bevormundung und Anmaßungen hat sich ausgehend von den geisteswissenschaftlichen Instituten der Universitäten, über Kultureinrichtungen, NGOs und Stiftungen inzwischen tief in die Gesellschaft und ihre Debatten hineingearbeitet. Dabei sind wir inzwischen an einen Punkt gekommen, bei dem es nicht „nur“ um die Verteidigung des ernsthaften Austauschs geht, sondern auch um die Bewahrung unserer Kultur. Denn schon längst sind die Agitatoren eines antiseptischen Weltbildes dabei, unser Welt, unsere Museen, Plätze und Straßen nach ihren autoritären Vorstellungen umzugestalten. Die argumentativen Mechanismen sind dabei die altbekannten. Und auch hier gehen selbstgefällige Borniertheit und missionarisches Eiferertum eine gefährliche Allianz ein.

Bewahrung des Meta-Liberalismus

Zeit also, dass die Freidenkenden, die innerlich Großzügigen, die an Debatten Interessierten sich über alle politischen Lager und Gräben hinweg zusammenschließen, um sich den Anmaßungen einer Minderheit politmoralischer Inquisitoren entgegenzustellen. Es geht um die Bewahrung eines Meta-Liberalismus, also der Fähigkeit über politische Lager, abweichende Meinungen und kontroverse Vorstellungen hinweg, Diskussionen führen zu können. Dieser Meta-Liberalismus, der jedem neugierigen Menschen eigentlich zu eigen sein sollte, ist zunehmend in Gefahr.

Doch es passiert etwas: Unter der Initiative von Milosz Matuschek, stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter des „Schweizer Monat“, und des Kölner Autors und YouTubers Gunnar Kaiser wurde am gestrigen Freitag ein „Appell für freie Debattenräume“ freigeschaltet. Dort fordern die Unterzeichner Solidarität mit den Ausgeladenen, Zensierten und Stummgeschalteten.

Meinungsfreiheit kann nicht nach Belieben entzogen werden

Veranstalter und Verleger werden aufgerufen, eventuellem Druck auf sie standzuhalten. Das unselige Phänomen der Kontaktschuld müsse beendet werden. Denn: „Freie Rede und Informationsgewinnung sowie freie wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung sind Rechte und nicht Privilegien, die von dominierenden Gesinnungsgemeinschaften an Gesinnungsgleiche verliehen und missliebigen Personen entzogen werden können.

Es ist dabei unerheblich, auf welcher politischen Seite die Gruppierung steht, ob sie religiös, weltanschaulich oder moralisch motiviert ist – ein Angriff auf die Demokratie bleibt ein Angriff auf die Demokratie.“ Unterzeichnet haben unter anderem der Publizist Götz Aly, der Neurowissenschaftler Raphael M. Bonelli, der Kabarettist Vince Ebert, die Schriftstellerin Monika Maron, der Jurist Reinhard Merkel, die Ethnologin Susanne Schröter, der Publizist Günter Wallraff, der Autor dieser Kolumne und viele andere.
 

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