Medien in der Coronakrise - Hört den Kritikern zu, statt sie in die Ecke zu stellen

Viele Medien stellen Kritiker der Corona-Maßnahmen in eine politisch extreme oder verschwörungstheoretische Ecke. Dabei ist das Unbehagen und der Protest mitten in der Gesellschaft angekommen. Es wäre besser, Kontroversen zuzulassen.

Die kontroverse Rolle der Medien bei Corona-Protesten / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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In den deutschen Medien liebt man das Spiel „In die Ecke stellen“. Und das geht so: Man nimmt jemanden, stellt ihn in eine Ecke und am nächsten Tag zeigt man mit dem Finger auf ihn und bezichtigt ihn, dass er in einer Ecke steht. Zugegeben: Das Spielchen ist reichlich öde und ein wenig infantil. Doch viele Medienvertreter ergötzen sich immer wieder aufs neue daran.

Mit welcher Hingabe und Leidenschaft man hierzulande diesem Spielchen frönt, kann man derzeit am Umgang mit den Kritikern der Corona-Maßnahmen beobachten. Die sind, glaubt man den ganz überwiegenden Medienberichten der letzten Woche, nämlich alle – oder nahezu alle – Verschwörungstheoretiker. Oder in der differenzierten Version: Rechtsextremisten, Linksextremist und Verschwörungstheoretiker.

Transparenz und Kontroverse

Keine Frage: Bei den Demonstrationen der letzten Woche, bei einschlägigen Sammlungsbewegungen und erst recht im Netz, bei YouTube, Patreon und Telegram, tummeln sich tatsächlich politische Extremisten und Verschwörungstheoretiker. Das ist ärgerlich, aber nicht anders zu erwarten. Insbesondere in einer Krisensituation sollte es daher das Ziel der Öffentlichkeit sein, Bürger nicht in die Arme solcher politischen oder weltanschaulichen Irrlichter zu treiben.

Die Preisfrage lautet also: Wie macht man das? Antwort (Achtung Überraschung): Man verhält sich nicht so, wie es Verschwörungstheoretiker erwarten. Statt den Eindruck zu erwecken, irgendetwas würde unter der Decke gehalten oder die Berichterstattung sei gesteuert oder abgesprochen, bietet man eine differenzierte, diskussionsfreudige und pluralistische Medienlandschaft an: Man lässt unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen, lädt Experten mit divergierenden Meinungen zu Diskussionen ein und redet unvoreingenommen aber kritisch mit Kritikern.

Ignorieren, lokalisieren, diskreditieren

Ist eigentlich gar nicht so schwer. Ab Anfang April, nach der ersten Schockstarre, war auf den üblichen Plattformen im Netz ein deutlich erhöhtes Grundrauschen festzustellen. Menschen unterschiedlichster ideologischer Herkunft äußersten zunehmend deutlich Kritik an den Mitte März beschlossenen Maßnahmen.

Da wurde unglaublicher Unfug geäußert, da wurden Desinformationen lanciert, aber es gab auch Einwände, über die man zumindest diskutieren kann. Die deutsche Medienlandschaft jedoch reagierte darauf mit dem seit Jahren erprobten Dreisprung: Erst ignorieren, dann lokalisieren, schließlich diskreditieren. Allerdings lassen sich Proteste gegen Pandemiemaßnahmen schlecht in die handelsüblichen ideologischen Raster einordnen.

Unbehagen in der Mitte der Gesellschaft

Was ist man, wenn man gegen Ausgangsbeschränkungen protestiert oder Masken: links, rechts, liberal? Schwer zu sagen. Angesichts dieser Unklarheit griff man in der Medienwelt die Steilvorlage der Bill-Gates-steckt-hinter-allem-Fraktion auf und steckte Kritiker jedweder Couleur in die Verschwörungstheoretiker-Ecke. Das Spiel konnte beginnen.

Der Schaden, den sich die traditionellen Medien damit selbst, aber auch der Politik und der Gesamtgesellschaft zufügen, ist enorm und droht die Kollateralschäden der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise noch zu übertreffen. Denn anders als 2015 ist das Unbehagen und der Protest nun endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Schluckten viele Bürger ihre Kritik am Gebaren der Bundesregierung und der Medien in der Flüchtlingskrise runter, um nicht mit missliebigen politischen Positionen in Verbindung gebracht zu werden, so droht nun der Damm zu brechen.

Angestaute Frustration

Corona liegt jenseits jeder Politgeographie und entwickelt sich daher zum dem unverdächtigen Trigger von lang angestauten Frustrationen. Umso beklemmender ist die Unfähigkeit vieler Medien differenziert auf das zu reagieren, was sich seit Wochen zusammenbraut. Wo aber unfair bebildert, verzerrt betitelt, selektiv wahrgenommen und herablassend kommentiert wird, schwindet das Vertrauen, um das die etablierten Medien laufend werben und fragwürdige Alternativanbieter haben siebenstellige Klickzahlen.

So richtig es zu Beginn der Krise war, zu einer gewissen Ruhe und Disziplin zu mahnen, so wichtig ist es nun, die Hofberichterstattung einzustellen und nicht jeden Kritiker der Regierung und ihrer Berater als Wirrkopf oder politischen Radikalen darzustellen. Sonst könnte es tatsächlich zu der umfassenden Erosion der politischen Mitte kommen, vor der Sozialwissenschaftler seit Jahren warnen.

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