Martin Suters neues Buch - Keiner von euch: „Fußballgott“ Bastian Schweinsteiger

Heute erscheint Martin Suters biografischer Roman über den ehemaligen Star-Kicker von FC Bayern München, Manchester United und Chicago Fire. Als Bastian Schweinsteiger noch auf dem Platz stand, gab es viele Gründe mitzufiebern, zu leiden, zu jubeln und unterhalten zu werden. Für das Buch gilt das nicht – mit seiner Kitschprosa hat Suter sich kolossal verhoben.

Marcel Reif, Martin Suter, Bastian Schweinsteiger und Ana Ivanović in Berlin / Res Publica Verlags GmbH
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Holger Schmieder arbeitet als Datenanalyst und Marketingmanager in Berlin.

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Zuerst das Gute. Für U15-Kicker bietet der Lesestoff durchaus Lichtblicke. So zum Beispiel, dass sich Fußball-Training lohnt, denn Talentespäher professioneller Vereine finden sich in fast jeder Altersklasse. Schnell kann man sich dann in einer U-Mannschaft des FC Bayern München wiederfinden. Und auch wenn es schmerzt: Möchte man Profi werden, entscheide man sich für eine Profession; im Falle Bastian Schweinsteigers lautete die Frage: lieber Ski fahren oder Fußball spielen? Die langen, unzähligen Autofahrten zwischen Trainingseinheiten („So kam Basti auf sieben Trainingseinheiten pro Woche. Und am Wochenende auf ein, zwei Spiele“) und Schulunterricht – auch der spätere Fußball-Weltmeister hat das erlebt. Ebenso Sonderstellungen und -situationen in der Schule, wenn man zum Spitzenfußballer und Einkommensmillionär reift. Auf der offiziellen Buchvorstellung am 20. Januar nannte Schweinsteiger es „ein Buch, mit dem man sich identifizieren kann“, das „Familien und Kindern Hoffnung gibt in dieser schwierigen Zeit“; mehrfach bezeichnete er das Opus gar als „Mutmacher“.

Bei ihrem Auftakttreffen zu den Arbeiten am Buch hatten sich der Autor Martin Suter und Schweinsteiger nach bereits fünf Minuten geduzt. Suter: „Nie hatte ich den Eindruck, dass er sich für was Besonderes hält.“ Man kam dann noch ein zweites Mal zusammen, außerdem gab es viele Telefonate und Zoom-Sitzungen. Die wichtigsten Quellen Suters bei der Recherche: Fred Schweinsteiger; Ana Ivanović; Ottmar Hitzfeld; YouTube. Dass Schweinsteiger bekennender Wenigleser ist, hat er nie verhehlt; im Co-Interview mit Martin Suter in der Zeit am 12. Januar sagte er: „Ich habe noch nicht so viele Bücher gelesen, aber es hat mich sehr berührt, mein Leben in diesen Zeilen wiederzuerkennen.“ Ergänzend dazu auf der Pressekonferenz: „Ich lese lieber 1000 Spiele als ein einziges Buch.“ Fußball-Nerds erinnern sich zudem an die eine, nahezu legendäre Stelle in Til Schweigers „Schweinsteiger Memories: Von Anfang bis Legende“. Schweinsteigers Eindruck nach erstmaliger Prüfung des Manuskripts: „Da kann man nichts verbessern – da ist alles drin. Der erste Entwurf hat mich schwer beeindruckt.“ Wenngleich der Blick auf sein Leben „sich nicht geändert hat“ durch das Buch, so der 37-Jährige. Schweinsteigers Frau, die ehemalige Tennisspielerin Ana Ivanović, ist übrigens ein „Riesen-Bücherfan“; Schweinsteigers Verhältnis zur Kultur? „Es ist im Kommen.“

Welches Thema lässt sich am besten vermarkten? Liebe. Und so war während der Buchpräsentation das Zueinanderfinden von Ana Ivanović und Bastian Schweinsteiger Lieblingsthema; Schweinsteiger nennt als seine Lieblingsstellen im Buch die Hochzeit sowie die Geburt der Kinder. Sein Statement, dass Ivanović ihm „beigebracht“ habe, „was Liebe bedeutet“, wurde Aufhänger in der Berichterstattung. Schweinsteiger wiederum habe Leichtigkeit, Lässigkeit und Lachen ins Leben von Ivanović gebracht. Eine gegenseitige „Horizonterweiterung“. Mit viel gutem Willen kann man das Buch als Liebesgeschichte lesen; wer aber möchte wollen, wenn er liest?

Warum, Herr Suter?

Seine eigene Fußballkarriere beendete Martin Suter im Alter von zwölf Jahren, wegen Verwendung „eines Kraftausdrucks“, für den ihn der Referee vom Platz stellte. Ihm blieb die Leidenschaft des Fußballschauens, bevorzugt beim FC Basel. Und er schreibt wie einer, der selten Stollen trug. So weiß er zum A-Junioren-Meister, als dieser im Finale aufläuft: „Sofort nach dem Anpfiff stach er heraus durch seine Präsenz, sein Spiel und seine Ausstrahlung. Die Technik, die er beherrschte, konnte er in aller Ruhe umsetzen“, oder auch: Bundestrainer „Jürgen Klinsmann sorgte mit seiner optimistischen Art, seinen unkonventionellen Methoden und einfach dadurch, dass er an ihn glaubte, dafür, dass Basti wieder auf die Beine kam“. Nur vereinzelt glückt ihm eine authentische Beschreibung dieser Auf-dem-Platz-Zusammenhänge, z.B. Jupp Heynckes’ „Idee, Bastian Schweinsteiger von der rechten Außenbahn auf die Mitte zu stellen“.

Es ist Suters bisher längstes Buch geworden. Dabei ist „Beruf des Schriftstellers, zu reduzieren“, so Suter bei der Buchpremiere. Im Zeit-Interview äußerte er: „Ich bin Romancier, nicht Biograf. Das Buch enthält Wahres und fast Wahres. Mich hat die Idee fasziniert, eine Heldensaga mit einem lebenden Helden zu schreiben.“ Er „möchte jede Art zu schreiben einmal ausprobieren“. Stimmt, so hat Suter noch nie geschrieben. „Ich erzähle Wahres und fast Wahres und wünsche Ihnen dabei eine spannende, unterhaltsame und auch manchmal berührende Lektüre“, heißt es im Vorwort – diese Zielsetzung wurde verfehlt. Suter ist ein Erfinder, jemand, der Figuren erschaffen möchte; mit der engen Ausrichtung an Schweinsteigers Vita hat er sich keinen Gefallen getan: Er hat hier mehrfach fremdes Terrain betreten. Es dürfte sein arbeitsintensivstes, obendrein ein freudloses Werk sein. Da Fußball ein Live- und Fernsehereignis ist, haben den Fußball einfangende Bücher es schwer. Umso mehr, wenn sie von in fiktionaler Literatur beheimateten Autoren verfasst sind.

Zur Mutmaßung Suters, dass es dieses Format – eine autorisierte Fußballromanbiografie – noch nicht gegegen hat: Erinnert sei an „Der Traumhüter“ von Ronald Reng oder auch „Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte“ (freilich nicht autorisiert) von Bernd-M. Beyer.

Suters Taschenspielertricks

Suter dürfte früh festgestellt haben, dass er hier an kompositorische Grenzen stößt. Und so bedient er sich bei Kunstgriffen, die zwar keinesfalls „verboten“ sind (das Buch als Kunstwerk), aber in dieser Häufung nach Verzweiflung duften. Eine Auswahl:

- Das Buch eröffnet mit einem „narrischen“ Eigentor des neunjährigen Noch-Nicht-„Fußballgottes“. Und das kennen wir als beliebtes Stilmittel vor allem in Filmen: ein verletzbarer, fehlbarer Held bietet mehr Identifikationsfläche.

- Suter zieht Weltereignisse (Heirat von Lady Diana und Prinz Charles, Attentat auf Monica Seles, Klonschaf Dolly, Wahl Merkels, Fußball-WM-Finale 1998 und 2002, 9/11) heran, damit sich jeder Leser irgendwie angesprochen fühlt. Das damit erzeugte Zielgefühl des Autors lautet: „Einer wie ich“. Mit Jahrzehntereignissen verknüpft Suter „schicksalhaft” und allzu durchschaubar die Lebensstränge von Ivanović und Schweinsteiger.

- Schweinsteiger wird erstaunlich einfältig, zumindest aber wenig vielseitig, porträtiert. Damit soll er „vermenschlicht“ und zurück auf die Erde geholt werden. Suter referiert dazu mehrfach mangelnde Englischkenntnisse („Englisch gehörte auch in der Adalbert-Stifter-Realschule nicht zu den Dingen, die ihm leicht fielen und die er deshalb gerne tat“). Außerdem spricht der sechsjährige Schweinsteiger wie der 30-jährige – so gesehen spielt es keine Rolle, ob Sie das Buch von hinten nach vorne lesen, in der Mitte anfangen, oder es ganz bleiben lassen. Wenn dem 23-Jährigen ein persönlicher „Presseattaché“ empfohlen wird und Schweinsteiger zurückfragt: „Was?“, dann träfe das in diesem Roman auch auf die Fünf- und die 35-jährige Schweinsteigerversion zu.

- Der Titel, der auf jeder Seite neu konterkariert wird. Nein, Schweinsteiger ist keiner von euch, und das ist völlig in Ordnung. Schweinsteiger lehnt beim Cheesecake-Verzehr eine 20-Millionen-Euro-Jahressalär-Offerte („netto und unverhandelt“, wie uns der Autor wissen lässt) ab – ist das denn einer von euch? Außerdem wären da: Unterhaltungen mit Angela Merkel; eine von Prinz Antonio Licata di Baucina organisierte Hochzeit; „Basti saß auf dem Friseurstuhl im Salon von Roby Bash, dem Stylisten der Promis, und blätterte im Paris Match“; „Basti und Poldi wurden Symbolfiguren dieses neuen Landes“; „Er war jetzt sechzehn und hatte eine eigene Wohnung“; „Alle planen für mich voraus. Warum soll ich auch noch damit anfangen?“; „In Berlin hatte Jürgen Klinsmann das gesamte Schlosshotel Grunewald mit seinen fünfundfünfzig nach Plänen von Karl Lagerfeld gestalteten Zimmern gemietet und es noch ein wenig luxuriöser machen lassen. Die einundachtzig Angestellten trugen nun schwarze Hosen oder Röcke und weiße T-Shirts – wie die deutsche Mannschaft auf dem Platz“. In der Eigenbewerbung des Buches steht: „Ein Roman über den Superstar, der sich nie als einer fühlte“. Aber warum denn nicht? Ist das verwerflich? Davon lebt Profifußball. 2006 konfrontiert mit der Aussage seines Vaters, Basti Schweinsteiger sei „jetzt ein Star”, legt Suter ihm folgende Worte in den Mund: „So fühle ich mich aber nicht. Wenn ich durch Oberaudorf gehe oder durch Schwabing oder sonst wo, dann denke ich nicht: ,Hier geht der Star Bastian Schweinsteiger durch Oberaudorf oder Schwabing oder so.’ Da denke ich zum Beispiel: ,Aha, der ,Kaiserblick’ hat die Fassade frisch gestrichen’ oder: ,Die Metzgerei Pfeiffer macht schon zu.’ Ganz normal“; Bruder Tobi: „Wenn Basti sagt, dass er sich nicht als etwas Besonderes fühlt, dann glaube ich ihm das.“ Ottmar Hitzfelds Einschätzung: „Seit der WM [2006] wird Bastian gefeiert wie ein Popstar. Für mich ist es wahnsinnig, was in dieser Zeit auf ihn eingebrochen ist. Was er da alles verkraften musste, ist einfach nicht zu schaffen.“ Und der umjubelte Schweinsteiger selbst: „Ich verdiene einen Haufen Geld, fahre einen R8, und meine Freundin ist ein Model. Deshalb sind sie neidisch.“ „Sie“, das sind die Fans. Randbemerkung: „Einer von euch“ soll eine Idee Suters gewesen sein; dabei rief Schweinsteiger bereits im Rahmen seines Abschiedsspiels, 2018, dem Publikum zu: „Ich werde immer einer von euch bleiben.“

- Das Buch ist unterteilt in Mini-Episoden und Biografieschnelleinheiten – so übertönt Suter die dürftige Substanz. Mehr Ivanović hätte dem Buch gutgetan, denn wie sagte Schweinsteiger so treffend im Zeit-Interview: „Über das Leben meiner Frau könnte man drei Bücher schreiben.“

- Bastian Schweinsteiger wird nur zweimal bei vollem Namen genannt, sonst über 1000-mal einfach „Basti“. Alle anderen Fußball-Charaktere treten mit vollständigem Namen auf. Auch damit wird Nähe suggeriert, die sich beim aufmerksamen Lesen jedoch nicht einstellt.

- Suter verwendet 13-mal den Ausdruck „Fußballgott“. Das wirkt gehetzt und anbiedernd und kommt einer Substantivierung von Sachverhalten gleich, wie man sie aus Boulevard-Überschriften kennt.

- Bei der Pressekonferenz zum Buch entschlüpfte Suter ein verräterischer Satz: „Ich wollte beweisen, dass er einer von euch ist.“ Und tatsächlich ist dieses Werk mehr Beweisführung als Heranführung an Bastian Schweinsteiger.

„Wenn ich groß bin, heirate ich auch so“

Neben diesen Pirouetten aber mangelt es dem Buch schlichtweg an Glaubwürdigkeit. Hier drei ausgesuchte Obskuritäten:

- Der siebenjährige Schweinsteiger bleibt zappend bei einem Bericht über das Zehn-Jahres-Jubiläum der Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana hängen und gibt bekannt: „Wenn ich groß bin, heirate ich auch so.“ Einige Seiten später: „Ich wusste nicht, dass sich Prinzen und Prinzessinnen auch scheiden lassen können.“

- Erneute Heirat: David Beckham ehelicht Victoria Caroline Adams. Der 15-jährige Schweinsteiger, emsiger Beckham-Fan, hätte die Zeremonie zu gern im Fernsehen gesehen, „aber die Beckhams hatten die Rechte exklusiv an das Magazin OK! verkauft. Wieder etwas, was Basti ihm vielleicht abschauen könnte“.

- Als Schüler hatte Schweinsteiger wohl ein Faible für das Fach Hauswirtschaft. Und man erfährt in Bezug auf Kaiserschmarrn: „Das Abmessen der Zutaten war ja einfach, die Mengen konnte man im Rezept ablesen. Mehl, Salz, Eier, Milch, Vanillezucker und ein Gläschen alkoholfreier Rum. Aber auf das Umrühren kam es an. Es musste gefühlvoll sein. Das war Bastis Stärke, das gefühlvolle Umrühren.“

Ist das noch ein Buch oder schon Marketing?

Sujet und Form dieses Buches vertragen sich nicht. Unter anderem an der Unwucht zwischen Ivanovićs und Schweinsteigers Lebensgeschichten hat sich Suter verhoben, z.B. wenn ein Abschnitt beginnt mit „Das Essen war knapp in Belgrad“ (Perspektive Ivanović) und der folgende, eine halbe Seite weiter unten, mit „In den letzten zwölf Jahren hatte keine Mannschaft die U13 von Bayern München schlagen können“ (Perspektive Schweinsteiger). Anderes Beispiel: „Wenn man in München lebte, lag Leverkusen als Spielort nicht gerade auf dem Weg. Aber Ottmar Hitzfeld nahm die Reise in Kauf“; erster Satz der darauf folgenden Ivanović-Passage: „Seit über zwei Jahren hatte die Nato aufgehört, Bomben auf Belgrad abzuwerfen.“

Bastian Schweinsteiger äußerte auf der Pressekonferenz, Zeit sei das Wichtigste im Leben („Es gibt nichts Schlimmeres, als Zeit zu verlieren“). Diesem versteckten Hinweis des Ex-Rechtsfußes der Nation folgend, spare man sich die Lektüre. Suter legt einen Roman vor, der keine Probleme hat (dazu auch Bastian Schweinsteiger im Zeit-Interview: „Martin beschreibt mein Leben, und es gibt halt keine dunklen Seiten“). Die letzte und entscheidende Aktion im Finale der UEFA Champions League am 19. Mai 2012 verkommt so zu einer beiläufigen Notiz. Ein Buch, das keine Spuren hinterlässt. Oder, um mit Kafka zu sprechen: kein Faustschlag auf den Schädel. Ähnliches ließ Martin Suter auch im Interview mit der Zeit durchklingen: „Ich bin ja kein Enthüllungsjournalist, und es ist auch kein Enthüllungsroman.“ Eine – vom minutiösen Ablauf des Heiratsantrags abgesehen – enthüllungsbefreite Biografie trifft auf einen abgrundlosen Helden.

„Einer von euch“ – ein Geschenkbuch, geeignet vielleicht für die einleitend genannten U15er. Ein Schmuckstück für den Tresor. Ein Anti-Effenberg. Ein Nicht-Ansgar-Brinkmann. Ein unfreiwilliger Gegenentwurf zu Toni Schumachers „Anpfiff. Enthüllungen über den deutschen Fußball“. Eine hagiographisch anmutende, sich in Äußerlichkeiten ergießende Schnappschusssammlung von Best-of-Schweinsteiger-Momenten. Nicht umsonst ist auf dem Cover ein in George-Clooney-Pose gesetzter Protagonist zu sehen. Mehr möchten die 381 Seiten Kitsch nicht sein: eine abgerundete, konzertierte, gedruckte Marketing-Aktion, eingerahmt von einem Ex-Werbetexter, die Medien-Zweitkarriere des Weltmeisters unterstützend und eventuell eine erneute Vorlage für Til Schweiger. Für den exakt gleichen Kaufpreis erhalten Sie ab 31. März die offizielle Zlatan-Ibrahimovic-Biografie; diese bietet zwar 100 Seiten weniger, dafür bestimmt 100% mehr Unterhaltung.

Martin Suter: „Einer von euch. Bastian Schweinsteiger“. Diogenes, Zürich 2022. 384 S., 22 €

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