Jana Hensel bei Markus Lanz - Da isser, der Jammer-Ossi

Meistgelesener Text im August: Mit Jana Hensel saß bei Markus Lanz eine der profiliertesten Autorinnen zum Thema Ostdeutschland. Doch was man von ihr erfuhr, war historische Verklärung. Zu Recht konnte Thüringens Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel darüber nur noch den Kopf schütteln

Larmoyanz bei Lanz: Bernhard Vogel und Jana Hensel / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Er war lange weg. So lange, dass man schon dachte, nanu, wo isser denn hin, der „Jammer-Ossi.“ Jenes Pendant zum nicht minder unbeliebten „Besser-Wessi“, das immer dann in den Medien auftauchte, wenn es knirschte im Getriebe der Wiedervereinigung. Ist ihm etwas passiert? Oder hat er den Ballast der Klischees endlich hinter sich gelassen? Ist er 30 Jahre nach dem Mauerfall angekommen?

Nein, er ist immer noch da. Am Mittwoch saß er im ZDF, in der Talkshow bei Markus Lanz. Es war eine merkwürdige Begegnung, denn auf den ersten Blick hätte man ihn nicht erkannt, im blauen Blazer und der Föhnfrisur. Er ist eine sie. Die Journalistin Jana Hensel war 13, als die Mauer fiel. Ihre Kindheit im Sozialismus hat sie 2002 in dem Buch „Zonenkinder“ so nostalgisch verklärt, dass man sich die DDR wie eine Art sozialistisches Disneyland vorstellte, bloß mit Trabis.

Das Morgen ist wichtiger als das Gestern

Seither ist Deutschland auf dem Weg der Wiedervereinigung ein gutes Stück weit vorangekommen. Noch immer „blüht“ der Osten nicht so, wie sich das viele 1989 vielleicht erträumt hatten. Doch die Städte sind top-saniert – dem „Soli“ sei Dank. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordtief gesunken. In diesem Jahr sind zum ersten Mal mehr Menschen in die neuen Bundesländer zurückgekehrt als fortgezogen. Ostdeutschland? Westdeutschland? Für die Kinder der Heimkehrer spielt das keine Rolle mehr. Das Morgen ist wichtiger als das Gestern.

Bei den Älteren ist es manchmal noch umgekehrt. Das spürt man, wenn man im ehemaligen Osttteil Berlins lebt. Dort trifft man ihn heute tatsächlich noch vereinzelt, den Jammer-Ossi. Im Jahr der Wende hat er mit den Füßen für die D-Mark und gegen einen Staat gestimmt, der Andersdenkende ins Gefängnis einsperrte. Heute aber macht er „den Staat“ für alles verantwortlich, was ihm das Leben schwer macht. Steigende Mieten. Eine Rente, die kaum zum Leben reicht. Der Verlust dessen, was man Nestwärme nennt.

Anwältin der Wende-Opfer

Es ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis, was sich da offenbart. Auf einer Bürgerversammlung  mit einem Stadtbaurat von Treptow-Köpenick beklagten sich einige Rentner neulich, in ihrem Stadtteil gäbe es kaum noch Orte zum Ausgehen. Der Staat solle ihnen, bitteschön, ein Ausflugslokal finanzieren. Sie reagierten wütend, als ihnen der Mann erklärte, dass das nicht Aufgabe der Verwaltung sei. Das Leben in der Marktwirtschaft sei doch kein Wunschkonzert.

Jetzt, kurz vor den Landtagswahlen, ist Jana Hensel wieder auf Talkshow-Tour, um ihr neues Buch zu promoten. Dabei tritt sie als Anwältin dieser Menschen auf, die sich selber als Opfer der Wende betrachten. Aber die werden immer weniger. Hensel pauschal-psychologisiert einen ganzen Landstrich. Sie, die 1989 jung genug war, um die Kurve ins wiedervereinigte Deutschland zu bekommen, aber vorgibt, sich bis heute deswegen zu schämen, tut das, was sie ihren Kritikern so gerne als Bild vom Osten ausreden will. Sie jammert. In einer Tour.

Kritik am „Eliten-Austausch“

Die Wiedervereinigung sei „gründlich schiefgegangen“, lamentierte sie bei Lanz. Die industrielle Struktur? Verschwunden. Die junge Intelligenzija? Abgehauen in den Westen. Und dann dieser Rechtsruck, nein, dieser Rechtsruck. Einen öffentlichen Brief an Angela Merkel habe sie geschrieben, nachdem die Kanzlerin im Osten niedergebrüllt worden war. So verstört sei sie gewesen. Mehr als eine Millionen Menschen hätten diesen ihren Brief inzwischen gelesen. Ihre Stimme zittert. Jana Hensel ist von sich selbst ergriffen. Hatte man sich verhört, oder hatte sie dann tatsächlich noch das Wort „Eliten-Austausch“ gesagt?

Neben ihr sitzt ein weißhaariger Herr, der ungläubig staunend den Kopf schüttelt: Bernhard Vogel. Von 1992 bis 2003 war er Ministerpräsident von Thüringen. Ein „Landesvater“ im wahrsten Sinne des Wortes. Er habe seine aus dem Westen importierten Minister so schnell wie möglich gegen fähige Leute aus dem Osten ausgetauscht, versichert er Hensel. Sie verwechsele Ursache und Wirkung. Dass 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch nicht alles rund laufe, sei doch eine Folge der jahrzehntelangen Zweiteilung, nicht der Wiedervereinigung. Vogel sagt: „Ich habe das Gefühl, dass es Leute gibt, die Vorurteile gegenüber dem Osten sehen, wo gar keine Vorurteile sind.“

Die DDR ist verschwunden, aber nicht das Land

Vier Tage, bevor die Menschen in Brandenburg und Sachsen einen neuen Landtag wählen, hat er ie Stimmung damit auf den Punkt gebracht. Es gibt Menschen, die stecken noch immer in der Erinnerungsfalle. Der Staat DDR ist von der Landkarte verschwunden, aber nicht ihr Land. In ihrer Erinnerung ist beides zu einer nostalgischen Einheit verschmolzen. Sie trennen nicht mehr zwischen der Diktatur und dem, was sie ihre Heimat nennen. Sie lassen sich nicht aus dem Paradies ihrer Erinnerung vertreiben.

Die AfD bestärkt sie darin. Mit Slogans wie „Vollende die Wende!“ beschwört sie die Erinnerung an diese Zeit, wo für einen Moment alles möglich erschien: Marktwirtschaft ohne Risiko. Demokratie ohne eigene Verantwortung – das Bällebad der DDR-Kindheit, reloaded. So isser, der Ossi, suggerieren Jana Hensel oder der Spiegel mit dem schwarz-rot-goldenen Anglerhut auf seinem Cover, welches ihr ja so gar nicht gefallen hat. Larmoyant, verängstigt, nicht bereit, sein Leben in die Hand zu nehmen, empfänglich für die Versprechungen rechter Parteien.

Optimismus als Erfolgsrezept

Aber isser wirklich so? Das Bild des Ossis, wie ihn Jana Hensel sieht, ist eher eine Karikatur. Es bestätigt viele der Klischees, die manche im Westen immer noch haben. Und ausgerechnet die „Ossi-Versteherin“ trägt damit nicht zum gegenseitigen Verständnis bei. Sie entlarvt sich selbst als ewig-gestrig. Die Zeit ist über die von ihr verbreiteten Klischees hinweggegangen. Nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen findet nur noch jeder dritte Westdeutsche, dass Ossis mehr jammerten als sie. Jeder vierte Ossi sagt das umgekehrt übrigens auch über sich selbst. Man sieht: Die Vorurteile sind noch nicht verschwunden, aber sie sind schwächer geworden.

Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet die Politiker aus dem Osten gut im ganzen Land ankommen, die dieses Klischee längst hinter sich gelassen haben. Wie hat es Franziska Giffey, die Hoffnungsträgerin der SPD, mit Karl Valentin formuliert? „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. Diese Jammer-Ossi-Tour find‘ ich furchtbar.“

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