Marc Quinns Denkmal für Bristol - Blackout Matter

In Bristol hat der Künstler Marc Quinn ein Denkmal für Black Lives Matter errichtet. Auch wenn dieses nach wenigen Stunden wieder abgebaut werden musste, so offenbart es dennoch den Kitsch unserer geschichtslosen Gegenwart.

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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Hier also wird die Reise hingehen: Am Ende der uns quälenden Erinnerungen, wenn alle Statuen der Väter gefällt und alle Kunstwerke zu Staub zerfallen sein werden, wird sich eine farbige Frau wie ein Phönix aus der Asche unseres post-imperialen Jahrhunderts erheben und uns in eine von falschen Texturen bereinigte Zukunft führen. Wie eine Tania Bunke of Color, ausgeworfen aus dem 3-D-Drucker eines britischen Künstlers – welch ein Pygmalion unserer sonst so lustlosen Epoche! – wird uns diese Unbekannte vom Nullpunkt der Erinnerungen, von diesem kaum noch zu ertragenden Rauschen, ins Land der wahren Geschwisterlichkeit hinüberführen. Die Freiheit wird dann wieder das Volk anführen und wir werden empört, erschöpft und glücklich sein.

Was für eine Vision! Der britische Bildhauer Marc Quinn hat sie uns am letzten Mittwoch geoffenbart. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, welche ein wenig an das verborgene Engagement seines Landsmanns Banksy erinnert, hat Quinn den Sockel des einstigen Denkmals für den britischen Sklavenhändler Edward Colston erklommen (dessen Abbild hatten Aktivisten von Black Lives Matter bereits im Juni gestürzt und im nahegelegenen Hafenbecken versenkt), um auf den Ruinen des Gestern seine neue Welt zu errichten: Diese wird dereinst vor allem aus dem hyperrealistischen Abbild der Bristoler Aktivistin Jen Reid bestehen. 

Ein Moment gehört materialisiert

Quinn, einst Shootingstar der sogenannten Young British Artists und Ex-WG-Mitbewohner von Damien Hirst, hatte das Antlitz Reids, das er da in seiner Skulptur mit Namen „A Surge of Power“ verewigt hat, ein paar Tage zuvor auf Instagram erblickt. Am Nachmittag des Sturzes von Edward Colston nämlich war die Bristoler Demonstrantin auf den verwaisten Sockel gesprungen, hatte ihre Hand zur Faust geballt und sich in dieser Pose fotografieren lassen. Quinn war von diesem Bild unmittelbar ergriffen: „Ich dachte, dass es wunderbar sein müsse, wenn man in just diesem Augenblick eine Skulptur von ihr erschaffen hätte. Denn dieser Moment gehörte materialisiert.“ Also setzte sich der Bildhauer mit der Aktivistin in Verbindung, und gemeinsam erschufen sie das neue Denkmal am Bristoler Hafen.

Und da stand es nun: schwarz wie Kunstharz und weiß wie Unschuld. Vergleichbar vielleicht mit dem übermenschlichen David von Michelangelo auf der florentinischen Piazza della Signoria hielt seine Stärke und seine Würde die Stadt von den Feinden der Gleichheit ab. „Die Erschaffung dieser Skulptur ist wichtig, sie trägt dazu bei, die Reise in Richtung Rassengerechtigkeit voranzutreiben“, so Jen Reid in einer Stellungnahme zu ihrer skulpturalen Dublette.

Kunst ohne Auftrag

Nun gab es indes einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Wo Michelangelo einst von der Arte Della Lana, der Wollweberzunft von Florenz gebeten worden war, seinen marmornen Jüngling auf den Sockel vor dem Palazzo Vecchio zu heben, da handelte Quinn ganz ohne Auftrag. Und was im republikanischen Florenz sicherlich ein Skandal gewesen wäre, das nahm auch im demokratischen Bristol seinen behördlichen Gang: Marvin Rees, Bürgermeister der englischen Hafenstadt, die im 17. und 18. Jahrhundert Drehkreuz des globalen Sklavenhandels war, unterstrich am vergangenen Mittwoch, dass „A Surge of Power“ weder angefordert noch genehmigt gewesen wäre. So kam es denn, wie es kommen musste: Das, was Quinn da unter Mühen phallisch in die Höhe gestemmt hatte, kam wieder runter. Über die Zukunft des Sockels, so Bürgermeister Rees, entschieden am Ende einzig die Bürger.

Eine kleine Bitternis blieb da schon. Nicht, dass Quinns „A Surge of Power“ eine Dauerlösung gewesen wäre; indes: für einen Moment erzählte das neue Denkmal viel von einer am Horizont lauernden Zukunft. Denn so werden wir uns vielleicht eines Tages erinnern, wenn wir dem großen Vergessen noch einmal gedenken werden – der Amnesie, die da über uns kam, als wir im Sommer des Jahres 2020 zur weiträumigen Flurbereinigung der Geschichte anhoben.

Karikatur im nassen Gewand

Es ist in der Tat etwas ernüchternd. Und als Zeitgenosse von Marc Quinn darf man überrascht bis enttäuscht reagieren. Ein erster Bildabgleich zwischen dem Kommenden und dem Gewesenen nämlich offenbart verstörende Ähnlichkeiten. Das Zeitalter, das man gestern noch demütig das „Postheroische“ genannt hat, ruft mit dieser Darstellung nach neuen Helden. 

Der Hyperrealismus, jüngst noch als formale Hülle für alles Verbrämte geschmälert, als gießharzgehärtetes Gehäuse der Ideologien, reckt sich in Bristol nach neuer Größe. Etwas mehr Visionen, etwas mehr Phantasie in der Darstellung hätte man einer menschlicheren Zukunft schon gern gewünscht. Denn es ist ja zweifellos richtig, das Gedenken an die Verbrechen der Sklaverei braucht einen zeitgemäßen Ausdruck. Aber warum dann diese Karikatur im nassen Gewand? Sie offenbart vielleicht einzig wie reaktionär das Morgen sein kann, implementiert man es auf einer Erinnerungslücke.
 

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