Maler Norbert Bisky - Die Welt dringt ein

Kann man gegen die Pandemie anmalen? Die Idee für ein Corona-Bild ist da, doch noch verspürt der Maler Norbert Bisky inneren Widerstand, das Virus in seine Kunst zu lassen – dafür arbeitet er in seinem Friedrichshainer Atelier jetzt mit Spiegeln.

Der Maler Norbert Bisky will direkt im Herzen Berlins arbeiten / Urban Zintel
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Boris Pofalla ist freier Autor, schreibt vor allem über Kunst und lebt in Berlin.

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Es wirkt ein bisschen wie in einer großen Zeitkapsel. Im Hinterhof eines Berliner Mietshauses in der Boxhagener Straße in Friedrichshain hat sich ein aus rotbraunen Ziegeln gemauerter Pferdestall aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten, samt breiter Rampe in den ersten Stock. Hier arbeitet Norbert Bisky seit 2015, es ist schon sein drittes Atelier in diesem, man muss es so sagen, Szenekiez. Und zwar bewusst. „Ich möchte mitten in der Stadt sein. Ich will nicht in die Uckermark. Ich möchte, dass die da besoffen nachts vorbeilaufen, wenn ich abends nach Hause gehe.“ Andere könnten das vielleicht gut, sich völlig von allem abkoppeln, er nicht.

Bei Eintritt ins Atelier bekommt man einen kurzen Schreck: Auf dem Boden liegt ein Haufen zerschnittener Leinwände. Schaffenskrise? Nein. Für eine im Februar eröffnende Schau in Savannah, Georgia, zerschneidet Bisky eigene Bilder und klebt sie stückweise auf Spiegel, die wiederum auf Keilrahmen montiert sind. Collagen hat der für seine figurative Malerei bekannte, 1970 in Leipzig geborene und bei Georg Baselitz studierte Künstler schon vorher geschaffen. Die Spiegel sind neu.

Corona muss draußen bleiben

„A. R. Penck hat mal zu mir gesagt, ‚Ja, das Problem sind immer die Hintergründe‘.“ Dieses Problem gibt es nicht mehr, der Hintergrund der Bilder sind im Moment wir – das Atelier mit seiner Ziegelwand spiegelt sich, die Werkzeuge, Kisten, Fenster, der Künstler selbst. Die Welt dringt ganz unmittelbar in die Arbeiten ein.

Auch das Thema Nummer eins, die Pandemie? Es liegt nahe, die katastrophische Stimmung auf seinen jüngsten Leinwänden als Anspielung auf die Corona-Lage zu verstehen. In seiner Schau mit dem Titel „Disinfotainment“ in der G2-Kunsthalle in Leipzig zeigt Bisky unter anderem eine Hand, die aus dem Laptop eines jungen Mannes springt und ihm den Mittelfinger zeigt. Ist das ein Kommentar zur Pandemie und den sie begleitenden Hassbotschaften? Nicht direkt. 

„Ich habe eine Idee für ein Corona-­Bild, und zwar schon seitdem es das Virus gibt. Aber ich male es einfach nicht. Ich verspüre einen sehr großen Widerstand, dieses dämliche Virus und alles, was damit in Zusammenhang steht, in meine Bilder hereinzulassen. Es wird vielleicht irgendwann passieren, aber noch nicht im Moment.“

Gegen Corona anmalen?

Wir wechseln in den ersten Stock. Hier, in einem ungleich größeren Raum als dem im Erdgeschoss, malt Bisky an mehreren Leinwänden gleichzeitig. Ölmalerei ist noch immer die Grundlage seiner künstlerischen Praxis, und die nimmt er ernst. Die Produktion hat jedenfalls nicht nachgelassen. Es ist gut für ihn, auch spätabends nach der Arbeit noch immer irgendwo aufschlagen zu können. Das wird jetzt wieder schwieriger. Am Tag unseres Treffens verabschiedet der Berliner Senat ein Tanzverbot, um die Klubs der Hauptstadt wenn schon nicht zu schließen, dann doch wenigstens maximal unattraktiv zu machen. In einem Interview mit dem Spiegel hat Bisky im Herbst 2020 erklärt, warum das Nachtleben für manche Menschen existenziell wichtig ist. Nun wird es wieder abgewürgt. 

Aber dagegen anmalen? Corona sei ein Fußballthema: Alle reden mit, wenige kennen sich aus. „Es gibt ja gerade unter Künstlern Leute mit extrem viel Sendungsbewusstsein, die anderen Menschen immer gern die Welt erklären möchten. Das habe ich auch ein bisschen: dass ich meine Sicht auf die Welt und die Dinge zeigen will. Aber eigentlich ist das, was ich hier mache, so angelegt, dass es auch wieder sehr spielerische und freie Elemente bekommt, ich mich sozusagen durch meine Arbeit lockerer mache. Das ist meine Reaktion auf die Lage, wenn man so will.“

Der Verzögerer

Lockerer machen durch Arbeit, das klingt gut. Die rollbaren Tische im Atelier, auf denen unzählige Pinsel und Farbtuben liegen, sind nach Farbskalen geordnet: Da gibt es einen blauen Wagen und einen gelb-orangen und einen grünen. Norbert Bisky liebt Ölfarbe, ihre Vielseitigkeit und Wandelbarkeit sei unerreicht. Im Moment male er in sehr dünnen Lagen, das trockne auch schneller. „Man kann aber auch Verzögerer hinzufügen, dann trocknet die Farbe langsamer. So was habe ich noch nie benutzt, aber es ist eins meiner Lieblingsworte: Verzögerer.“

Wir schauen auf ein unfertiges Bild. Auf der mittelgroßen Leinwand blickt ein auf dem Rücken liegender junger Mann auf sein Smartphone, das Gesicht wird vom Display sanft erleuchtet. Man kann nicht sagen, ob er gerade bei Ebay einkauft oder eine sehr persönliche Nachricht beantwortet, aber man tippt instinktiv auf Letzteres – dann wäre das hier ein Genrebild aus dem 21. Jahrhundert, mit iPhone statt Brief und Siegelwachs. So also kommen neue Dinge in die Malerei – mit Verzögerung.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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