Löschung von RT-Kanälen auf YouTube - Das Ideal kann nicht der Maßstab sein

RT Deutsch ist Putins Propaganda-Sender. Die dort aufgestellten Behauptungen sollen offensichtlich die deutsche Gesellschaft polarisieren. Doch dass YouTube wegen Desinformation gleich alle Kanäle des Senders löscht, ist hochproblematisch. Das ist ein unzulässiger Eingriff in die Presse- und Medienfreiheit.

Redaktionsräume des russischen Auslandssenders RT DE / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das Grundgesetz ist relativ eindeutig. Dort heißt es mehr oder minder unmissverständlich in Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Daran gibt es eigentlich wenig zu deuteln. Eingeschränkt wird diese Freiheit lediglich durch Absatz 2 des Artikel 5, wo man lesen kann: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Diese Bestimmungen sind überaus liberal. Und das ist auch gut so. Im Grunde besagen sie: Man darf alles sagen und publizieren. Ausgenommen sind Beleidigungen, Aufrufe zu Straftaten und Inhalte, die gegen die näheren Bestimmungen des Jugendschutzes verstoßen. Doch die sind kontextabhängig und altersgruppenbezogen. Davon etwa, dass nur Wahrheiten verbreitet werden dürfen, steht ausdrücklich nichts im Grundgesetz. Es wäre auch ziemlich lächerlich.

Bild-Zeitung jubelt

Als am vergangen Dienstag Googles Videoplattform YouTube zwei Accounts des russischen Senders RT Deutsch sperrte, war das also alles andere als eine Lappalie. Und wenn dann auch noch die Bild-Zeitung stellvertretend für andere, dezentere Medien jubelt, wegen „Falschinformationen“ gegen „Putins Propaganda-Sender“ hätte YouTube „durchgegriffen“, bekommt die Sache schon im Vorfeld Schlagseite.

Ja, RT DE ist ein Propaganda-Sender. Und es ist Putins Propaganda-Sender. Es werden dort regelmäßig Behauptungen aufgestellt, die einer Überprüfung nicht immer standhalten. Mehr noch: Es besteht der Verdacht, dass dies nicht nur beiläufig geschieht, sondern in der Absicht, die deutsche Gesellschaft zu polarisieren. Idealiter sieht das Ethos von Medien in demokratischen Gesellschaften anders aus. Aber der Idealfall kann nicht der Maßstab sein.

Verbreitung medizinischer Falschinformationen

Doch was waren eigentlich die Hintergründe für YouTubes Löschaktion? Am 21. September erhielt RT DE von YouTube eine Verwarnung – im YouTube-Jargon „Strike“ genannt. Die Begründung: RT DE verstoße gegen die Covid-Richtlinien und verbreite medizinische Falschinformationen. Nachdem RT die inkriminierten Inhalte daraufhin über seinen Account „Der fehlende Part“ hochgeladen hatte, erfolgte die Löschung aller RT-DE-Kanäle. Konkreter Anlass für YouTubes Maßnahmen war also der Versuch, Geschäftsbestimmungen zu umgehen. Daran ist wenig auszusetzen. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, läuft Gefahr, vom Spielfeld genommen zu werden.

Etwas anders sieht es hinsichtlich des Verstoßes gegen die Richtlinien zur Verbreitung medizinische Falschinformationen aus. Angeblicher Anlass für die Löschung der RT-Accounts war ein Falschbericht über pathologische Untersuchungen an Menschen, die angeblich nach Covid-Impfungen verstorben seien – durchgeführt an einem Institut, das es gar nicht gibt und von Ärzten, die besagte Patienten nie gesehen haben. Die präsentierten Befunde dürfen getrost als Unsinn gelten.

Jeder hat das Recht, sich selbst zu schaden

Ja, medizinische Fehlinformation können Leben gefährden. Deshalb sind sie weniger harmlos als wirre Theorien über angeblich inszenierte Mondlandungen. Allerdings darf man hierzulande ganz ungestraft die unsinnigsten Heiltherapien anbieten. Und Globuli erfreuen sich nicht zuletzt im Milieu der Gutausgebildeten großer Beliebtheit. Jeder hat im gewissen Sinne das Recht, sich selbst zu schaden, irgendeinem Guru zu folgen oder eben auch den Ansichten von RT DE.

Angesichts der aktuellen Situation kann man vielleicht darüber diskutieren, Desinformationen bezüglich möglicher Nebenwirkungen von Impfungen aus dem Netz zu nehmen. Hochproblematisch ist es jedoch, nicht nur einen Beitrag, sondern ganze Accounts komplett zu löschen. So hat man beispielsweise ein Interview von Thomas Fasbender mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Roland Koch gleich mit entfernt. Das ist, man mag von RT DE halten, was man will, ein unzulässiger Eingriff in die Presse- und Medienfreiheit.

So richtig peinlich wird es dann, wenn die Bundesregierung in Gestalt von Steffen Seibert jeden Einfluss auf den Vorgang bestreitet. Denn es war die Bundesregierung, die mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Medienanbieter unter Androhung von Bußgeldern zu einer Art Zensur auf ihren Plattformen verpflichtet hat. Schon seit Monaten läuft daher eine Abschaltungswelle durch die sozialen Netzwerke. Vieles von dem, was das gelöscht wurde, ist Blödsinn. Doch viel gefährlicher als solcher Unfug ist die zunehmende Tendenz, Unliebsames vom Netz zu nehmen und den Vorwurf der Zensur mit Hinweis auf die ausführenden Privatunternehmen zu bestreiten.

Doch auch Zensur von Unternehmen im Namen des Staates ist Zensur. Und dagegen steht immer noch das Grundgesetz.

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