Literaturen im Februar - Polykrise, Papiercontainer, Piraten

Historiker ziehen Parallelen von der Gegenwart zum Krisenjahr 1923, Christian Haller widmet sich der Quantenphysik in Novellenform, Arno Geiger zeigt sich als Simplizissimus der 1980er-Jahre, und David Graeber sieht Piraten in einem neuen Licht.

Literaturen im Februar
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Annus horibilis

Die Herausforderungen der Gegenwart verstärken die Aufmerksamkeit für 1923. Neben Volker Ullrich widmet sich eine Vielzahl von Autoren dem Krisenjahr schlechthin.

In der Reichshauptstadt begann das Jahr 1923 ziemlich turbulent. Die Vossische Zeitung meldete nicht nur ungewöhnlich hohe Temperaturen in Berlin, sondern auch Zehntausende Menschen auf übervollen Straßen, die zudem „unheimlich“ viel getrunken hätten. Mehr als 60 Personen seien durch Feuerwerk, bei Schlägereien und im dichten Gedränge verletzt worden. Kaum jemand habe sich an die festgesetzte 3-Uhr-Sperrstunde gehalten. „Aus Pistolen und anderen Knallwerkzeugen“ hätten die Menschen „ihrem übervollen Herzen Luft“ gemacht, und die Polizei musste in der „aufgeregten und lärmenden Silvesternacht (…) einen schweren Straßendienst“ versehen. 

Die Zeitung erklärte die nächtlichen Exzesse und Ausschreitungen mit dem drängenden Wunsch der Menschen, das „kaum mehr ertragbare“ 1922 endlich hinter sich zu lassen, auf dass das neue Jahr nun die „große Wandlung: den Weg zum Besseren, bringen möge“. Es sollte anders kommen. Denn 1923 ging als das „Krisenjahr“ schlechthin in die jüngere deutsche Geschichte ein, in dem sich linke und rechte Umsturzversuche, eine irrwitzige Hyperinflation, die Besetzung des Ruhrgebiets durch ausländische Truppen, separatistische Bewegungen im Reich, die latente Gefahr einer Militärdiktatur und drei Regierungswechsel zu einer „totalen Krise“ (Ulrich Herbert) verdichteten. 

„Das Jahr am Abgrund“, „Außer Kontrolle“, „Kampf um die Republik“, „Rettung der Republik?“, „Totentanz“ und „Endstation“. Die Untertitel der Neuerscheinungen zum Jahrhundertjubiläum überbieten sich in dramatischen, aufmerksamkeitsheischenden Wendungen. Alle liefern solide, gut lesbare Darstellungen der Ereignisse und stützen sich dabei auf zeitgenössische Zeitungsberichte und manchmal identische Tagebucheinträge prominenter Zeitgenossen. Doch keines der Werke bringt wirklich neue Erkenntnisse, keines erschließt neue Quellen zum annus horribilis.

Nicht über den deutschen Tellerrand hinaus

Vor allem die von Historikern verfassten 1923-Bücher unterscheiden sich allenfalls in Nuancen, etwa in einer chronologischen (Ralf Georg Reuth), thematischen (Volker Ullrich) oder geografisch gegliederten Darstellung (Peter Longerich). Longerichs Buch enthält zahlreiche Abbildungen, während Reuth ganz auf zeitgenössische Fotografien verzichtet.

Die Titel setzen nur an wenigen Stellen unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. So fällt das Kapitel zum Hitler-­Putsch beim Hitler-Biografen Volker Ullrich besonders ausführlich, aber auch spannend geschrieben aus. Ullrich legt ohnehin die detailfreudigste Darstellung vor. Bei ihm erfährt man nicht nur den Namen des Postministers im ersten Kabinett Stresemann oder das exakte Abstimmungsergebnis beim erfolgreichen Misstrauensantrag gegen den Reichskanzler Ende November 1923, sondern auch, was es mit der Idee der „Roggenmark“ im Kampf gegen die rasante Geld­entwertung auf sich hatte. Der Politikwissenschaftler Peter Reichel dagegen hat in seiner stärker analytischen Darstellung eher die großen Linien des Jahres im Blick und liefert das schmalste Buch zum Thema.

Dass die großen deutschen Verlage ein halbes Dutzend Titel zu 1923 auf den Markt werfen, ist dem selbst schon inflationär gewordenen Trend zu Jahresbüchern geschuldet, der mit Florian Illies’ „1913“ seinen Ausgang nahm. Zwei der Bücher, die Titel der Journalistin Jutta Hoffritz und des Drehbuchautors Peter Süß, versuchen mehr oder weniger gelungen, den illiesschen Stakkato-Stil nachzuahmen. Hoffritz’ „Totentanz“ – der Titel ist wörtlich zu nehmen, weil im Mittelpunkt der auf wenige Personen konzentrierten Darstellung die jung verstorbene Tänzerin Anita Berber (1899–1928) steht – ist allerdings nur etwas für Leser, die über 1923 etwas im Twitter-­Stil des Jahres 2023 erfahren wollen.

Leider verharren alle vorzustellenden Werke in einer nationalen Nabelschau und blicken nur partiell über den deutschen Tellerrand hinaus, etwa dann, wenn innenpolitische Entwicklungen in Großbritannien oder Frankreich das Verhältnis zum Reich tangieren. Dabei war 1923 auch global gesehen ein Jahr außergewöhnlicher Krisen: In Spanien putscht sich das Militär erfolgreich an die Macht; die US-Regierung wird von Korruptionsaffären erschüttert, und im August verstirbt Präsident Harding plötzlich im Amt; die junge Republik Österreich steht am Rande eines Bürgerkriegs, und in Japan fordert ein verheerendes Erdbeben fast 150.000 Todesopfer.

Parallelen 100 Jahre später?

Ebenso gehen die auf die politische Ereignisgeschichte fokussierenden Neuerscheinungen nur am Rande auf die teils weitreichenden kulturellen Entwicklungen des Jahres ein, etwa die Uraufführungen von Bertolt Brechts „Baal“ und „Im Dickicht der Städte“ und die Filmpremiere von Sergei Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“. Lediglich bei Ull­rich kommt die „Kultur im Schatten der Krise“ zu ihrem Recht und zu einem eigenen Kapitel, in dem er Literatur, Film und Architektur des Jahres 1923 anspricht.

Keine Frage, das Krisenjahr 1923 ist auch deshalb in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, weil die Wahrnehmung unserer Gegenwart wieder von einer Vielzahl von Krisen dominiert wird. So wird 1923 ein Jahrhundert später für die eh auf Jahrestage fixierten Medien interessant. Der Bundesfinanzminister sah sich schon dazu veranlasst, öffentlich zu versichern, dass 2023 nicht 1923 sei.

Vor allzu viel Analogie warnt auch Volker Ullrich: „Man tut (…) gut daran, die Unterschiede zwischen den heutigen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und der damaligen singulären Konstellation nicht aus den Augen zu verlieren.“ Doch auch wenn die Silvesternacht 2023 nicht die von 1923 war, sondern ihr allenfalls glich, so hallt nach der Lektüre der Neuerscheinungen zum Jahrhundertjubiläum vor allem Peter Longerichs Konklusion nach, wonach vor einhundert Jahren die Krisen zwar zeitweise eingehegt werden konnten, die eigentlichen Krisenursachen aber nicht angegangen worden seien. Auf lange Sicht erwies sich die am Ende des Jahres mühsam erreichte Stabilisierung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich als eine „Stabilitätsillusion“.  René Schlott

Volker Ullrich: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund. C. H. Beck, München 2022. 441 Seiten, 28 €

 

Das Schwirren der Elektronen

Christian Haller schreibt über den Forscher Werner Heisenberg – und lässt erzählerische Innovation vermissen.

Besteht Licht aus Wellen oder doch aus Teilchen? Und wie lassen sich überhaupt Quanten fassen? Was schon in der Physik für reichlich Diskussion sorgte, ruft als literarische Vorlage ähnliche Konfusion hervor. Allerdings in durchaus produktiver Hinsicht, wie Christian Hallers neue Novelle belegt.

Alles beginnt im Nebel: Als der junge Werner Heisenberg des Nachts beobachtet, wie sich ein Spaziergänger zwischen Straßenbeleuchtung und Dunkelheit bewegt, kommt in ihm eine wichtige Frage auf: Woher weiß man, dass dieser Mensch nicht einfach in der Finsternis verschwindet, sondern immer erneut im Kegel auftaucht? Man mag es kaum glauben, aber dieses banale Ereignis soll der Legende nach den Anstoß für die Theorie zur Quantenmechanik des späteren Nobelpreisträgers gegeben haben. 

Und so wie Elektronen um einen Kern schwirren, so kreist auch Heisenberg in der Kurzprosa um Erklärungsansätze für die unsichtbaren Phänomene. Dazu begibt sich der Forscher in die Wissenschaftsklause, reist nach Helgoland, um abgeschottet von allem Unrat und Lärm der Gegenwart nachzudenken.

Was er nicht weiß: Auch jener ältere Herr, der in ihm den Funken zündete, beschäftigt sich gleichzeitig mit für andere nicht wahrnehmbaren, visuellen Eindrücken. Wie in Tagträumen bemerkt der emeritierte Geschichtsprofessor zum Beispiel ein bläuliches Schimmern an Gegenständen. Lässt sich also so etwas wie ein metaphysisches Rauschen ausmachen? Eine arkane Sphäre jenseits des optisch Greifbaren? Davon sind am Ende beide Figuren überzeugt.

Nachdem der abendliche Wanderer vor Jahren seine Frau verloren hat, scheint er mithin die Gewissheit zu haben: „Jetzt gibt mir der Gedanke, dass sie in dem, was ich und wie ich es sehe, stets ein wenig anwesend ist, das Gefühl, weniger allein zu sein, als ich es bisher gewesen bin.“ Sei es in Form von flirrenden Quanten oder seien es die Verstorbenen – das Wissen um die geisterhaften Kräfte und Energien im Kosmos vermag durchaus Trost zu spenden. Man ist eben immer in Gesellschaft, irgendwie zumindest.

Obwohl der Text stellenweise tricky von naturwissenschaftlichen Detailüberlegungen erzählt, verhandelt er hinter dieser Kulisse somit sehr existenzielle Anliegen. Hierin tritt auch der Charakter des gerade wieder in Mode kommenden Genres der Novelle zutage. Sie strebt danach, die große Welt im kleinsten Maßstab zu spiegeln: Debattieren wir heute über Fake News, so belegt „Sich lichtende Nebel“ eindrucksvoll, dass das Dasein seit jeher von Unschärfen durchdrungen ist. Wahrheit hängt eben vom Standpunkt ihrer Betrachtung ab.

Mehr Luzidität und Weite lassen sich daher kaum auf einem begrenzten Raum versammeln, wie ihn Hallers anekdotische Geschichte bereitstellt. Literarisch überzeugt das Werk allerdings nur mäßig. Jenseits der Parallelmontage zweier sich subtil überschneidender inhaltlicher Fäden mangelt es dem sogar trotz seiner Kürze zähen Text vor allem an sprachästhetischer Finesse. Der Kreativität seiner Protagonisten wird der Autor mit seiner allzu konventionellen Erzählweise nämlich nicht gerecht. Oder um es elektrotechnisch auszudrücken: Auf dieser Leitung sucht man vergeblich nach Spannung.  Björn Hayer

Christian Haller: Sich lichtende Nebel. Luchterhand, München 2023. 128 Seiten, 22 €

 

Das Leben der Anderen

„Das glückliche Geheimnis“ ist Arno Geigers bislang persönlichstes Buch.

Alles beginnt mit einem Zufallsfund. Der Student Mitte zwanzig aus Vorarlberg sieht fünf Bananenkartons mit Büchern vor einem Wiener Papiercontainer stehen und schleppt sie in seine winzige Bude: „So kam es, dass ich vom guten Weg abwich und aufs Geratewohl losmarschierte auf ein Terrain, das gekennzeichnet ist von Schmutz und fehlender Schicklichkeit.“ 

Schmutz, fehlende Schicklichkeit und Außenseitertum – solche Wörterspuren sind aus dem derzeit so beliebten autofiktionalen Erzählen vom eigenen Herkommen bekannt. Arno Geigers jüngeres Ich hat kein Ziel im Leben außer dem, Schriftsteller zu werden, kein Einkommen außer als Beleuchter während der Bregenzer Festspielsaison, zwei wieder und wieder durchgearbeitete Romane in der Schublade und keinen Verlag in Aussicht. Aber „Das glückliche Geheimnis“ kommt weitgehend ohne Larmoyanz aus. Sein Tonfall ist mal verspielt, mal sachlich, die Erzählhaltung grundiert von freundlicher Selbstironie, und der junge Mann, auf den der heute 54-Jährige zurückblickt, erscheint als eine Art Simplizissimus der 1980er-Jahre. 

Zu seiner Überraschung wird das Altpapier zunächst zum Geschäftsmodell und später zur Schule des Schriftstellers. Frühmorgens dreht er in abgerissenen Klamotten seine Runden von Container zu Container, taucht hinein und findet wertvolle Editionen und Inkunabeln, die er Antiquariaten verkauft, findet Lesestoff, den er später auf dem Flohmarkt zu Geld macht. Die Kehrseite: Scham und die Angst vor dem endgültigen Scheitern. 

Hier kommen private Tagebücher und Briefbündel ins Spiel, die beim Entrümpeln ebenfalls im Altpapier gelandet sind. Der angehende Schriftsteller verschlingt auch diese intimen Äußerungen wildfremder Menschen. Geboren aus einer Alltagssituation und in sie hineingeschrieben, lehren sie ihn, „man müsse so schreiben, als sei das, was beschrieben werde, schon da“, dürfe nicht so viel erklären. Er, der sich immer wieder an seinen beiden Schubladen-Romanen verkünstelt hat, nimmt sich vor, ein „Künstler des Ungekünstelten“ zu sein.

Die Poetik des Alltags und der Unmittelbarkeit ist ein wesentliches Merkmal von Arno Geigers Büchern. Doch auch die authentisch wirkende Psychologie seiner Figuren und die Originalität ihrer Geschichten verdanken sich, wie er hier offenbart, den Leben der anderen, in die er so unvergleichliche Einblicke gewinnen konnte.

„Das glückliche Geheimnis“, Arno Geigers bisher persönlichstes Buch, verwebt sein „Doppelleben“ als Con­tainertaucher und werdender Schriftsteller mit wesentlichen Lebensstationen, mit den gewundenen Pfaden der Liebe, mit Krankheit und Tod von Eltern und Freunden und mit den Erfahrungen des Literaturbetriebsteilnehmers. 

Seine Mülltauchgänge haben Arno Geiger nicht nur vieles über das Erzählen gelehrt, sondern auch über die archäologische Ressource Abfall, über das Archiv der Gefühle, das unerkannt im Altpapier schlummert, bevor es „zu Brei geschlagen“ wird. Diese Allegorie auf Leben und Schreiben bildet den Hintergrund seines originellen Selbstporträts. Darin sind die Glanzlichter wie die schattigen Partien sehr bewusst gesetzt. Erst so entsteht die Wirkung des Ungekünstelten – ganz im Sinn des Autors. Julia Schröder

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis. Hanser, München 2023. 240 Seiten, 25 €

 

Brutal demokratisch

David Graeber beschreibt Piraten als Vorbilder für eine offene Gesellschaft.

Piraten. Man meint schnell, man kennt sie schon lange. Aus der eigenen Kindheit. Aus Bilderbüchern. Aus Geschichten, die einem vorgelesen wurden. Vom Spielen mit Piratenschiffen. Aus Kinofilmen für Klein und Groß. Doch dann liest man dieses Buch und merkt rasch: Man muss noch einmal ganz von vorne beginnen. Man muss sich Piraten und Piraterie noch einmal neu nähern. David Graeber hat dies zu verantworten. Der 2020 überraschend verstorbene Professor für Anthropologie an der London School of Economics hat einmal mehr ein überaus lesenswertes Erbe hinterlassen – nach seinem ebenfalls posthum erschienenen Welterfolg „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“. 

Man merkt Graeber die Freude an seinem Gegenstand bereits auf den ersten Seiten an. Selbst begeistert und begeisternd ruft er seiner Leserschaft zu: „Lasst uns eine Geschichte über Zauberei erzählen, über Lügen, Seeschlachten, entführte Prinzessinnen, Sklavenaufstände, Menschenjagden, Fantasiekönigreiche und betrügerische Botschafter, Spione, Juwelendiebe, Giftmischer, Teufelsanbetung und sexuelle Obsessionen, die mit dem Ursprung der modernen Freiheit verbunden sind.“

Ebenfalls verbunden hiermit ist aber auch ein aufklärerisches Anliegen. Graeber will herausarbeiten, was in der Tat bislang weniger wahrgenommen wird – zumindest jenseits der Fachöffentlichkeit: Piraten und Freibeuter schufen revolutionäre Ideen für eine offene Weltgemeinschaft. Dabei verweist er auf seinen amerikanischen Historikerkollegen John Markoff, der behauptet habe, dass einige Formen der Demokratie, die von Staatsmännern der Aufklärung in der Hemisphäre des Nordatlantiks entwickelt wurden, ihre Premiere höchstwahrscheinlich in den 1680er- und 1690er-Jahren auf Piratenschiffen erlebt hätten.

Als Sozialanthropologe ergänzt Graeber den Hintergrund dieser Entwicklung. Besatzungen von Piratenschiffen hätten oft aus sehr unterschiedlichen Menschen bestanden, die Erfahrungen mit vielen verschiedenen Gesellschaftsordnungen mitbrachten. Denn auf ein und demselben Schiff konnten sich Engländer, Schweden, geflohene afrikanische Sklaven, Kreolen aus der Karibik, indigene Amerikaner und Araber befinden. Sie wären also einem gewissen, der Not gehorchenden Egalitarismus verpflichtet gewesen. Solche Besatzungen wurden in Situationen zusammengewürfelt, in denen die schnelle Schaffung neuer institutioneller Strukturen eine absolute Notwendigkeit war, sodass sie in einem gewissen Sinn perfekte Laboratorien für demokratische Experimente abgegeben haben.

Zugleich verklärt Graeber Piraterie aber auch nicht: Manche der Männer, die als Piratenkapitäne im historischen Gedächtnis geblieben sind, seien in Wirklichkeit Gentleman-Freibeuter, Kapitäne von Kaperschiffen, offizielle oder inoffizielle Beauftragte europäischer Regime, andere womöglich bloß nihilistische Kriminelle gewesen. Daher ist für ihn das Beste, was man über sie sagen kann, dass ihre Brutalität für ihre Zeit keineswegs ungewöhnlich, ihre demokratischen Praktiken aber nahezu ohne Einschränkung beispiellos gewesen seien. Damit gibt Graeber dem „Goldenen Zeitalter der Piraterie“ ein authentisches Gesicht.  Thomas Speckmann

David Graeber: Piraten. Auf der Suche nach der wahren Freiheit. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 256 Seiten, 24 €

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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