Manche meinen, dass die KI-gestützten Chatbots das Ende der Hausarbeiten in Schule und Studium bedeuten – und dass damit irgendwie das ganze Schulsystem zum Einsturz gebracht werden könnte, weil niemand mehr unterscheiden kann, ob ein Hausaufsatz oder eine Ausarbeitung in Biologie nun von der Schülerin, die sie verfassen sollte, oder von ChatGPT geschrieben worden ist.
Dabei ist die Methode der Nutzung fremder Intelligenz bei den Hausaufgaben schon etwas älter als KI oder deren Internet-Vorgänger Google und Wikipedia. Schon vor Jahrzehnten feilten Mütter an den Hausaufsätzen der Sprösslinge, wälzten Lexika und brüteten über komplizierten Mathe-Aufgaben, während der Nachwuchs gelangweilt oder ungeduldig daneben saß.
Demokratisierung des Hausaufgaben-Schmus
Die Online-Werkzeuge, zuerst die Suchmaschinen, dann die Internet-Enzyklopädien und YouTube-Tutorials, schließlich nun ChatGPT, brachten und bringen vor allem eine Demokratisierung des Hausaufgaben-Schmus durch Nutzung fremder Intelligenz. An die Stelle der klugen Eltern und vor allem der betreuenden Mutter, die nachmittags viel Zeit für die Hausaufgaben ihrer Töchter und Söhne hat, tritt das weitaus besser informierte, in Fragen von Ausdruck, Grammatik und Rechtschreibung von der Mutter nicht zu schlagende, Online-Tool.
Nun können auch Kinder von Nicht-Akademikern ohne Brockhaus und Naturenzyklopädie, fehlerfreie und informative Ausarbeitungen anfertigen, vielleicht schon bald als farbenfrohe und professionell gestaltete PowerPoint-Präsentation, die in Design und Struktur jede semi-professionelle Eltern-Version in den Schatten stellt.
Mehr zum Thema KI:
Der Vorteil der gutsituierten Bildungsbürger-Kinder gegenüber ihren Mitschülern aus so genannten bildungsfernen Haushalten, aber auch gegenüber denen, deren Eltern schlicht nicht die Zeit und die Kraft zur nachmittäglichen oder abendlichen Hausarbeiten-Erstellung haben, liegt vor allem darin, dass sie schon immer eine andere als die eigene Intelligenz zur Verfügung haben, um die Anforderungen der Schule zu erfüllen.
Desto mehr sich die Beurteilung der Leistungen in der Schule aus dem speist, was außerhalb der Schule angefertigt wurde, desto leichter haben es diese Schüler, Fähigkeiten zu simulieren, die sie selbst gar nicht haben. Das können nun dank frei verfügbarer Text-KI auch bald fast alle anderen. Die KI wird zum letzten großen Gleichmacher, der allen ermöglicht, Bestleistungen zu simulieren, ohne sich groß anzustrengen.
KI ist für die Schule eine Chance
Das kann unser ganzes Schulsystem auf wunderbare Weise revolutionieren: Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, eine ist recht einfach zu bewerkstelligen, bei der anderen wird es schwieriger. Es werden zum einen wieder Leistungen gefragt sein, die in der Schule, vor Ort und live, zeigen, wer die Inhalte verstanden hat und wiedergeben kann. Das Gespräch in der Klasse, die Mitarbeit, der mündliche Beitrag im Unterricht, wird wieder zum Kriterium für die Bewertung des Kenntnisstandes und der Fähigkeiten der Schüler.
Zum anderen kann der kreative, überraschende, individuelle Beitrag ein höheres Gewicht bekommen gegenüber der glatten, korrekten, erwartbaren und langweiligen Antwort, die auch von einer KI generiert worden sein könnte.
Die Herausforderung der Künstlichen Intelligenz ist für die Schule und die Ausbildung keine Bedrohung, sondern eine Chance, zu einer gleichberechtigten und zugleich lebendigeren Schule zu kommen. Die Dominanz der elterlichen Intelligenz ist vorbei.