Corona-Krisenmanagement - Berliner Maskenball

In der Corona-Krise ist die Nachfrage nach Schutzkleidung und Masken hoch. Dass es hier Engpässe geben könnte, war schon Anfang März bekannt. Die Berliner Regierung handelte nicht – eines von vielen Zeichen für ihr mangelhaftes Krisenmanagement.

Verändertes Straßenbild in Berlin / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

In den verbliebenen offenen Geschäften und auch auf den Straßen Berlins bietet sich derzeit ein buntes Bild. Zu bewundern sind Mund- und Nasenbedeckungen in allen erdenklichen Farben und Formen, bisweilen auch mit lustigen Motiven für Kinder. Längst sind auch findige Kleingewerbetreibende auf den Zug aufgesprungen und bieten in Heimarbeit oder kleinen Werkstätten gefertigte Masken unter anderem auf den noch geöffneten Wochenmärkten an, wo sie reißenden Absatz finden.

Weniger entspannt und amüsant ist dieser Berliner Maskenball allerdings in Bereichen, die sich an vorderster Front gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie befinden. Masken fehlen vor allem in Arztpraxen, Altenheimen, Krankenhäusern oder bei ambulanten Pflegediensten.

Kein Mangel an Warnungen

Also dort, wo das Infektionsrisiko sowohl für die Beschäftigten als auch für die zu betreuenden Menschen besonders hoch und das „social distancing“ genannte Abstandsgebot von mindestens 1,50 Metern nicht einzuhalten ist. Und das betrifft nicht nur die einfachen OP-Masken, die ihre ohnehin nur geringe Schutzfunktion bereits nach einmaliger längerer Nutzung weitgehend einbüßen und ersetzt werden müssten, sondern auch andere Elemente einer professionellen Schutzausrüstung. Besonders dramatisch ist dabei der Mangel an FFP (Filtering Face Piece)-Masken mit eingebauten Partikelfiltern.

Denn nur die bieten dem Träger einen deutlich verbesserten Infektionsschutz. An Warnungen vor dem drohenden Mangel an Schutzausrüstung hat es nicht gefehlt. Bereits kurz vor und vor allem nach der ersten bestätigten Sars-CoV-2-Infektionen am 2. März wiesen Ärzte- und Pflegeverbände, Gewerkschaften betroffener Besuchsgruppen und Wissenschaftler eindringlich auf den Mangel an Masken und die Engpässe bei deren Beschaffung hin.

„Ein Akt moderner Piraterie“ 

 Doch wie so vieles beim Seuchen-Krisenmanagement des Berliner Senats dauerte es viel zu lange, bis es zu einigermaßen koordinierten Beschaffungsaktionen kam. Und auch dann ging Einiges noch gründlich schief, auch weil die globalen Märkte für diese Produkte mittlerweile deutlich überhitzt sind. Besonders spektakulär war dabei das „Verschwinden“ von 200.000 bestellten FFP-Schutzmasken, die für die Berliner Polizei bestimmt waren.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) trat am vergangenen Freitag die Flucht nach vorne an und bezichtigte die US-Regierung, die in China von einer US-Firma produzierten Masken bei ihrer Umladung auf dem Flughafen in Bangkok konfisziert zu haben. Das sei, so Geisel, „ein Akt moderner Piraterie“. Er fordere die Bundesregierung auf, „bei den USA auf die Einhaltung internationaler Regeln zu drängen.“

Die Perversion des freien Marktes

Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) stieß in dieses Horn. Er machte US-Präsident Donald Trump unmittelbar für den Maskenklau verantwortlich und bezeichnete dessen Handeln als „unmenschlich und inakzeptabel“. Mittlerweile musste Geisel zurückrudern, und Müller hat sich für seine Wortwahl entschuldigt. 

Die Bestellung der Masken war bei einem global agierenden, in Berlin ansässigen Zwischenhändler und nicht direkt bei der US-Firma in China erfolgt. Auch wurden die Masken in Bangkok nicht auf Betreiben der USA „konfisziert“, sondern offensichtlich an einen vermutlich deutlich besser zahlenden Interessenten umgeleitet. Das kann man zu Recht verwerflich finden, und es wirft ein bizarres Licht auf gewisse Perversionen des „freien Marktes“ in Zeiten einer globalen Bedrohung.

Zwei Millionen Schutzmasken für Berlin

Aber das große Besteck aus dem Populistenkoffer („Akt moderner Piraterie“) war offensichtlich überdimensioniert. Eher kleinlaut gab Geisels Sprecher Martin Pallgen am Montag zu Protokoll: „Wir versuchen jetzt gemeinsam mit der Polizei und dem Händler herauszufinden, wie die Kette von Bestellung, Produktion und Lieferung gelaufen und was genau auf dem Flughafen in Thailand passiert ist." 

Immerhin hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Sonntag noch einen großen „Erfolg“ zu vermelden, nämlich die Ankunft von stolzen zwei Millionen Schutzmasken aus China auf dem Flughafen Leipzig und ihr schneller Weitertransport nach Berlin.

Gute Aussichten?

Kleiner Schönheitsfehler: Es sind eben keine klassifizierten FFP-Schutzmasken mit Filtern, sondern die einfachen Mund-Nasen-Bedeckungen. Aber immerhin. Mittlerweile beginnen im „rot-rot-grünen“ Senat die ersten internen Absetzbewegungen und Schuldzuweisungen für das gesamte wankelmütige Krisenmanagement der Landesregierung, etwa bei der zögerlichen und mehrfach nachgebesserten Verordnung von Ausgangsbeschränkungen und Schließungen.

Wenigstens an einer Front hat man sich für sehr viel Geld ein wenig Ruhe erkauft. Binnen weniger Tage wurden mit einem bundesweit einmaligen Programm Soforthilfen mit einem Volumen von über 1,3 Milliarden Euro an rund 150.000 Kleinstunternehmen, Solo-Selbstständige und Freiberufler ausgezahlt, die durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.

An die quasi formlose Antragstellung und die unbürokratische Abwicklung dieses Mammutprogramms wird man sich in der Stadt wohl noch lange erinnern. Aber ein kohärentes, umfassendes Krisenmanagement von der Schutzausrüstung über die Gestaltung von Ausgangsbeschränkungen bis hin zur Vorhaltung von Versorgungs- und Betreuungskapazitäten kann das natürlich nicht ersetzen. Und da lässt das bisherige Agieren des Senats leider nur wenig Gutes erwarten.

Anzeige