Keine Angst vor Fett - Ran an den Speck 

Unser Genusskolumnist isst verhältnismäßig wenig Fleisch und Fleischprodukte. Aber auf eine saftige Bauchscheibe im Eintopf, Pancetta-Würfel in der Pasta und gelegentlich ein paar Scheiben hauchdünn geschnittenen Schinkenspeck will er keinesfalls verzichten.  

Am besten aus Tirol: echter Schinkenspeck (r.) / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Die Jüngeren werden es nur noch aus Erzählungen kennen. Aber es gab tatsächlich Zeiten, in denen konnte man Speck essen, ohne blankes Entsetzen auszulösen und auf den schwarzen Listen von Tierrechtsaktivisten, Kalorienzählern, Herzinfarkt-Apokalyptikern und Krebspropheten zu landen. Speck ist in einigen Kreisen zum Synonym für ungesunde, nahezu suizidale Ernährung geworden. Und wenn er dann auch noch geräuchert oder gar gepökelt wurde, ist man eigentlich schon so gut wie tot, besonders wenn man ihn brät. Denn überall lauern Acrylamid, Nitrosamine und andere Massenvernichtungswaffen. 

Ein uraltes Kulturgut 

Sei’s drum. Wie so viele Lebensmittel entstand Speck aus der Notwendigkeit, haltbare Vorräte für harte Zeiten anzulegen. Eingesalzener Speck ist bereits aus dem alten China bekannt, Räucherkammern gab es im alten Rom, und die Lufttrocknung war in bergigen Regionen Europas bereits vor Jahrhunderten bekannt. Speck war ein begehrtes Gut. Im 12. Jahrhundert versprach eine Kirche in der englischen Stadt Dunmow jedem verheirateten Mann, der vor der Gemeinde und Gott schwören konnte, dass er sich ein Jahr und einen Tag lang nicht mit seiner Frau gestritten hatte, eine Speckseite. Und natürlich wurde nichts weggeworfen. Auch ich habe als Kind noch ungenießbare Speckschwarten benutzt, um die Kufen von meinem Rodelschlitten einzufetten. 

Mal ganz fett, mal mager 

Speck ist natürlich nicht gleich Speck. Durchwachsener bzw. magerer Speck stammt vom Bauchfleisch des Schweins. Fetter Speck stammt aus dem Rücken zwischen Haut und Muskelfleisch und enthält fast ausschließlich reines Fettgewebe. Wird er ungesalzen und ungeräuchert angeboten, spricht man von „grünem Speck“. Schinkenspeck stammt aus der Schweinekeule bzw. der Schweinehüfte. Die Speckschicht ist maximal 2 cm dick und befindet sich unterhalb des mageren Fleisches. Eine genaue Grenze zwischen Schinken und Schinkenspeck ist allerdings kaum zu definieren. Nicht ganz so verbreitet ist Speck aus der Halspartie und den Backen des Schweins. Schinkenspeck eignet sich besonders als Aufschnitt. Es muss auch nicht immer Schwein sein. Sehr delikat sind Spezialitäten vom Rind wie Pastrami, und in muslimischen Kulturkreisen, in denen Schweinefleisch bekanntlich verpönt ist, ist „Beef Bacon“ erhältlich. Eher selten erhältlich, aber ausgesprochen delikat ist auch Lammspeck. 

Schummelei bei „regionalen Spezialitäten“ 

Doch in der globalen Speck-Abteilung ist das Schwein unangefochten die Nummer 1. Einen nahezu legendären Ruf genießen besonders italienische Spezialitäten wie Pancetta (aus dem Schweinebauch) und Prosciutto di Parma (aus der Hinterkeule). Pancetta gehört in jede anständige Carbonara, und Prosciutto ist unter anderem allererste Wahl bei Melone mit Schinken. 

Reichlich Schindluder wird allerdings mit vermeintlichen „Spezialitäten“ wie Südtiroler oder Schwarzwälder Schinkenspeck getrieben. Denn weder die Aufzucht der Tiere noch alle Verarbeitungsschritte müssen in diesen Regionen stattgefunden haben. Das Fleisch kann z.B. auch aus Dänemark kommen, einem der größten Schweinefleischexporteure der Welt. Beim Kauf sollte man auf die offiziellen Siegel für „geschützte Ursprungsbezeichnungen“ wie etwa bei Prosciutto di Parma achten. Und wer sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt, wird die beträchtlichen Qualitätsunterschiede schlicht schmecken. 

Ernährungssoziologe rät zu Bildungsreise nach Südtirol 

Auch der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl ist ein großer Speckfreund. „Wer den diätisch-sportiven Geist des allzu beliebten Neujahrsvorsatzes ,Der Speck muss weg!’ auch auf das Kulinarische überträgt, der irrt geschmacklos und sollte dringend in die Pflicht genommen werden, nun endlich die in jedem Leben unentbehrliche italienische Bildungsreise anzutreten, um dabei gleich zu Anfang, von Norden beginnend, ein Südtiroler Speckfest zu besuchen und mindestens ein halbes Dutzend Südtiroler Speckknödel zu verkosten“, lautet seine Losung für das beginnende Jahr. Danach sollte „das persönliche GeschmacksSPECKtrum deutlich erweitert sein, und wer auch dann noch nicht begriffen hat, dass Speck eine genusskulturelle Errungenschaft ist, dem bleibt vermutlich wirklich nur noch, auf die vegan zertifierte Raumfahrt Richtung Mars zu warten, um dort roten Staub zu essen“, so Kofahl, der das alles noch in einer Losung bündelt: „Ohne Schinken, ohne Speck, hat das Leben keinen Zweck!“ 

Anzeige