Julia von Heinz und ihr Film „Und morgen die ganze Welt“ - Freie Radikale

Einst war Julia von Heinz auf seichte Unterhaltungsfilme gebucht. Mit „Und morgen die ganze Welt“ hat sie nun einen hintergründigen Film über politische Gewalt und Extremismus vorgelegt. Der Film ist jetzt sogar Anwärter auf einen Oscar.

War früher selbst bei der Antifa engagiert: Julia von Heinz / Florian Generotzky
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Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Für eine Begegnung mit Julia von Heinz hätte kaum ein Ort besser geeignet sein können. Hier, im fünften Stock ihres Büros der Filmhochschule in München: unverbauter Blick auf die Alte Pinakothek, im Rücken das Generalkonsulat Israels und das NS-Dokumentationszentrum. Heinz leitet dieses Semester den Studiengang Regie, gemeinsam mit ihrem Kollegen Marcus H. Rosenmüller. 

Der Anlass ist ein ernster, zudem hochpolitisch. Denn Heinz hat mit ihrem Spielfilm „Und morgen die ganze Welt“, der Ende Oktober in die Kinos kommt, ein Antifa-Drama vorgelegt. Bei den Filmfestspielen in Venedig lief er unlängst im Wettbewerb um den Goldenen Löwen.

„Das war eine Zelebrierung des Kinos, dem damit gerade in diesen schwierigen Zeiten auf schöne Weise Respekt erwiesen wurde. Ich habe mir immer wieder gedacht, zum Glück bin ich schon Mitte vierzig und nicht Mitte zwanzig. Heute weiß ich, dass so etwas ein einmaliges Erlebnis bleiben kann, ohne deshalb traurig zu sein“, sagt Heinz und trinkt ihren Cappuccino. 

Der Weg zur Gegengewalt ist kurz

Das gewichtige Thema mag überraschen, waren ihre letzten Kinofilme doch eher von Leichtigkeit durchzogen. Etwa die Verfilmung des Hape-Kerkeling-Bestsellers „Ich bin dann mal weg“ oder „Hanni & Nanni 2“. Filme mit einem Multimillionenbudget, Publikumserfolge, doch von der Kritik verschmäht. Dass sie auch schwere Stoffe inszenieren kann, bewies sie im vergangenen Jahr mit ihrem Schwarzwald-Tatort „Für immer und dich“, einem Missbrauchsdrama, das die Grenzen zwischen Opfer und Täter über die Klischeegrenzen hinaus präzise auszuloten vermochte. 

Nun also die Antifa, ein immerwährendes Reizthema auf dem politischen Parkett. Die Geschichte ist angelegt in der Gegenwart und erzählt von der 20-jährigen Jurastudentin Luisa (Mala Emde), die aus gut situiertem Hause zu ihrer besten Freundin in eine linke Kommune zieht. 

Was zu Beginn mit friedlichen Gegendemonstrationen gegen Neonazis und rechtskonservative Parteien seinen Lauf nimmt, kippt schnell um in Gegengewalt, die Luisa immer tiefer in ihren Bann zieht. Es entspinnt sich ein packendes Drama um die Frage, was eine extreme Radikalisierung in einem Menschen auslöst und ob Selbstjustiz, auch wenn sie einer vermeintlich guten Sache dient, tatsächlich alle Mittel heiligt. 

Ambivalentes Verhältnis zur Antifa

Julia von Heinz, geboren 1976 in Berlin, wächst in Bonn auf. Ähnlich wie ihr Alter Ego Luisa stammt sie aus einer Adelsfamilie. Ihre Eltern waren Bonner Regierungsbeamte. „Meine Mutter hatte einen jüdischen Vater. Sie war früher viel in Israel, hat die Sprache gelernt und uns Kindern früh erklärt, was der Faschismus auch ihrem Vater und seiner Familie angetan hat.“ An ihrem 15. Geburtstag erlebt Heinz ein einschneidendes Erlebnis. Abends werden sie und ihre Hippie-Freunde in der Bonner Rheinaue von Rechten attackiert. „Plötzlich kriegte der Erste eine Ohrfeige, der Nächste einen Tritt. Mein damaliger Freund bekam eine Faust ins Gesicht. Ich hatte eine Heidenangst. Das war für mich der Anstoß, um mir eine Antifa-Gruppe zu suchen.“

Zehn Jahre engagierte sich Heinz in der Antifa. Man könnte ihr eine zu große Nähe zum Thema unterstellen, doch gerade darin liegt ihre Stärke, die Antifa ambivalent darzustellen. „Wir sind uns alle einig darüber, dass 1945 ohne die Gewalt der Alliierten das NS-Regime nicht besiegt worden wäre. Momentan ist keine Gewalt notwendig, weil es eine demokratische Mehrheit gibt. Ich finde es nur dann schwierig, wenn staatliche Organe, die das Gewaltmonopol innehaben, zu sehr verstrickt sind in rechten Strukturen“, sagt Heinz. 

Nächster Film schon in Planung

Der Weg zum Film verlief steinig. Sieben Mal wurde sie bei Filmhochschulen abgelehnt. 2005 wird sie künstlerische Mitarbeiterin des Filmemachers Rosa von Praunheim. Die Zeit ist prägend. „Ich finde, dass Filme die Welt zu einem schlechteren Ort machen können. Etwa, wenn in einem Krimi im öffentlich-­rechtlichen Fernsehen eine nackte weibliche Leiche sehr seltsam über ihren Schritt abgefilmt wird, flankiert von drei witzelnden Polizisten. Solche Szenen reproduzieren ein Gesellschaftsbild, das wir eigentlich schon hinter uns gelassen haben. Warum also nicht das Gegenteil versuchen und die visuelle Kraft des Filmes nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“

Der Cappuccino ist getrunken. Ihr nächster Film „Iron Box“, der auf dem Roman „Zu viele Männer“ von Lily Brett basiert und sich ebenso mit den Nachwirkungen des Faschismus beschäftigt, ist in Planung. „Nicht umsonst liegen hier auf meinem Schreibtisch die ganzen DVDs der amerikanischen Serie ‚Homeland‘, ich möchte Mandy Patinkin für den Film gewinnen“, spricht es und entschwindet mit dem DVD-Stapel aus ihrem Büro.

Diesen Text finden Sie in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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