Judith Butler und die Hamas - Brutaler Anti-Humanismus

Judith Butler, Ikone der Gendertheorie, rechtfertigt die Morde der Hamas als Widerstand. Das zeigt, wie die Linke mit zweierlei Maß misst – und die geistige Verwahrlosung eines akademischen Milieus.

Gendertheoretikerin Judith Butler / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Man kann für oder gegen bewaffneten Widerstand sein, man kann für oder gegen Hamas sein, aber lasst es uns wenigstens bewaffneten Widerstand nennen. Dann können wir debattieren, ob wir es richtig finden oder nicht, ob sie das Richtige getan haben; ob es die richtige Strategie war.“ Soweit Judith Butler, die wahrscheinlich einflussreichste Philosophin der Welt, am vergangenen Sonntag in Paris.

Dort war sie zu einer Diskussionsrunde des linken, postkolonialen Videopodcasts Paroles d’Honneur geladen. Der entsprechende Mitschnitt kursiert seitdem im Netz. Lassen wir zunächst die Umstände, die Gesprächssituation und all das beiseite, was nun seit Tagen diskutiert wird, und vergleichen wir die öffentlichen Reaktionen auf die Äußerungen Butlers mit denen auf das angebliche „Geheimtreffen“ in der Nähe von Potsdam.

Wo bleibt der Aufschrei der Öffentlichkeit?

Wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, fällt sofort auf: Dort ein paar mehrdeutige Äußerungen über „Remigration“ – nach Zeugenaussagen bezogen auf illegale Einwanderer, straffällig Gewordene und solche ohne Aufenthaltsstatus. Hier die knallharte Verharmlosung eines antisemitischen Massenmordes – inklusive der Tötung von Säuglingen, Kindern und feiernden Jugendlichen – als legitimen Aufstand.
 

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Gemessen an den „Demonstrationen gegen rechts“, die insbesondere im Februar Deutschland beschäftigten, müsste es nun eigentlich zu einem Aufschrei der Öffentlichkeit, vertreten durch die Medien und die sogenannte Zivilgesellschaft kommen. Haltung zeigen vor den Hochburgen der Linken, vor Universitätsinstituten, Stiftungen, NGOs und einschlägigen Kultureinrichtungen wäre eigentlich das Mindeste. Doch es herrscht dröhnendes Schweigen, grotesker Weise insbesondere unter den „Nie wieder ist Jetzt“-Beseelten.

Die Gendertheoretikerin aus Berkeley

Angesichts der zynischen und abgeschmackten Äußerungen der Gendertheoretikerin aus Berkeley fällt nicht nur die peinliche Stille seitens jener auf, die immer und überall hysterisch Haltung zeigen, sobald ein Konservativer sich missverständlich ausdrückt. Vor allem beeindruckt die vollkommene Realitätsverweigerung eines Denkmilieus, für die die Ikone Butler symbolisch steht. Denn die Ausführungen der Meisterdenkerin sind ja nicht nur moralisch abstoßend, sondern auch sachlich falsch.

Doch Sachverhalte will man in diesen Kreisen nicht anerkennen. Denn Sachverhalte, so die in manchen Denkschulen verbreitete Ansicht, gibt es nicht. Sachverhalte, so wird gerne behauptet, sind nicht wirklich in der Welt, sondern lediglich soziale Konstruktionen. Und soziale Konstruktionen wiederum sind das Produkt von Machtverhältnissen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Was gemeinhin als Tatsache oder Sachverhalt angesehen wird, ist nichts anders ein Ausdruck von Machtverhältnissen.

Die Rolle der Frau

An sich ist diese Ansicht natürlich nicht falsch. Nehmen wir ein Lieblingsbeispiel linker Emanzipationsbestrebungen: die Rolle der Frauen. Kein ernstzunehmender Mensch würde bestreiten, dass das Frauenbild vergangener Jahrhunderte auch Ausdruck patriarchaler Machtverhältnisse war. Die kuriose Vorstellung, dass Frauen weder zu höheren intellektuellen noch künstlerischen Leistungen in der Lage sind, ist dafür das beste Beispiel.

Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Vorstellungen über Frauen falsch sind. Frauen etwa können Kinder gebären, haben einen Uterus und eine Vulva und ein zweites X-Chromosom in ihrem Genom. Diese Feststellungen sind nicht Ausdruck irgendwelcher Machtstrukturen, sondern Tatsachen, die auch dann gelten, wenn alle sie leugnen sollten.

Ähnlich verhält es sich bei historischen oder sozialen Ereignissen. Das Abschlachten von wehrlosen Zivilisten ist kein bewaffneter Widerstand, da bewaffneter Widerstand nur gegen Menschen oder Organisationen geleistet werden kann, die ihrerseits in der Lage sind, Gewalt auszuüben – eine Armee etwa oder einen Staat. Wer aber schutzlose Zivilisten massakriert, ist einfach nur ein Mörder.

Eine Welt aus Zeichen, Symbolen, Bildern

Für Judith Butler, ihre akademische Denkschule und ihre Anhänger besteht die Welt nicht aus Tatsachen, sondern nur aus Zeichen, Worten, Symbolen oder Bildern. Deshalb spricht man in diesen Kreisen auch davon, dass jemand als Frau „gelesen“ wird. Für diese so genannten Poststrukturalisten ist die Welt ein Buch, das man lesen und interpretieren muss. Welche Interpretation sich dabei durchsetzt, ist schließlich eine Machtfrage.

Solange sich diese absurde Ideologie nur in philosophischen und literaturwissenschaftlichen Instituten austobte, konnte man darüber lachen. Doch die Zeit ist lange vorbei. Der Auftritt Butlers und ihre entsprechenden Äußerungen in jüngster Vergangenheit zeigen, dass wir es hier nicht mit einer harmlosen Spinnerei zu tun haben, sondern mit einem brutalen und gefährlichen Anti-Humanismus.

 

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