Hitlers Lieblingskünstler - 1945 gab es keine Stunde Null in der Kultur

„Gottbegnadete“ im Nationalsozialismus: Hitlers Lieblingskünstler waren auch in der jungen Bundesrepublik erfolgreich, wie eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin zeigt. Hatten sich die meisten deutschen Künstler 1933 schlagartig angepasst, so schmiegten sie sich nach 1945 ebenso rasch dem abermals gewandelten Zeitgeist an.

Richard Scheibes „Ehrenmal der Opfer des 20. Juli“ wird 1953 im Hof des Bendlerblocks aufgestellt / Liselotte Orgel-Köhne
Anzeige

Autoreninfo

Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

So erreichen Sie Julien Reitzenstein:

Anzeige

Ich bin nicht gerade glücklich über die Zusammensetzung des Auswärtigen Amtes, keineswegs. Aber man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat!“ Damit versuchte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 gegenüber Journalisten zu erklären, dass zahlreiche der Diplomaten seines neuen Auswärtigen Amtes als „belastet“ galten. Man kann Adenauer zugestehen, dass die junge Bundesrepublik ohne erfahrene Diplomaten und Spitzenbeamte nicht ausgekommen wäre. Aber hatte Adenauer kein Problem damit, dass der Bundesadler an seinem Amtssitz Palais Schaumburg 1952 von einem einst begeisterten Nationalsozialisten gestaltet wurde? Willy Meller war NSDAP-­Mitglied, verantwortete das Bildprogramm der Eliteschule für den NS-Führernachwuchs Ordensburg Vogelsang, wurde von Adolf Hitler zum Professor ernannt und später auf die sogenannte „Gottbegnadeten-Liste“ gesetzt.

Mit der immer aussichtsloseren Kriegslage wurde der Kulturbetrieb schrittweise heruntergefahren, bis im Herbst 1944 schließlich auch die Theater geschlossen wurden und den letzten Künstlern der Fronteinsatz drohte. In dieser Situation wurde die „Gottbegnadeten-Liste“ geschaffen. Von rund 140 000 Mitgliedern der Reichskulturkammer, der die im Kunst- und Kulturbetrieb Tätigen angehören mussten, wurden 1041 aufgenommen und damit vom Wehrdienst freigestellt. Durch ihre Kunst erschienen sie dem Regime unersetzbar, sie waren willige Propagandisten des Nationalsozialismus, und das zumeist von Anfang an.

Die „Gottbegnadeten-Liste“

Nach der Machtübernahme 1933 war ein Großteil der deutschen Künstler nicht emigriert, sondern hatte sich dem NS-Regime zur Verfügung gestellt, sei es aus Begeisterung, sei es in geschmeidiger Anpassung an den Zeitgeist. Die Ideologisierung der Kunst war beispiellos. Die richtige Gesinnung war nun ein wichtiger Qualitätsausweis für Künstler.

Die Nationalsozialisten werteten Kunst, die nicht ihrem Kanon entsprach, moralisch ab. Diese moralische Abwertung des „anderen“ war Herrschaftsmerkmal Hitlers, der rund 100 Maler und Bildhauer auf die „Gottbegnadeten-Liste“ setzte, unter anderem Arno Breker, Richard Scheibe und eben Willy Meller.

Keine ‚Stunde Null‘

Die Liste hatte nur etwas mehr als ein halbes Jahr Bestand. Im Mai 1945 brach das Regime zusammen. „In der Kunst gab es nach dem Ende der NS-Herrschaft genauso wenig eine ‚Stunde Null‘ wie in fast allen anderen Bereichen der deutschen und auch österreichischen Gesellschaft“, so Raphael Gross im Vorwort des Ausstellungskatalogs „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“. Gross ist Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin, eine der wichtigen Kulturinstitutionen des Landes. Dieses zeigt nun in einer von Wolfgang Brauneis kuratierten Ausstellung das Wirken der vormaligen „Gottbegnadeten“ in der jungen Bundesrepublik, besonders deren Wendigkeit. 

Hatten sich die meisten deutschen Künstler 1933 schlagartig angepasst, so schmiegten sie sich nach 1945 ebenso rasch dem abermals gewandelten Zeitgeist an. Mit demselben Opportunismus, mit dem sie in das Dritte Reich hineingingen, schritten sie 1945 wieder hinaus – und das, ohne ihre Glaubwürdigkeit und oft auch ihren Erfolg ernsthaft zu beschädigen. Dies zeigen unter anderem die Beispiele Arno Breker und Richard Scheibe. 1935 wurde Scheibe in die Preußische Akademie der Künste berufen, er galt – nicht zuletzt wegen seiner Kunden Hitler und Goebbels – als bedeutend. Dass er bereits 1951 das Bundesverdienstkreuz erhielt, erstaunt. Dass aber ausgerechnet ein „NS-Gottbegnadeter“ das Ehrenmal zum Gedenken an den 20. Juli 1944 schuf, aufgestellt an der Stelle im Berliner Bendlerblock, an der Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit drei anderen Widerständlern erschossen wurde, macht fassungslos.

Arno Breker

Breker galt als bedeutendster Bildhauer des Nationalsozialismus. Seine Plastiken, die zumeist den vom Regime idealisierten Menschentyp verherrlichten, fanden sich nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch im Zentrum der Macht. Besucher der von Albert Speer erbauten Neuen Reichskanzlei wurden rechts und links des Portals von Brekers monumentalen Skulpturen „Die Partei“ und „Die Wehrmacht“ begrüßt. Am 23. Juni 1940 war er einer der wenigen Begleiter bei Hitlers kurzem Kunstausflug durch Berlin – eine besondere Ehre.

Hitler stellte ihm danach das von Helena Rubinstein geraubte Luxusapartment in Paris zur Verfügung und schenkte ihm ein Rittergut im Oderbruch. Später gewährte Hitler dem Einkommensmillionär noch eine Dotation im Wert von 800 000 Reichsmark. Zum Vergleich: Das sogenannte Durchschnittsentgelt lag in jener Zeit bei rund 2200 Reichsmark pro Jahr. Durch die von der Propaganda verbreiteten Ehrungen Brekers und dessen große Präsenz im Kulturbetrieb war nach 1945 weithin bekannt, wer Breker war und wie sehr er Hitlers Regime – auch durch ideologisierte Kunst – unterstützt hatte.

Nahtloser Übergang nach 45

Dies hielt aber zahlreiche Unternehmer, Künstler und Politiker nicht davon ab, sich von Breker porträtieren zu lassen, darunter Hermann Josef Abs, Gustav Schickedanz, Günther und Herbert Quandt, Salvador Dalí, Jean Cocteau, Konrad Adenauer und sein Nachfolger als Bundeskanzler, Ludwig Erhard. „Der Wiederaufbau eines Staates bedarf nicht nur der wirtschaftlichen Leistung eines Volkes, sondern auch der Rückbesinnung auf geistige und kulturelle Werte. Wenn das künstlerische Werk Arno Brekers alle politische Gunst und Missgunst überdauert hat, so auch deshalb, weil sein Fundament unerschütterlich ist“, so Erhard.

Nun könnte man die Liste seiner prominenten Nachkriegs-Auftraggeber als Gruppe von Geschichtsvergessenen abtun. Doch wie verhielt sich die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, dessen NS-Ideologie von den Malern und Bildhauern gepriesen wurde, die auf der „Gottbegnadeten-Liste“ standen? Breker erhielt deutlich weniger öffentliche Aufträge – und bemühte sich vielleicht auch nicht allzu intensiv darum. Denn seine von privaten Auftraggebern gezahlten Gagen sollen jenen vor 1945 nicht nachgestanden haben. Andere wie Willy Meller wurden von der Bundespost und auch der Bundesregierung selbst bald wieder unter Vertrag genommen.

Die über 300 Brunnen, Ross- und Löwenstandbilder sowie Wandmalereien in Rathäusern und Schulen, die von „Gottbegnadeten“ für staatliche Einrichtungen der Bundesrepublik geschaffen wurden, sind in ihrer Gesamtheit ein Zeugnis der deutschen Kulturpolitik nach 1945. Diese zeichnet sich einerseits durch den Drang aus, moderne Kunst rehabilitieren zu wollen – beispielsweise im Rahmen der Kasseler Documenta. Andererseits verblüfft, wie oft die öffentliche Auftragsvergabe eine Rückbesinnung auf Figuratives, manches Mal gar auf Völkisches beförderte. 

Ist Kunst auch heute angepasst?

Werner Haftmann, der als Mitbegründer der Documenta und erster Direktor der Neuen Nationalgalerie im ikonischen Bau Ludwig Mies van der Rohes an der Rehabilitierung der – vom NS-Regime verfemten – modernen Kunst wirkte, konstatierte 1986: „Von der Kunst her gesehen gab es 1945 kein Jahr Null. […] Was zerbrach oder vielmehr als Nichts im Nichts verpuffte, war die Nazikunst. Sie verschwand über Nacht, und zwar spurlos, weil sie – gesehen vom Zeitausdruck und der Qualität von Kunst – eigentlich nie vorhanden war und nur dem Leerraum der trostlos unkünstlerischen Phantasie ihres Führers zur Dekoration gedient hatte. Mit dessen endlichem Tod starb auch sie – lautlos.“

Die Beispiele der sich bemerkenswert wendig dem Zeitgeist anpassenden Künstler des 20. Jahrhunderts laden zu Denk- und Debattenanstößen für unsere Zeit ein. Passen sich auch in diesen Tagen Kunst und Künstler dem Zeitgeist an? Akzeptieren sie heute willig, was gestern noch zu Stirnrunzeln geführt hätte? Nach 1933 hatte sich ein ideologisch motivierter, einengender Wechsel im Kunstverständnis manifestiert – statt moderner Kunst nun Heroisch-Völkisches, getragen von der ostentativ zur Schau gestellten Gesinnung der Künstler. Nach 1945 fand eine radikale Abkehr von dem statt, was nun als „Nazikunst“ aus der Geschichte in den lautlosen Tod gedrückt wurde. 

Das Wesen der Kunst

Unlängst hat der Streamingdienst Amazon ein neues Regelwerk für zukünftige Filmproduktionen öffentlich gemacht. Es geht dabei um Gerechtigkeit. Unter anderem sollen zukünftig Minderheitenrollen nur noch von Schauspielern gespielt werden, die der jeweiligen Minderheit angehören, nur noch Lesben sollen Lesben spielen, nur noch Behinderte Behinderte. Einerseits ist es eine Konterkarierung von Kunst: Denn die Schauspielkunst bestand bisher nicht darin, dem Zeitgeist zu huldigen, sondern darin, dass ein Schauspieler jemand anderen möglichst überzeugend „verkörpert“. Nur weil es bereits vehemente Kritik gibt, sollte man das neue Kunstverständnis von Amazon – das auch an anderen Kulturinstitutionen mittlerweile populär wird – nicht undifferenziert verurteilen oder gar lächerlich machen, also nicht fragen, ob zukünftig nur Leichen Leichen spielen dürfen. 

Stattdessen muss ein lebhafter Diskurs über die kommende Rolle der Kunst entstehen. Der Blick auf die Karrieren der vormalig „Gottbegnadeten“ vermag einen Impuls zu geben, über das Wesen der Kunst nachzudenken – und der Frage nachzugehen, wie weit sich Kunst dem Zeitgeist anpassen muss, soll oder darf. Zu den Lehren aus der Vereinnahmung von Kunst – weit über die Beispiele des NS-Regimes und der jungen Bundesrepublik hinaus – gehört zweifelsfrei, dass von Künstlern gestaltete Objekte erst durch ihr Publikum zu Kunst werden. Deshalb ist die Gesamtheit der Kunst in aller Regel so vielfältig wie die Kunstwahrnehmung durch das Publikum. Wenn Kunst sich aber dem Zeitgeist unterwirft, wenn Kunst aus Opportunismus gleichzeitig ihr Publikum belehren will und alternative Kunstbedürfnisse moralisch abwertet, stirbt sie am Ende einen lautlosen Tod. Das Nachdenken über Kunst ist in jedem Falle und zu allen Zeiten sinnvoll.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige