Hermann Otto Solms liest  das politische Buch - Antikapitalistischer Mainstream

Hermann Otto Solms hat Kristian Niemitz’ Buch über den Sozialismus gelesen. Darin zeigt der Autor, warum der Sozialismus immer wieder scheitern kann und seine Anhänger trotzdem an ihm festhalten.

Immer wieder gescheitert, dennoch attraktiv: Sozialismus als Bauchgefühl. / dpa
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Autoreninfo

Hermann otto Solms ist Ehrenvorsitzender der FDP. Im August ist seine politische Biografie „Frei heraus. Mein selbstbestimmtes Leben“ im Langen Müller Verlag erschienen.

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Wie kann es sein, dass eine politische Idee, die bei allen bisherigen Praxistests kläglich gescheitert ist, noch immer einen solchen Zulauf findet? Mehr als zwei Dutzend Mal wurden in den letzten hundert Jahren weltweit sozialistische Gesellschaftsformen erprobt, die alle früher oder später autokratische bis totalitäre Züge angenommen haben. „Sozialismus“, bilanziert Kristian Niemietz in seinem Buch „über eine gescheiterte Idee, die niemals stirbt“, „kann nie etwas anderes sein als ein technokratisches, hierarchisches System von Befehl, Kommando und Kontrolle.“

Was ist so attraktiv daran, dass es bis heute noch immer von so vielen „Pilgern“ den nachweisbaren Errungenschaften des kapitalistischen Systems vorgezogen wird? Die Antwort ist einfach: Wer Sozialismus sagt, meint eigentlich Antikapitalismus. Seit ihrer Entstehung wird Marktwirtschaft aus linker Perspektive vor allem mit Ausbeutung assoziiert, während die enormen Fortschritte in puncto Wohlstand, Volksbildung oder Lebenserwartung geflissentlich übersehen werden. Nicht nur Niemietz beobachtet in den westlichen Industrienationen einen antikapitalistischen, etatistischen Mainstream.

Intuitiver Sozialismus

Anders als sozialistische Utopien einer gerechteren Gesellschaft, die oft mit dem Versprechen eines totalen Neustarts einhergehen, ist es dem Kapitalismus nie gelungen, die Herzen der Menschen zu erwärmen. „Warum“, fragt Niemietz, „gibt es kein pro-kapitalistisches Bauchgefühl?“ Weil von der „unsichtbaren Hand“ des Kapitals keine vergleichbare Faszination ausgeht – zumindest anfangs, ehe regelmäßig die große Ernüchterung einsetzt. Ob man so weit gehen muss, diese antikapitalistische „Voreinstellung“ evolutionspsychologisch von unseren Ursprüngen als Teamplayer in kleinen Jäger- und Sammlergemeinschaften abzuleiten, sei dahingestellt. „Der intuitive, impulsive Antikapitalismus“, sagt Niemietz, liege uns „einfach im Blut“, um dann selbst einzuräumen, dass solche Aussagen „natürlich mehr informierte Spekulation als exakte Wissenschaft“ seien.

Niemietz kennzeichnet ein gängiges Narrativ „demokratischer Sozialisten“ als Wahrnehmungsschablone einer kollektiven Selbsttäuschung: Keines der historischen Beispiele sei „echter“ Sozialismus gewesen, heißt es hinterher. Wie dieser konkret zu funktionieren hätte, bleibt bezeichnenderweise unbestimmt. Niemietz vertritt dagegen die These, „dass sowohl der politische Autoritarismus als auch das ökonomische Scheitern in der Natur des Sozialismus selbst angelegt ist“.

Sozialismus entwickelt sich nicht

Das trifft aus meiner Sicht den Kern der Sache. Das marktwirtschaftliche System ist überlegen, weil es lernfähig ist. Es generiert fortwährend Wissen, das es zu Weiterentwicklungen und Anpassungen an veränderte Umstände befähigt. Alle bisherigen planwirtschaftlichen Experimente haben sich dagegen als nicht lernfähig erwiesen. Hinzu kommt, dass Planwirtschaft unweigerlich zur Machtkonzentration führt. 

Niemietz zitiert in seiner materialreichen Untersuchung den liberalen Rechtswissenschaftler Franz Böhm, der den Wettbewerb als „das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“ bezeichnet hat. Es sind die Parlamente, nicht die Politbüros, in denen Macht im politischen Wettbewerb begrenzt wird. In meiner langen Zeit im Deutschen Bundestag hat dieser Effekt stets für ein starkes positives Bauchgefühl bei mir gesorgt.

Kristian Niemietz: Sozialismus: Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt. Finanzbuch Verlag, München 2021. 320 Seiten, 22,99 €

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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