Helge Fuhst - Der Neue für die Tagesthemen

Der bisherige Programmgeschäftsführer des Fernsehsenders Phoenix, Helge Fuhst, ist seit Oktober Chefredakteur von ARD-aktuell und zuständig für die kriselnden „Tagesthemen“. Sein Ziel: das ganze Meinungsspektrum abzubilden

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Mit seinem Wechsel zu den Tagesthemen muss Helge Fuhst nun seine Feuerprobe bestehen / Foto: Jens Gyarmaty
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nein, der Ziehsohn von Tom Buhrow ist er nicht. Doch der Name des WDR-Intendanten fällt, wenn Helge Fuhst von seinem Leben erzählt. An drei beruflichen Wegmarken stand Buhrow und gab Fuhsts Laufbahn eine entscheidende Richtung. Der „politische Journalist“, als der er sich bezeichnet, sitzt in einem spröden Berliner Büro und bereitet sich auf seine vorletzte Moderation der Gesprächssendung „Unter den Linden“ bei Phoenix vor. Er weiß: Phoenix ist Sparte. ARD-aktuell, dessen zweiter Chefredakteur Fuhst vom 1. Oktober an sein wird, ist große Bühne, ist Mainstream und Schlangengrube zugleich. Und eine Rückkehr für den 35-Jährigen, von der niemand weiß, ob sie zur Heimkehr taugt.

Rechtzeitig anklopfen, rechtzeitig gehen, sich Traum und Wille bewahren: Das sind die praktischen Prinzipien einer Karriere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Fuhst nicht so nennen würde. Er hat, wenn er redet, ein keckerndes Lachen parat, das den Mund kurz und energisch weitet, und hält Zuversicht für sinnvoller als ihr Gegenteil. Tom Buhrow schloss seine „Tagesthemen“-Moderationen mit „Und morgen ist ein neuer Tag“ – Ausdruck eines Optimismus, der noch schlimmste Neuigkeiten hoffnungsfroh abband. Als Buhrows Moderationsredakteur in den Jahren 2012 und 2013 – die erste Wegmarke – erlebte Fuhst mit, wie sie entstehen. Als zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell wird er vor allem für die „Tagesthemen“ zuständig sein; Beobachter sagen: zur Stunde ihrer größten Krise. Kann Fuhst abhelfen?

Von seinen Träumen leben wollen

Am liebsten redet der Hannoveraner über die Vereinigten Staaten, seine „zweite Heimat“, seine „amerikanische Familie“. Seit die Mutter, ebenso wie der Vater Architekt, 1969 nach Chicago aufbrach und als Austauschschülerin an eine „tolle Pastorenfamilie“ geriet, bestehen enge Bindungen. 2000/2001 lebte Fuhst bei derselben Familie, mittlerweile nach Kansas umgezogen, wo er ein High-School-Jahr verbrachte. Die Gastschwester von 1969 war Gastmutter geworden. An der High School beantwortete Fuhst die Aufsatzfrage, was er in zehn Jahren zu machen gedenke, mit einem Zitat von Steven Spielberg, „I dream for the living“, von seinen Träumen leben wollen. Damals war nicht entschieden, welche der großen Leidenschaften sich durchsetzen würde, jene des Filmvorführers und Kinogängers zum Lichtspielhaus oder jene zum Journalismus. Regisseur zu werden, blieb ein Traum.

Amerika, immer wieder. Nach dem Abitur, einigen Praktika und dem Beginn des Studiums in Hannover besuchte Fuhst 2008/2009 ein halbes Jahr die American University in Washington, D. C., wurde Hospitant beim Fernsehsender NBC News und, nachdem er angeklopft hatte, Assistent am dortigen ARD-Studio. „Es war“, sagt er, „ein großer Wille und Traum, in den USA zu studieren.“ Was er von dort mitbrachte? Aus Kansas die Erkenntnis, dass die USA mehr sind als ihre Metropolen und dass auf dem Land, im „wahren Amerika“, die Gemeinschaft mehr zählt als der Staat. Aus Washington die Erfahrung, dass mit der Wahl Obamas Geschichte geschrieben wurde, deren Zeuge er war. In der Magisterarbeit untersuchte Fuhst die Frage, wie groß die Macht des US-Präsidenten ist.

„Für eine besser informierte Republik“

Zurück in Deutschland, folgten auf ein Lehrjahr am Landesfunkhaus Hannover, ein Volontariat in Hamburg beim NDR und den Schnupperkurs bei den „Tagesthemen“ die Wegmarken zwei und drei: Buhrow holte ihn als seinen Assistenten ins Büro der WDR-Intendanz, und Buhrow gab 2016 den Hinweis auf eine frei werdende Stelle bei Phoenix. Wenn Fuhsts Zeit dort als Programmgeschäftsführer, verantwortlich für 200 Mitarbeiter, zu Ende geht, hinterlässt er ein gut bestelltes Feld. Ein Relaunch der Marke gelang, die Digitalisierung wurde vorangetrieben, Phoenix ist mit eigenen Angeboten bei Youtube, Facebook und Twitter stark nachgefragt.

In Hamburg, bei ARD-aktuell, wird Fuhst wieder der Jüngste sein. Die „Tagesthemen“ können Beiträge bestellen, nicht aber selbst gestalten. Und bei der größten Baustelle ist er auf Überzeugungsarbeit bei den neun ARD-Chefredakteuren und noch mehr Optimismus angewiesen: Derzeit deuten die „Tages­themen“-Kommentare das Weltgeschehen mal links, mal sehr links, mal äußerst links. Von Ausgewogenheit keine Spur.

Fuhst beharrt gut gelaunt darauf, in der ARD seien alle Meinungen zu finden. Natürlich müssten die Kommentare „die ganze politische Debatte abbilden“, „das ganze Meinungsspektrum“. Das Phoe­nix-Motto will er bei den „Tagesthemen“ jedenfalls nicht verleugnen: „Das ganze Bild“. Seine vorletzte „Unter den Linden“-Moderation aber schloss Helge Fuhst mit einer Ansage, die nun ihre Feuerprobe erleben wird: „Für eine besser informierte Republik“.

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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