Gutachten zu sexueller Gewalt im Erzbistum Köln - Brüder im Nebel

An diesem Donnerstag wurde das lange erwartete Gutachten zu den Missbrauchsfällen im Kölner Klerus vorgestellt. Kardinal Rainer Maria Woelki ist vorerst entlastet, dennoch gibt es personelle Konsequenzen. Vom verlorenen Vertrauen ganz zu schweigen.

Ein Gutachten zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch liegt vor einer Pressekonferenz auf einem Rednerpult / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Er habe diesen Tag herbeigesehnt und gleichsam gefürchtet, hat Kardinal Rainer Maria Woelki gesagt. Der 18. März wurde innerkirchlich schon als vorgezogenes „Jüngstes Gericht“ für Köln bespöttelt. Nun hat der Kardinal einstweilen eine Art Freispruch erhalten. Das 800-seitige Gutachten der Kölner Rechtsanwaltskanzlei von Björn Gercke, das am Donnerstag vorgestellt wurde, sieht im Zusammenhang mit dem Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln keine Pflichtverletzung, die Woelki direkt angelastet werden könnte. Zugleich werden andere Mitarbeiter schwer belastet. 

Erstmals gibt es im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der seit 2010 schwelenden Missbrauchskrise der Katholischen Kirche in Deutschland gravierende personelle Konsequenzen. Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, früherer Personalchef im Erzbistum Köln, bietet dem Papst seinen Rücktritt an. Zuvor hatte Woelki gestern unmittelbar nach Vorstellung des Gutachtens seinen Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, der lange Generalvikar unter Kardinal Joachim Meisner war, zunächst von allen Aufgaben entbunden. Dieser hat in der Folge auch Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten. Zugleich hat Woelki Günter Assenmacher, der seit 25 Jahren das Kölner Kirchengericht leitet, von seinen Aufgaben freigestellt. Damit sind erstmals hochrangige Amtsträger der Kirche in Deutschland für Fehlverhalten innerkirchlich zur Verantwortung gezogen worden – wenn auch noch vorläufig.

Symbol des Versagens

Doch nach dem Drama der zurückliegenden sechs Monate, in denen Woelki zum Symbol des Versagens der Kirche in der Missbrauchskrise geworden ist, steht die Frage im Raum, ob das vorliegende Gutachten möglicherweise ein Gefälligkeitsgutachten ist, gar ein bestellter „Persilschein“. Und sind die Entlassungen hochrangiger Mitarbeiter demnach ein „Bauernopfer“?  Dieses Urteil wäre vorschnell und verkürzt. Zunächst hat Woelki, der 2018 eine lückenlose Aufklärung angekündigte hatte, nun geliefert und überhaupt einmal einen detaillierten und durchaus auch schonungslosen juristischen Bericht vorlegen können. Woelki ist insofern weiter als die meisten deutschen Diözesen, von Bistümern in den Nachbarländern ganz zu schweigen.

Allerdings wird man die wahre Qualität dieses Gutachtens erst bei genauerer Betrachtung und in Vergleich mit dem Münchner Gutachten bewerten können. Das Gercke-Gutachten setzt Maßstäbe was die Herausarbeitung von Missständen in Aktenführung, fehlender juristischer Kompetenz, mangelnder Betroffenen-Fürsorge und defizitärem stringenten und strengen Verhalten gegenüber Tätern angeht. Es hält auch einen tiefen Einblick in das bisweilen auch skurrile Innenleben der katholischen Kirche bereit. So hatte Kardinal Meisner einen persönlichen Ordner mit den brisantesten Missbrauchsfällen außerhalb des eigentlichen Aktenbestands bei sich. Die Aufschrift des Aktenordners: „Brüder im Nebel“. 

Woelki hat – ein Zitat Meisners verwendend – sich nun auch deutlich von seinem Vorgänger abgegrenzt. „‘Nichts geahnt‘, das ist ab heute nicht mehr möglich“, sagte er. Von einem abschließenden Befreiungsschlag kann aber dennoch nicht die Rede sein.

Gefährliche Nachwehen

Grund für die Krise der zurückliegenden Monate war die Nicht-Veröffentlichung des Gutachtens, mit dem 2018 eine Münchner Kanzlei beauftragt worden war. Es scheint nun zunächst so, dass das zurückgehaltene Gutachten keinesfalls Woelki schwerer belastet hätte. Endgültig wird sich das beurteilen lassen, wenn auch dieses Gutachten kommende Woche unter gewissen Auflagen zugänglich gemacht wird. Gercke hat seinen Münchner Kollegen in der Pressekonferenz vorgehalten, sie hätten Woelki schon vor einem Jahr beteuert, „er habe nichts zu befürchten“. Doch letztlich sind es nicht die Einzelfälle, die Woelki als Mühlstein um dem Hals hängen, es ist sein eigenes Vorgehen der zurückliegenden Monate, welches nachwirkt. Diese Nachwehen sind viel gefährlicher für ihn und weniger steuerbar.

Ein Bischof wird in der Katholischen Kirche mindestens seit dem Mittelalter immer von Papst eingesetzt. Doch ebenso gehört es zur Tradition der Kirche, dass das Gottesvolk einem Bischof folgen muss. Es gab in der Antike sogar die Wahl des Bischofs durch das Volk. Natürlich kann im demokratischen Sinne ein Bischof nicht abgewählt werden, das ist vielleicht auch gut so. Aber wenn ein Bischof kein Vertrauen mehr genießt, selbst wenn das ungerecht ist, dann wird er auf die Dauer sein Amt nicht mehr ausüben können. Es wird viel in Köln davon abhängen, ob Woelki in seiner Diözese wieder Anschluss findet. Das ist keineswegs sicher. Aktuelle kirchenpolitische Fragen, etwa um die Segnung homosexuelle Paare, wühlen da bisweilen viele Gläubige in unterschiedlicher Weise mehr auf als die nun voranschreitende Missbrauchsaufarbeitung.

Stimmungen sind zwar viel unsachlicher als alle Gutachten zusammen. Aber wirkmächtig sind sie dennoch.

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