Politische Philosophie - Postmoderner Konservatismus 

Statt Wertehierarchien zu proklamieren, die allenfalls in gesellschaftspolitischen Nischen einer linken Gesellschaft überleben werden, sollte ein moderner Konservatismus sich auf eine alte konservative Grundtugend besinnen. Eine Entgegnung auf Dominik Pietzcker.

Der heutige Konservative ähnelt dem Philosophen Pyrrhon, dem Begründer des Skeptizismus, in stürmischer See / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Der Konservative ist der ewige Verlierer der Geschichte. Während die politische Linke in den letzten zweihundert Jahren eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben hat, hat sich der Konservative in andauernde Rückzugsgefechte verstrickt. Nach und nach hat er altehrwürdige Positionen geräumt und Werte, die gestern noch als ewig galten, als nicht mehr zeitgemäß aufgeben müssen. 

Dominik Pietzcker hat diese Entwicklung in seinem geistreichen Essay anschaulich beschrieben: von der französischen Revolution über die bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts bis zur russischen Revolution und dem Antikommunismus der Nachkriegsjahrzehnte. Der Konservatismus als psychosozialer Reflex, da ist Pietzcker vollkommen zuzustimmen, ist vor allem auch eine Reaktion auf starke Veränderung und der Versuch, in Zeiten rasanten Wandels das Bewahrenswerte zu bewahren. 

Doch ein Konservatismus, der mehr sein will als eine verständliche psychologische Reaktion auf äußeren Veränderungsdruck, ein Konservatismus, der ein ernstzunehmender und vor allem auch erfolgreicher politischer Gegner der alles dominierenden Linken sein will, muss mehr anbieten als kleinmütiges Beharren auf angeblich Bewahrenswertem. Sonst gerät er in die Position des permanenten Verzögerers. Man könnte auch sagen: des Spießertums als politische Idee. 

Aber Spießertum ist keine politische Idee, allenfalls ein Reflex. Konsequenter Weise endet diese Form des Konservatismus als Erfüllungsgehilfe des politischen Gegners: Man macht all das, was die Linke will – nur eben zehn Jahre später. Die CDU unter Friedrich Merz steht exemplarisch für diese Form von Hasenfuß-Konservatismus

Man macht all das, was die Linke will – nur eben zehn Jahre später

Dominik Pietzcker hat das Grundproblem des Konservatismus selbstverständlich erkannt. Und da Pietzcker ebenfalls weiß, dass es tatsächlich keine zeitlosen Werte gibt, die dem entmutigten Konservativen endlich Halt versprechen, empfiehlt er drei Grundkonzepte als Leitlinien konservativer Argumentation: Entscheidungsfreiheit, Leistungsbereitschaft und Wertschätzung von Kulturgütern. Gegen alle drei Prinzipien lässt sich nicht ernsthaft etwas einwenden.  

Doch machen wir uns nichts vor: Angesichts der Dynamik moderner Gesellschaften wird es wenig nützen, die Vorstellung ewiger Werte durch die Idee argumentativer Leitlinien zu ersetzen, die Ausdruck einer explizit zu benennenden Wertehierarchie sein sollen. Letztlich wird der Konservative so weiterhin der Verlierer sein, der er schon immer war. Er wird vornehm die gesellschaftlichen Diskurse anhand seiner wertebasierten Leitlinien moderieren und dabei zusehen dürfen, wie die politische Linke institutionelle, ökonomische und strukturelle Tatsachen schafft. 

 

Mehr aus der „Grauzone“:

 

Und schließlich wird der Konservative mit seiner Werteordnung nicht einmal mehr Diskurse moderieren dürfen, da die politische Linke sie mit Hilfe ihrer Deutungsmacht als sexistisch, rassistisch, eurozentrisch und inhuman entlarven haben wird. Dann wird es endgültig vorbei sein.  

Es gibt keinen moralischen Fortschritt

Nein, ein auf die Hierarchie irgendwelcher Werte vertrauende Konservatismus wird eines Tages genauso vom Spielfeld genommen werden wie seine weniger vornehmen Artverwandten. 

Denn letztlich ist er bereit, die herrschende Großerzählung mitzutragen. Und dieses Narrativ ist der Glaube an den unvermeidlichen Fortschritt. Diese Idee ist so etwas wie eine Zwangsvorstellung der Moderne. Vor allem aber ist sie eine rhetorische Waffe all jener, die sich als progressiv verstehen, also der politischen Linken. Sie suggeriert: Widerstand ist zwecklos. Die Geschichte nimmt sowieso ihren Lauf. Linke politischen Ideale werden sich durchsetzen. Und wer sich diesem historischen Gesetz widersetzt, hat von vornherein verloren. 

Das alles ist unglaublicher Unsinn. Denn Geschichte ist nicht determiniert. Geschichte ist offen. Allenfalls wird sie bestimmt durch gesellschaftliche Machtverhältnisse. Wer den Gang der Geschichte als quasi naturwissenschaftlich vorherbestimmt kennzeichnet, will damit lediglich verschleiern, dass es unter anderen Machtverhältnissen sehr wohl Alternativen gäbe. 

Zudem will die politische Linke Glauben machen, dass es nicht nur technischen und wissenschaftlichen Fortschritt gibt, sondern auch moralischen. Aber auch das ist Unfug. Denn es gibt keine bessere Moral, so wie es eine bessere Technik, gibt und daher auch keine progressive Moral oder moralischen Fortschritt. 

Die Beweislast hat immer der Veränderer

Wer, wie Dominik Pietzcker, behauptet, nicht die politische Linke, sondern „die Unerbittlichkeit der Zeit selber“ sei der Hauptgegner des Konservativen, hat die linke Fortschrittsideologie so sehr verinnerlicht, dass er nicht mehr in der Lage ist, eine Welt jenseits dieses linken Mantras zu denken. 

Statt irgendwelche Wertehierarchien zu proklamieren, die allenfalls in gesellschaftspolitischen Nischen einer ansonsten linken Gesellschaft überleben werden, sollte ein moderner Konservatismus sich jedoch auf eine alte konservative Grundtugend besinnen: den Skeptizismus. 

Denn nur der Skeptizismus als intellektuelle Grundtugend immunisiert gegen die weltlichen Prediger einer säkularen Heilsgeschichte, gegen die Gläubigen eines universalen Moralismus, gegen die unwissenschaftliche Allmacht der Wissenschaft, gegenüber den Erlösungsfantasien weltlicher und nichtweltlicher Provenienz und ethischen Fortschrittsfundamentalisten jeder Art. 

Der Mensch ist ein endliches Wesen mit endlichem Erkenntnisvermögen und hoher Fehlerquote. Die Beweislast hat daher immer der Veränderer. Und Geschichte hat nicht nur eine Richtung, auch wenn das aus politischen Gründen gerne suggeriert wird.  

Ein Konservativer, der aus Ecke des ewigen Verlierers herauswill, muss die Grundideologie der Linken attackieren – ihr Fortschrittsmantra. Und die Grundvoraussetzung dafür ist innere Unabhängigkeit und Distanz, mit anderen Worten: Skeptizismus.

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