Deutschland und der Islam - Mit Goethe in der Bagdadbahn

Tagelang skandierten hierzulande überwiegend muslimische Demonstranten antisemitische Slogans. Die Reaktion darauf war eher hilflos und verdruckst. Das liegt auch an der verworrenen Geschichte und komplizierten ideologischen Gemengelage, die Deutschland mit der muslimischen Kultur verbinden.

Die Sonne geht hinter der ehemaligen Dresdner Zigarettenfabrik Yenidze, die 1909 im Stil einer Moschee mit 62 Metern Höhe errichtet wurde, unter / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Als einst Kara Ben Nemsi durch die Wüste ritt, war die Welt noch in Ordnung. Das junge deutsche Kaiserreich sah sich als ehrlicher Makler und in der Levante herrscht der Sultan des Osmanischen Reiches. Man betrachtete sich mit wechselseitiger Sympathie und hatte gemeinsame Interessen. Inzwischen ist das Verhältnis deutlich komplizierter geworden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: sie heißen Israel, Migration und Islam.

Dabei war es der Koran, der das Interesse deutscher Gelehrter an der arabischen Kultur weckte. Vor allem Johann Gottfried Herder – Dichter, Theologe und Aufklärungsphilosoph – sah in dem heiligen Buch des Islam ein singuläres Zeugnis arabischer Geistigkeit und Poesie und in Mohamed die Verkörperung und Verdichtung arabischer Kultur. Goethe wird hier mit seiner Verehrung der Dichtungen des persischen Mystiker Hafis anknüpfen.

Durch das wilde Kurdistan

Dann verschwand der Orient für längere Zeit von der mentalen Landkarte Deutschlands. Das änderte sich erst, als 1869 der Suezkanal eröffnet wurde und die Region endgültig in den Fokus der europäischen Kolonialmächte rückte. Ab 1881 hielt der Aufstand des Mahdi die europäische Presse in Atem. Die romantisch umwölkten Abenteuer Eduard Schnitzers und Rudolf Slatins faszinieren das Publikum. Und Karl May veröffentlichte seinen Orientzyklus.

Wirklich politisch wurde diese eher unpolitische Morgenlandfaszination jedoch erst mit den Planungen und Verhandlungen rund um die berühmte Bagdadbahn in der 1890er Jahren. In Berlin erkannte man, dass das Projekt eine der wenigen Möglichkeiten war, direkten Einfluss auf die Region und das fragile Osmanische Reich zu nehmen. 1898 unternahm Wilhelm II. seine berühmte Orientreise, gekrönt von dem pathetischen Einzug des Kaiserpaares in Jerusalem. Als Anfang November eine Delegation des Jüdischen Weltkongresses unter der Leitung Theodor Herzls bei Wilhelm II. vorspricht, sagt der Kaiser zwar seine Unterstützung bei der landwirtschaftlichen Erschließung Palästinas zu, lehnt einen eigenen Judenstaat auf Kosten des Osmanisches Reiches aber ab.

Der ewige Antisemit

Doch nicht nur einen Judenstaat sah man in Berlin kritisch. Auch die arabische Unabhängigkeit wollte man verhindern und unterstützte das Osmanische Reich gegen entsprechende Bestrebungen. Mit dem Verlust des Ersten Weltkrieges hatten sich diese nahostpolitischen Ambitionen Deutschlands jedoch erledigt.
Das änderte sich erst, als 1941 deutsche Truppen immer größere muslimisch besiedelte Gebiete besetzt hielten. Da traf es sich gut, dass Hitler ohnehin eine positive Meinung vom „Mohamedanismus“ hatte, sah er ihn doch, anders als das verweichlichte Christentum, als vitale und kriegerische Soldatenreligion. Zudem brauchte er Verbündete. Also baute man in den besetzten Gebieten der Sowjetunion zerstörte Koranschulen und Moscheen wieder auf. Im Gegenzug bekam man Freiwillige für Wehrmacht und Waffen-SS. Etwa die berüchtigte Division „Handschar“. Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, wurde SS-Mitglied.

Nach dem Krieg bemühten sich westdeutsche Regierungen aus naheliegenden Gründen um Verständigung und ein gutes Verhältnis mit Israel. Zugleich wandelten sich die ideologischen Allianzen. Die Linke entdeckte im Namen von Antiimperialismus und Antikolonialismus ihre Liebe zur arabischen Welt, was auch dadurch erleichtert wurde, dass die dortigen Regime und Untergrundorganisationen säkular und sozialistisch waren. Umgekehrt erkaltete unter dem Eindruck der Masseneinwanderung von Muslimen nach Europa die Zuneigung der Rechten zum Islam. Stattdessen sah man in Israel zunehmend ein Vorbild an wehrhafter Selbstbehauptung. Israelkritik wurde hier ähnlich verpönt wie bei den linken Antideutschen – eine erstaunliche Koalition.

Realismus statt Ideologie

Anders auf Seiten der Mehrheitslinken. Hier trägt man zwar keine Palästinensertücher mehr wie noch vor Jahrzehnten. Doch die Solidarität mit der arabischen Sache ist nach wie vor ungebrochen – auch wenn Re-Islamisierung der Region mit den queeren Anliegen der europäischen Linken erheblich kollidiert.

Die Lage ist also ziemlich unübersichtlich und verfahren. Die ideologischen Fronten kaum auseinanderzuhalten. Vielleicht wäre es angesichts dieser Gemengelage sinnvoll, sich weder in moralischer Besserwisserei noch ideologischer Symbolpolitik zu verlieren, sondern einfach die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
 

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