Genuss mal anders - Abzocke am Feinsten

Jetzt kommen sie wieder, die vorweihnachtlichen „Gourmet-Sortiments“ in den Regalen. Unseren Genusskolumnisten lässt das kalt. Aber über das Gewese, das in diesem Zusammenhang mit Salz veranstaltet wird, regt er sich dann doch ein bisschen auf.

Ein Arbeiter hält in den Salins du Midi in Aigues-Mortes (Frankreich) einen Brocken Fleur de Sel in der Hand / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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In Geschäften und Supermärkten weihnachtet es heftig. Genretypische Süßwaren werden bereits seit einigen Wochen flächendeckend feilgeboten. In Kürze folgen dann die vermeintlich „edleren“ oder gar „festlichen“ Sondersortimente bei den großen Ketten, die dann – mit jeweils einheitlichem Verpackungsstyling versehen – angeboten werden. Unter Markennamen wie „Gourmet“, „Best Moments“ oder „Excellence“ werden Produkte präsentiert, die es zwar auch in anderen Jahreszeiten gibt, aber jetzt mit einer Art Corporate Identity ausgestattet werden – und auch ein entsprechendes Preisniveau aufweisen. So ziemlich alles kann auf diese Weise gelabelt werden: Schinken, Öl, Käse, Pasta, Soßen, Käse – und auch Salz.

Eldorado der Rosstäuscher

Ja, Salz! Also eines der profansten und auch wichtigsten Grundnahrungsstoffe überhaupt. Denn die Zeiten, in denen dieser lebenswichtige Stoff mit Gold aufgewogen oder gar zum Gegenstand kriegerischer Auseinandersetzungen wurde, sind lange vorbei. Ein Riesengewese wird in gewissen Kreisen dennoch um diesen Grundstoff gemacht. Es wird getarnt, getäuscht, geschwätzt und rumposiert, um entweder Konsumenten absurd viel Geld aus der Tasche zu ziehen oder als Demonstration des eigenen, vermeintlich besonders exquisiten Geschmacks. Da ist dann von „Himalaya-Salz“ die Rede – das so gut wie nie aus dem Himalaya kommt und dem sogar vollkommen abwegige gesundheitsfördernde Wirkungen angedichtet werden. Oder von „Urmeer-Salz“ – obwohl auch das billigste Tafelsalz letztendlich aus dem Urmeer stammt. Da wird mit Farben gespielt und was von Mineralien gefaselt, obwohl es sich dabei – etwa beim Rosa vom „Himalaya-Salz“ oder bei den schwarzen Bröckchen beim „Vulkan-Salz – lediglich um eine Art unschädlicher Verunreinigungen durch Kohlenstoffe oder Eisenoxide handelt.

Es ist und bleibt schlicht Natriumchlorid

Ohnehin ist Salz – egal ob „persisches Blausalz“, Meersalz von der bretonischen Küste oder Tafelsalz aus der Saline in Niedersachsen – immer der gleiche Stoff: Natriumchlorid mit einem sehr geringen Anteil anderer Mineralstoffe. Um Verklumpung zu verhindern und die Streufähigkeit zu erhalten, werden bei feinem Salz noch geschmacksneutrale Prozessstoffe als Rieselhilfe beigegeben. Bei grobem Salz wird darauf verzichtet, es enthält auch mehr Restfeuchte. Handelt es sich um grobes Meersalz, kann mitunter ein ganz dezentes Algenaroma identifiziert werden. Aber in den meisten Fällen wird das wohl eher halluziniert. Sobald Salz in Wasser gelöst wird, sind unter professionellen Testbedingungen kaum noch Unterschiede festzustellen.

Manchmal gerne Fleur de Sel

Natürlich gibt es sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für hochwertiges, naturbelassenes, grobes Meersalz, etwa für Salzkrusten, zur Verfeinerung einiger Salate oder als letzter Geschmackskick am Esstisch für Fisch und Fleisch. Da vermag dann auch die knusprige Konsistenz zu überzeugen, besonders von Fleur de Sel.

Doch bei alltäglichen Zubereitungsarten liegt der Unterschied zwischen Tafelsalz (ab 19 Cent pro 500 Gramm) und irgendwelchen „Gourmet-Salzen“ für bis zu 50 Euro offensichtlich im Distinktionsfaktor und nicht im Geschmack. Und noch was: Was kein Mensch braucht, ist „Kräutersalz“ oder anderweitig aromatisiertes Natriumchlorid. Wer einen bestimmten Geschmack produzieren will, setzt halt Salz und entsprechende Kräuter oder aromatische Beigaben ein, die dann auch viel präziser zu dosieren sind. Alles andere ist geschmackspolizeilich verboten!

Klartext vom Ernährungssoziologen

Passende Worte findet dazu der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl: „Ein bisschen Fleur de Sel im Regal stehen zu haben, ist für den ambitionierten Hauskoch sicherlich kein Verbrechen. Manchmal macht es auch gustatorisch Freude, mit dem Crunch-Effekt zu spielen. Es allerdings ins kochende Wasser für Nudeln, Reis oder Polenta zu kippen, schreit quasi danach, dass man sein Geld auch in der nächstbesten Automatenspielhölle verbrennen könnte. Wie bei so vielen profanen Dingen und Tätigkeiten heutzutage wird der Glamourfaktor zwangsüberschätzt, den man meint, darin finden zu müssen. Die einen lackieren alles in Regenbogenfarben, die nächsten meinen, Einhörner auf Toilettenpapier haben zu müssen und die wieder anderen meinen eben, überall teures Meersalz reinkippen zu müssen. Mit dem Resultat, dass zwar nichts davon aufregender, aber in seiner Banalität irre peinlich wird. Besser wäre es, bei einfachen Dingen auch den Wert des Einfachen schätzen zu lernen, denn auch das Einfache ist manchmal das Salz in der Suppe.“

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