Was sonst nicht auf den Teller kommt - Die inneren Werte: Kalbsnieren in Weißwein-Senf-Soße

Unser Genusskolumnist fragt sich schon lange, warum so viele Deutsche eine tief verwurzelte Abneigung gegen Innereien auf dem Teller haben. Und will versuchen, das mit einem köstlichen französischen Nieren-Rezept ein wenig aufzulockern.

Viele Restaurants nehmen es sich zur Aufgabe die verpöhnte Innereienküche neu zu interpretieren / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Nichts kann die Fleischeslust der Deutschen ernsthaft trüben. Sogar der als „Rinderwahnsinn“ in die Geschichte eingegangene BSE-Skandal oder die Berichte über Tiere als lebende Antibiotika-Speicher und grausame Haltungs- und Arbeitsbedingungen in Mast- und Schlachtbetrieben führten nicht zu nachhaltigen Rückgängen. Es gab – wenn überhaupt – nur „Seitwärtsbewegungen“ zu anderen Tierarten, aber der Gesamtfleischkonsum pro Kopf der Bevölkerung liegt seit rund 20 Jahren ziemlich konstant bei 60 Kilogramm pro Jahr.

Wer kennt schon noch Lungenhaschee

Auf der anderen Seite scheinen die Deutschen aber äußerst wählerisch zu sein – und verschmähen konsequent den Verzehr vieler nicht nur essbarer, sondern auch äußerst schmackhafter und bekömmlicher Tierbestandteile. Die Rede ist von Innereien, deren Jahresverbrauch stetig sinkt und 2019 nur noch bei 200 Gramm pro Person lag. 1985 waren es noch 2,1 Kilo.

Einzig Leber ist hierzulande noch einigermaßen akzeptiert, aber bei Niere, Herz, Lunge, Euter, Pansen, Hirn  u.a.m. hört für die meisten Menschen der Spaß auf – obwohl sie es noch nie probiert haben. Mir war es dagegen noch vergönnt, in meiner Kindheit Köstlichkeiten wie Lungenhaschee und „Berliner Schnitzel“ (aus dem Kuheuter ) auf den Teller zu bekommen. Doch angesichts der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit und extrem niedrigen Preisen für Muskelfleisch aus Massentierhaltung hat sich die irrationale Grundhaltung, Innereien seien etwas Minderwertiges, immer mehr verfestigt.

Woanders Delikatessen und hier Schlachtabfälle

In vielen anderen Kulturen ist das undenkbar und das keineswegs nur aus ökonomischen Gründen. In Vietnam habe ich gelernt, dass es eine Frage des Respekts vor den für den menschlichen Verzehr getöteten Tieren sei, alle essbaren Bestandteile zu verwerten – und oftmals sehr kunstvoll zuzubereiten. Doch hier fungiert das unter „Schlachtabfälle“, die entweder als Füllmaterial in die Wurstherstellung und Tierfutterproduktion gehen oder direkt entsorgt werden.

„Die Frage nach den Gründen für die diversen Nahrungstabus treibt die Wissenschaft schon länger um“, weiß der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl Cicero zu berichten. Richtig sei, dass Innereien bereits im Mittelalter „oftmals als minderwertig zur Bauern- und Armenspeise degradiert wurden“. Aber das sei lange Zeit auch ein soziokultureller Makel des Vollkornbrots und des Haferbreis gewesen, „und hier gilt das Eine inzwischen gar als eine Art Weltkulturerbe, und das Andere wird Hipstern als „Porridge mit Beeren und Ziegenkäse“ teuer verkauft“, so Kofahl.

Die Tabuisierung von Innereien habe „ganz viel mit hysterischen und verzärtelten Kommunikationen zu tun. Sie sind mit einem Bannfluch des martialischen, unzivilisierten und animalisch unheimlichen belegt, den man sich immer weiter erzählt, während man charakterlose Minutenschnitzel isst oder unkenntliche Putenstücken im Salat pickt“.

Gründlich putzen und wässern

Höchste Zeit also, dieses Tabu in dieser Genusskolumne zu brechen und eine Delikatesse aus der dunklen Welt der Innereien zu präsentieren.  Dazu besorgen wir beim Fleischer unseres Vertrauens Kalbsnieren. Am besten schon küchenfertig geputzt. Wenn nicht, müssen wird das selber machen: Mit einem kleinen, scharfen Messer alle Häute, Sehnen und Fettstränge entfernen, auch innen. Längs durchschneiden und jeweils mindestens eine halbe Stunde in Wasser und dann in Buttermilch einlegen, die Flüssigkeiten jeweils einmal abgießen und erneuern.

Danach werden die Nieren gut abgetropft erst in die einzelnen Segmente und dann in 1 cm dicke Scheiben geschnitten, mit einer Öl-Butter-Mischung einige Minuten in einer beschichteten Pfanne gebraten, mit einem Schuss Cognac abgelöscht, in ein Sieb gehoben und warm beiseite gestellt.

Nichts für Anfänger – aber der Aufwand lohnt sich

Jetzt weitere Butter in der Pfanne schmelzen. Weißwein dazu und alles stark einkochen lassen. Dann rühren wir Senf (zwei verschiedene Sorten, siehe unten) und süße Sahne ein, lassen das Ganze mit der Weinzugabe erneut auf die Hälfte einkochen und füllen dann mit ein wenig Kalbsfonds auf. Jetzt kommen die Nieren in die Soße, die dann aber nicht mehr kochen sollten. Abgeschmeckt wird nur noch mit Salz und Pfeffer, zum Schluss kann man noch gehackte Petersilie drüber streuen. Fertig. Als Beilage wären u.a. Spätzle oder Gnocchi denkbar, ein knuspriges Baguette tut‘s aber auch.

Zugegeben, das ist kein Rezept für absolute Küchen-Novizen. Aber die Mühe lohnt sich, weil es wirklich großartig schmeckt. Und auch helfen kann, mögliche Innereien-Blockaden ein für allemal zu knacken.

Zutaten für vier Personen:

3 Kalbsnieren (7-800 g)
3 Schalotten
3 EL Sonnenblumenöl
50 g Butter
20 ml Cognac
150 ml trockener Weißwein
100ml Sahne
150ml Kalbsfonds (aus dem Glas)
Je einen EL Dijon- und körnigen Senf
Salz, Pfeffer

Anzeige