Debatte um Sternchen, Unterstrich und Doppelpunkt - Die Genderei funktioniert nicht

Wer das Gendern kritisiert, muss ein Rechter sein und damit ein Feind, den es zu bekämpfen gilt. Dieses Narrativ zeigt den totalitären Charakter der Gender-Ideologie auf. Sie grenzt aus, wo sie vorgibt, alle einschließen zu wollen. Und selbst die verbissensten Kampfgenderer scheitern im Alltag an ihrer Umsetzung. War es das dann?

Der Helfer einer grünen Wahlkampfveranstaltung trägt eine Warnweste mit gendergerechter Aufschrift / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Vielleicht können Historiker den Moment, in dem es kippte, dereinst auf den Tag genau bestimmen: 17. August 2021, 48 Stunden nach dem Fall Kabuls. Da schrieb das ZDF zu einem Video mit einem bis an die Zähne bewaffneten Talibankämpfer: „Die Islamist*innen ziehen in immer mehr afghanische Städte ein.“ Der Shitstorm ließ nicht auf sich warten. Tags drauf waren Video und Erklärzeile gelöscht, doch der Spott dauert bis heute an und übertraf sogar den zuvor an die ARD gerichteten, die etwas von „Kommandeurinnen und Kommandeuren der Hamas" geschrieben hatte.

Tatsache ist: Die Genderei funktioniert nicht. Sie selbst nicht und die Verleumdung jeder Kritik als Auswuchs eines „Feindbilds der extremen Rechten“ erst recht nicht. Selbst die verbissensten Kampfgenderer scheitern im Alltag an der Umsetzung ihrer Ideologie, weil eine Radfahrende, die soeben von einem Lastwagen überfahren wurde, keine solche mehr ist, sondern tot.

Der Hausärzt [!]

Und dies ist nur ein besonders zynischer Anwendungsfall des Partizip Präsens, das hier genauso wenig etwas zu suchen hat wie etwa bei jenen „Studierenden“, die sich drei Pandemie-Semester lang darüber empört haben, keine Studierenden sein zu dürfen, sondern vielfach an diesem Montag erstmals ihren Campus betreten und ihre Kommilitonen sehen. Und wenn dann auch noch – so die Tagesschau – „einige Pilot:innen [...] sich zu Lokführenden umschulen lassen“, oder „Wählende“ sich laut Tagesspiegel empören, weil sie eben genau das nicht sein durften, sondern unverrichteter Dinge heimgeschickt wurden, oder auch „drei Raumfahrende“ zur Erde zurückkehren (in der banalen Wirklichkeit allesamt Männer) oder doch bitte die „Hausärzt*in“ um Rat zu fragen sei (Mann: Hausärzt, Frau: Hausärztin, Sternchen: alles dazwischen) oder oder oder – ja, dann ist einfach alles zu spät und die Blamage mit einem Versuch, der die Welt doch gerechter und besser machen sollte, perfekt.

Gegenderte Texte sind auch nicht übersetzbar. Ihre Urheber nehmen die damit einhergehende Provinzialität also mindestens billigend in Kauf. „Wir haben Teile der Bevölkerung verloren“, konstatiert ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. Sollte sie an einer ehrlichen Ursachenforschung interessiert sein, könnte sie hier im eigenen Senderkonzern fündig werden.

Keine Hausbesitzerinnen, nur ausbeuterische Hausbesitzer

Warum ausgerechnet ARD und ZDF glauben, per penetranter Sprachverhunzung an vorderster Front pädagogisch tätig werden und die Anstrengungen angesichts hartnäckiger Ablehnung des Publikums dann auch noch verdoppeln zu müssen, weiß der Himmel. Seit der höchstrichterlichen Gebührenerhöhung gibt es in den Anstalten auch auf diesem Feld keine Rücksicht mehr und keinen Respekt vor Leuten mit einem Minimum an Sprachverständnis und Logik.

So geht es nicht, also brauchen wir einen größeren Anlauf, um erneut gegen dieselbe Mauer zu rennen – das kann man natürlich so machen. Wirklich schlau oder gar klug wirkt es aber nicht. Wer es konsequent zu machen versucht, macht sich lächerlich, wer es nicht tut, unglaubwürdig. Etwa, wenn es angeblich keine Faschistinnen gibt oder keine Hausbesitzerinnen, sondern nur ausbeuterische Hausbesitzer.

Frauen werden auf Satzzeichen reduziert

Der Inklusionswahn per Sternchen, Unterstrich und Doppelpunkt hat zudem einen anderen, genau gegenteiligen Effekt als den behaupteten: Er grenzt aus, wo er vorgibt, „alle“ einschließen und mitmeinen zu wollen, er erschwert Ausländern, Lern- und Hörbehinderten den ohnehin heiklen Erwerb der deutschen Sprache; und er lässt Blinde ratlos zurück, deren Hilfsapparaturen ganze Sätze lang nur noch sinnloses Gestammel von sich geben. Ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit, korrekt gendernd noch einen ästhetischen Text zustande zu bringen.

Der vorschriftsmäßig gegenderte Text wird doppelt so lang und verwahrlost bereits optisch, also auf den ersten Blick. Und Frauen, denen man doch angeblich etwas Gutes tun will, verweigern sich, weil sie nicht auf irgendwelche Satzzeichen reduziert werden wollen. Immer mehr Menschen sagen: Beim ersten Sternchen höre ich auf zu lesen. Oder schaue es mir gar nicht erst an. Die Parolen von ARD und ZDF, die einen werden sich schon dran gewöhnen und die anderen irgendwann sterben, haben sich nicht erfüllt und werden dies auch nicht mehr tun.

Spalterischer Charakter

Das Umerziehungsprogramm ist aber nicht nur auf der sachlich-logischen Ebene heillos vergiftet. Es krankt noch mehr an seiner parallel verfolgten Agenda, denn der spalterische Charakter der systematischen Sprachverhunzung kann auch dienen zu einer dort als angenehm empfundenen Komplexitätsreduktion, die die nähere Befassung mit dem Gegenüber erspart. Das geschieht dann nach dem Motto: Wer das Gendern verweigert, kritisch sieht oder gar offen bekämpft, muss ein Rechter oder Rechtsradikaler sein – und damit ein Feind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.

Hier tritt der totalitäre Charakter dieser Ideologie offen zutage. Erschütternd die Parallelen zu den Mechanismen, die der Frankfurter Soziologe Tilman Allert vor 16 Jahren in seiner genialen Analyse „Der deutsche Gruß – Geschichte einer unheilvollen Geste“ lieferte.

Skeptiker und Systemgegner

Im Kapitel „Der Hitlergruß: ein verkleideter Schwur“ beschreibt Allert, wie nach dem Januar 1933 „als neue Variante der Hitlergruß in die deutsche Grußlandschaft dringt“. Ohne dass eine rechtsverbindliche staatliche Grundlage existiert hätte, sei er auf alle öffentlichen Dienststellen ausgedehnt und zur allgemeinen Pflicht erklärt worden. „Besonders in den ersten Jahren der Machtkonsolidierung wurde er bereitwillig und in einem hohen Maße praktiziert.“

Wer den Gruß verweigerte, sich stattdessen mit einem bürgerlichen „Guten Tag“ begnügte oder mit einem „Auf Wiedersehen“ verabschiedete, machte sich in aller denkbaren Prägnanz, Kürze und Klarheit nicht nur verdächtig, sondern outete sich regelrecht mindestens als Skeptiker, wenn nicht Gegner des Systems.

Eine quasireligiöse Ebene

Heute steht an der Stelle des „Unversehrtheitswunsches“ (Allert) zugunsten des Führers das Verlangen nach Sichtbarmachung, Gleichstellung, Respektierung, ja Bevorzugung aller möglichen Gruppen – mit einer Gemeinsamkeit: Sie sind ebenfalls nicht anwesend, sollen aber auf einer quasireligiösen Ebene „mitgedacht“ und „mitgemeint“ sein und das auch irgendwie über jede Distanz hinweg „fühlen“, und sei es am anderen Ende der Welt.

Dieses Postulat erstreckt sich – anders als während der NS-Diktatur – nun aber keineswegs nur auf Beginn und Ende einer persönlichen Begegnung oder eines Schreibens. Es soll den gesamten Text von der Anrede bis zur letzten Silbe durchdringen. Wer sich verweigert, auf bürgerlichen Sprach-Konventionen und biologischen Tatsachen beharrt und sich auf amtliche Regelwerke beruft, muss laut Bundeszentrale für politische Bildung damit rechnen, „der extremen Rechten“ zugeordnet zu werden. Absurder geht es kaum.

Vehikel eines bestimmten Glaubens

Allert schreibt in seiner Analyse des Hitlergrußes: „Der Arm – als gestisch untermauerter Vollzug des Sprechakts – wird allerdings nicht dem Gegrüßten entgegengestreckt, sondern über ihn hinausgeführt. Er weist in die einsame Leere des Raums auf den fiktiven Ort einer möglichen Begegnung“ – wie ja auch Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte oder das Gegluckse von öffentlich-rechtlichen Nachrichtensprecherinnen auf möglicherweise irgendwo vorhandene, tatsächlich aber konkret abwesende Personen und beliebige non-binäre Identitäten an fernen Orten verweisen, denen man mit willkürlich gewählten und grammatikalisch sinnlosen Satzzeichen sowie künstlichen Atem- und Sprechpausen Treue, Unterstützung und vor allem „Solidarität“ schwört.

Wer es unterlässt, sieht sich automatisch unter Rechtfertigungszwang und outet sich als Zweifler. Umgekehrt schafft das Gendersternchen eine Verbindung, die jede weitere Erläuterung erspart, vielmehr die Botschaft „Ich gehöre zu den Guten und nicht zu den Bösen“ mit maximaler Penetranz verkündet, ohne dass sich ihr jemand entziehen könnte. Die Sprache hat dann nichts Individuelles, Privates, mit Bedacht und nach langem Lernen und reiflicher Überlegung Angewandtes mehr, wie es ja auch vor der Vereinheitlichung durch das NS-Regime die Rituale von Begrüßung und Verabschiedung waren, sondern Vehikel eines bestimmten Glaubens und Strebens. Parallelen zu den Bekenntnissen im sich bald in Ostdeutschland anschließenden DDR-Unrechtsstaat sind keineswegs zufällig, blieben dort aber jedenfalls grundsätzlich vor der Wohnungstür.

Für uns oder gegen uns

In dem Moment, als unter anderem ausgerechnet ARD und ZDF das Gendern als moralisches Distinktionsmerkmal outeten, war die Behauptung, es gebe keine Vorgaben, keine Strafen und keinen Punktabzug bei Verweigerung, als Lüge entlarvt und erledigt. Für uns oder gegen uns – das sind die bedrückenden, spalterischen Kategorien. Nur dass das Konzept nicht funktioniert, im Praxistest scheitert und deshalb nicht einmal annähernd mehrheitsfähig ist, wie Umfragen ja in aller Deutlichkeit beweisen.

Die Planierung des Individuellen trifft auf Widerstand – und dass dies besonders in der Provinz und in Ostdeutschland geschieht, ist kein Zufall, sondern eine bittere Lehre aus dem real existierenden Sozialismus. Die Konzentration der Partei Die Linke auf „Klimaschutz“ und „Gendergerechtigkeit“ hätte auch deshalb um ein Haar ihren Rauswurf aus dem Bundestag zur Folge gehabt. Sahra Wagenknecht prophezeite genau das – und soll dafür nun ihrerseits mit Rauswurf bestraft werden. Wer sich einmal diesem Fetisch hingegeben hat, wird sich nicht so ohne Weiteres von ihm lösen, und sei es um den Preis der eigenen Irrelevanz.

Diverse Deppenzeichen

Die soeben wieder an das ZDF gerichtete Frage, welcher Hinterwäldler eigentlich immer noch durch diverse Deppenzeichen vor dem Irrtum bewahrt werden müsse, Polizisten, Lehrer, Trambahnfahrer, Ärzte seien ausnahmslos Männer, blieb erwartungsgemäß ohne Antwort, denn es widerspricht ja nun wirklich jeder Lebenserfahrung, gerade der östlichen. Und die Mutter oder Großmutter oder Transperson, die sich nicht angesprochen fühlte, wenn nur „Anwohner“ aufgefordert werden, sich in Sicherheit zu bringen, weil bei Bauarbeiten eine WK-II-Bombe entdeckt worden ist, muss ebenfalls erst noch erfunden werden.

Wer krampfhaft alle ansprechen will, läuft vor lauter Einteilung der Gesellschaft in immer winzigere Gruppen am Ende Gefahr, niemanden anzusprechen. Gleichzeitig werden etwa Gefahren, die konkret vor allem oder alleine Frauen betreffen, verschleiert, weil es sich angeblich nicht mehr gehören soll, sie explizit zu nennen – es könnte sich ja jemand übergangen fühlen. Das ist schlicht frauenfeindlich, gefährlich und ein Rückschritt.

Missverhältnis zwischen Aufwand und Erfolg

Schauen wir zum Schluss dieser Lagebeschreibung noch einmal auf einige Fakten im Hinblick auf „Gleichstellung“, „Diversität“ und „Geschlechtergerechtigkeit“:

Die zum 1. Januar 2019 mit gigantischem Aufwand nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzte Möglichkeit, sich auch als „divers“ beziehungsweise „sonstige“ zu definieren, wurde nach allen bekannten Informationen aus den Kommunen in einem lächerlich geringen Ausmaß genutzt. 400 Personen ließen dieses Bekenntnis seither in ihren Personalausweis oder Reisepass eintragen. Eine(r) von 200.000 Bundesbürgern. Ein krasseres Missverhältnis zwischen Aufwand und Erfolg ist kaum denkbar. Dabei liegt die Erklärung auf der Hand; sie war auch für niemanden wirklich eine Überraschung: Im Ausland handelt man sich mit einem solchen Merkmal nichts als Ärger ein, wenn nicht Schlimmeres. Reine Symbolpolitik ohne jeden Nutzen bei gigantischen Kosten.

Feministischer Vorzeigebetrieb

Das Bild vom armen, diskriminierten, chancenlosen Frauchen, das ohne kräftige Unterstützung beruflich nie auf einen grünen Zweig kommen wird, sondern stets als unterbezahlte Tippse oder Hilfskraft ihr Dasein fristen muss, ist in einer ganzen Reihe von Branchen überholt. Aufschlussreich etwa ein genauerer Blick auf das Organigramm der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz oder am selben Ort das der Redaktion des 3sat-Magazin Kulturzeit.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat aus ihrer Mainzer Regierungszentrale seit Amtsantritt vor knapp neun Jahren einen feministischen Vorzeigebetrieb gemacht, in dem die Herren der Schöpfung ausweislich des amtlichen Organigramms nur noch ausnahmsweise etwas zu melden haben. Angesichts eines Männeranteils an den Führungspositionen von nicht einmal mehr zehn Prozent ist da in Sachen Gleichstellung offenbar noch beziehungsweise wieder eine Menge zu tun.

Männerquote liegt bei null Prozent

Ähnlich das Ergebnis beim Blick in die wenige Kilometer entfernte 3sat-Redaktion: Von insgesamt 56 Redakteurinnen und Redakteuren sind 41 weiblichen Geschlechts. Die Führung ist schon seit Jahren durchgehend weiblich. Unter den Moderatoren beträgt die Männerquote ebenfalls null Prozent. Wer sich angesichts solcher Tatsachen wirklich um seine Karrierechancen sorgen muss, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Nun ist es ja ein denkbarer Standpunkt, nach Jahrzehnten der Männerklüngel seien jetzt halt mal die Frauen an der Reihe – wobei es noch gar nicht gesagt ist, dass eine lupenreine Weiberwirtschaft alle Beteiligten zwangsläufig glücklicher machen muss als gemischte Teams, wie sie bis vor fünf Jahren noch als Ideallösung propagiert wurden. Das Verfallen ins andere Extrem könnte ein wenig arg deutsch anmuten. Großartige Unterstützung durch Gender Mainstreaming bis in alle Ritzen der Gesellschaft erscheint jedenfalls zusätzlich zu den beschriebenen spalterischen Folgen auch auf der betrieblichen Ebene – wo statt Ideologien harte Fakten sprechen – , nicht länger erforderlich, hilfreich und zeitgemäß.

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