Inaugurationsgedicht von Amanda Gorman - Am Original vorbeigeschrammt

Die deutsche Übersetzung von Amanda Gormans vieldiskutiertem Gedicht ist in Wahrheit nichts anderes als politische Propaganda. Ein Beispiel macht deutlich: Sogar mit kostenloser Übersetzungs-Software wäre das Ergebnis näher am Ursprungstext gewesen.

Die deutsche Ausgabe von Amanda Gormans Band „The hill we climb“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

So erreichen Sie Mathias Brodkorb:

Anzeige

Sie haben bestimmt auch schon davon gehört oder gelesen: Der afro-amerikanischen Autorin Amanda Gorman wurde die Ehre zuteil, anlässlich der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden mit „The hill we climb“ öffentlich einen ihrer Texte vorzutragen. Die Resonanz war enorm, und sofort schickten sich Verlage auf der ganzen Welt an, den Text in die jeweilige Landessprache zu übersetzen. Allerdings erwies sich die Sache als etwas komplizierter als gedacht.

Für die Übersetzung ins Niederländische war, offenbar mit Zustimmung Gormans, ursprünglich Marieke Lucas Rijneveld vorgesehen – immerhin Inhaberin des „International Booker Price 2020“. Nachdem allerdings eine farbige Übersetzerin öffentlich in Frage gestellt hatte, dass eine Weiße überhaupt in der Lage sein könnte, das Gedicht einer Farbigen angemessen, also authentisch, zu übersetzen, entspann sich eine breite öffentliche Debatte. In deren Folge gab Rijneveld den Übersetzungsauftrag von selbst wieder zurück.

Falsche Hautfarbe, falsches Geschlecht

Wenig später folgte der Katalane Víctor Obiols, nur dass ihm in diesem Fall sogar der Verlag nach einer öffentlichen Diskussion den Auftrag wieder entzog. Obiols’ Pech war dabei nicht nur, dass er die falsche Hautfarbe, sondern auch noch das falsche Geschlecht besitzt. Biologische Merkmale machen mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg also wieder einen bedeutsamen Unterschied. Herzlichen Glückwunsch, kann man da nur sagen!

In Deutschland war man da klüger, aus historischer Erfahrung natürlich. Mit der Übersetzung beauftragt wurde gleich ein aus drei Personen bestehendes politisch korrektes Kollektiv. Dabei achtete der Verlag „Hoffman & Campe“ nicht nur darauf, dass sich unter den dreien wenigstens eine befindet, die auch etwas von Lyrik versteht. Immerhin! Uda Strätling wurden außerdem eine muslimische Aktivistin und eine farbige Journalistin beigesellt.

Die Übersetzungsleistung erweist sich nun als absoluter Knaller. Beispiel gefällig? Im Original heißt es: 

„To compose a country committed to all cultures, colors, characters and conditions of man.“

Und in der offiziellen deutschen Übersetzung: 

„Ein Land für Menschen aller Art, jeder Kultur und Lage, jeden Schlags.“

Dass die Übersetzung ziemlich deutlich am Original vorbeischrammt, fällt sofort jedem Zehntklässler auf. Während Gorman ganz selbstverständlich von „colors“ spricht, ist das ins Deutsche natürlich auf gar keinen Fall zu übersetzen. Wenn Farbige von der „Farbe“ reden, ist das die eine Sache. Die dürfen und müssen das ja qua Geburt. Für eine hauptsächlich „weiße“ Gesellschaft kommt das allerdings nicht in Frage. Schon gar nicht bei dieser Vergangenheit!

In Wahrheit haben wir es daher nicht mit einer Übersetzung, sondern einer Eingliederung in den deutschen postnatalen Schuldkomplex zu tun. Es geht nicht darum, die Worte und Intentionen der Autorin möglichst ungebrochen ins Deutsche zu übersetzen, sondern den Ursprungstext als Möglichkeit der volkspädagogischen Belehrung zu nutzen. Es ist keine Übersetzung, sondern politische Propaganda.

Aber wer braucht heutzutage eigentlich noch „Übersetzer“, die nicht eigentlich übersetzen, sondern ihre Weltanschauungen oder die ihrer Verlage transportieren? Zum Glück haben wir ja inzwischen die künstliche Intelligenz. Ich bekenne: Bis heute habe ich davon so ganz und gar nichts gehalten. Die Kreativität menschlicher Intelligenz schien mir unersetzbar. Aber wie gesagt: nur bis heute. 

Die Probe aufs Exempel

Im Jahr 2017 brachte ein Kölner Start-up mit „DeepL“ eine digitale Übersetzungsmaschine an den Start, die auf lernende, künstliche Intelligenz setzt. Ich hielt das alles bisher wirklich für Hokuspokus. Aber die Ergebnisse sind ganz und gar erstaunlich. Machen wir die Probe aufs Exempel. Die hier diskutierte Stelle aus dem Text von Gorman übersetzt „DeepL“ in Bruchteilen von Sekunden und ganz kostenlos wie folgt:

„Ein Land zu gestalten, das allen Kulturen, Farben, Charakteren und Bedingungen der Menschen verpflichtet ist.“

Und so leid es mir tut: Das ist, ganz ohne Übersetzungshonorar, sehr viel dichter am Original als die offizielle Übersetzung. Schon aus Urheberrechtsgründen können wir an dieser Stelle leider nicht ausführlicher werden. Machen Sie doch einfach selbst die Probe aufs Exempel. Den Originaltext gibt es im Internet, und „DeepL“ übersetzt bis zu 5.000 Zeichen ganz kostenlos. „Hoffman & Campe“ hätte für eine Monatslizenz von „DeepL pro“ nur schlappe 5,99 Euro berappen müssen. Und hätte ein besseres Übersetzungergebnis erzielt.

Aber um die richtige Übersetzung geht es in diesem Fall sowieso nicht. Es geht um bloße Gefühle, um Gefühle der Authentizität. Allerdings führt das zu absurden Konsequenzen. Männer dürften dann nämlich nur noch Männer übersetzen, Weiße nur noch Weiße, Lesben nur noch Lesben, Massenmörder könnten in Filmen und auf der Theaterbühne nur durch authentische Massenmörder, Pädophile nur durch Pädophile und Nazis nur durch echte Nazis verkörpert werden. 

Es täten sich dann ungeahnte Einkommensquellen für Menschen auf, denen wir unter gewöhnlichen Umständen wohl kaum zu ihrem Lebensunterhalt verhelfen wollten. Wohl bekomm’s, kann man da nur sagen!

Anzeige