Claudia Neumann - Ich bin kein Opfer!

Die Journalistin Claudia Neumann kommentiert für das ZDF Fußballspiele der Herrennationalmannschaft. Das gefällt nicht allen. Für das neue Jahr hat sie große Pläne

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Claudia Neumann ist überzeugt, in Wahrheit seien „diese Hater ganz harmlose, arme Würstchen“ / Zino Peterek
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Die Szenerie erscheint derart perfekt, dass sie fast surreal wirkt. Ein nicht enden wollender Sommer bietet noch einmal all das auf, was ihn bis dahin mit Superlativen dekoriert hatte. Die Marktkirche in Wiesbaden erhebt sich mit ihren fünf Türmen majestätisch in den königsblauen Himmel. Zu Füßen des roten Backsteinbaus liegt das mondäne Restaurant Lumen. Heimspiel für Claudia Neumann, in ihrem Metier für viele Beobachter so etwas wie die Gestaltungskraft des Imperfekten.

Neumann arbeitet freiberuflich als Sportjournalistin. Ihr Handwerk gelernt hat sie nach dem Germanistikstudium in Bonn bei den „Privaten“: 1991 hospitierte sie in der RTL-Sportredaktion in Köln, wurde dann frei engagiert, wechselte ein Jahr später zu Sat.1 nach Hamburg. Seit 1999 arbeitet Neumann in der Hauptsache fürs ZDF. Dass sie auch Live-Spiele im Herrenfußball begleitet, macht sie zum Problem. Nicht für die schweigende Mehrheit vor der Glotze, aber für Kohorten von Männern im Netz.

Hater sind harmlose, arme Würstchen

Sobald bekannt wird, dass Neumann auf eine Partie angesetzt ist, überschütten sie die Mittfünfzigerin mit Häme. Seit der Europameisterschaft 2016 wird Neumann regelmäßig grob gefoult. Dass sie die erste Frau war, die im deutschen Fernsehen Turnierpartien im Herrenbereich kommentierte, mag Grund für die Attacken sein – neben Stimme und Stil.

Ihre exponierte Rolle in einer Männerdomäne mache sie zur willkommenen Zielscheibe, glaubt Neumann. „Natürlich prallt das an mir nicht so einfach ab“, bekennt die Rheinländerin, „aber wir reden hier von einigen wenigen Menschen, die mich im Netz immer wieder angehen.“ Jeder müsse für sich abwägen, ob er das ertragen könne. Sie versuche, das Ganze so wenig wie möglich an sich herankommen zu lassen. Shitstorms gebe es eh wegen jeder Kleinigkeit.

Hier gehe es „nur um Fußball, nicht einmal um mich als Person, das ist für mich so banal, dass ich mich nicht damit beschäftigen kann“. Neumann ist überzeugt, in Wahrheit seien „diese Hater ganz harmlose, arme Würstchen, zumindest benehmen sie sich so“. Ihre zur Schau gestellte Unbekümmertheit garniert sie mit einer Klarstellung: „Ich bin kein Opfer! Ich mache den Job freiwillig, weil ich Spaß daran habe und davon überzeugt bin, dass ich das kann.“ Ein Eindruck, den selbst neutrale Beobachter bisweilen nicht teilen.

Enfant Terrible in konservativem Umfeld

Die Gesichtszüge der 1,73 Meter großen Frau erscheinen härter als auf offiziellen Fotos. Sie spricht weniger angestrengt als auf dem Sender, ihre Stimme klingt melodisch. Mehr noch überrascht ihre wilde Lockenmähne. Die trägt sie nur privat. Für öffentliche Auftritte föhnt und glättet Neumann ihr Haar zur kreuzbraven Frisur. Die macht sie herber, dominanter – und will nicht recht zu ihrem bulligen Typ passen. Neumann lässt sich schon optisch in keine Schublade stecken.

Geboren in Düren, aufgewachsen in Neunkirchen-Seelscheid im Rhein-Sieg-Kreis, galt die junge Claudia vielen im Ort als sonderbar. Früh hatte sie der ältere ihrer zwei Brüder auf den Bolzplatz mitgeschleppt. Fortan kickte sie als einziges Mädchen mit den Jungs. Die Eltern – der Vater Pilot, die Mutter Hausfrau – hätten vieles versucht, um ihre Tochter davon abzubringen: „Sie haben mir Reitstunden geschenkt, mich beim Tennis angemeldet.“ Neumann blieb beim Fußball.

„Als Mittelstürmerin habe ich vorne die Tore gemacht“, erzählt sie lässig. Neumann war akzeptiert, wohl auch respektiert innerhalb der Mannschaft. Und manchem missliebig: „Mir ging es nie ums Gewinnen, ich wollte ein schönes Spiel sehen, zum Ärger einiger Mitspieler“, erinnert sie sich und lacht. Lange hegte selbst ihr engstes Umfeld Zweifel, ob sie im Leben die Kurve kriegen würde. „Ich war phasenweise ein Enfant terrible, bin aus dem bürgerlich-konservativen Elternhaus ausgebrochen.“ Auch in der Schule sei es „zwischenzeitlich schwierig geworden“. Im Vertrauen auf sich allein machte Neumann Karriere wider Willen.

Keine weiteren Echtzeitpartien angesetzt

Vielleicht ist neben dem robusten Naturell ihre bemerkenswerteste Eigenschaft, alles und alle auf Distanz halten zu können: das „längst komplett überhöhte“ Fußballgeschäft, die Spieler („ich duze keinen“), die Hetzer. Dem Fußballspiel gilt die Liebe einer Frau, von der privat nur bekannt ist, dass sie kinderlos ist. „Mir ist es wichtig, authentisch zu bleiben. Ich würde nie versuchen, mich zu verstellen, nur um anderen zu gefallen.“

Bis Jahresende hat das ZDF keine weiteren Echtzeitpartien mit Neumann angesetzt. Nicht, um sie aus der Schusslinie zu nehmen. Ihr Sender hält nicht mehr so ein üppiges TV-Rechtepaket. Unter anderem ging dem ZDF die Champions League perdu. Nächstes Jahr werde „sicher wieder etwas kommen“, bekräftigt Neumann, „unbestritten im Sommer die Frauen-WM“. Alles Weitere werde sich weisen. Wie immer.

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

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