Hundert Jahre Frauenwahlrecht - Donnerschlag für den Feminismus

Vor hundert Jahren, am 6. Februar 1918 um 20 Uhr, wurde das Gesetz zum Frauenwahlrecht in Großbritannien verabschiedet. Deutschland zog bald nach. Die Suffragetten kämpften dafür. Was würden sie heute zur #metoo-Debatte sagen?

Emmeline Pankhurst kämpfte für Frauenrechte nicht immer auf die feine englische Art / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Wenn der Kampf vorbei ist, wird man sich rückblickend wundern, mit welcher Blindheit die Regierungen geschlagen waren, diese so simple und offensichtliche Maßnahme so lange blockiert zu haben”, schrieb die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst 1911. Es dauerte noch einige Hungerstreiks und einen Weltkrieg, bis die oberste Suffragette endlich ihren Willen durchgesetzt hatte. Der „Representation of the People Act 1918” wurde um 20 Uhr am 6. Februar 1918 in Großbritannien verabschiedet. Das Gesetz gestand allen Männer ab 21 und allen Frauen ab 30 Jahren (!) das Wahlrecht zu. 

Seit hundert Jahren dürfen Frauen in Großbritannien also wählen und Emmeline Pankhurst hat recht behalten: Es ist eine Selbstverständlichkeit geworden, dass Frauen gleiche Rechte wie Männer haben. Zumindest in Großbritannien. Und in Deutschland, wo die Frauen im November 1918 das Wahlrecht erhielten. 

Der Kampf ist noch nicht vorbei

Etwas länger hatte es in Frankreich gedauert – dort waren Frauen zwar kurzfristig während der französischen Revolution gleichgestellt gewesen, dann aber schafften es die Gesetzgeber erst 1945, Frauen an die Wahlurnen zu lassen. Ganz zu schweigen vom Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden. Die Eidgenossen mussten 1990 vom Bundesgericht gezwungen werden, dass auch Frauen einen Wahlzettel abgeben durften. In Saudi-Arabien schleppt sich die Reformbewegung immer noch dahin. Frauen dürfen zwar seit 2015 wählen – allerdings nur bei Gemeinderatswahlen. 

#Stillmarching heißt deshalb die Losung der britischen Feministinnen um Emmelines Urenkelin Helen Pankhurst: „Die Suffragetten haben viel geschafft, aber es bleibt auf der ganzen Welt noch einiges zu tun”, sagt die Autorin, die wie ihre Großmutter für Frauenrechte streitet. Ihr Buch „Deeds not Words“ („Taten, nicht Worte”) zeichnet die weltweite Geschichte des Feminismus nach. Für den heutigen Dienstag um 20.00 Uhr hat sie einen „Thunderclap“ – einen Donnerschlag im Internet – organisiert, bei dem vier Millionen Menschen in Großbritannien und der weiteren Welt mitmachen sollen : „Wir wollen damit über Parteigrenzen hinweg die politische Partizipation von Frauen fördern.”

Erste Frauen auf dem Parlamentsplatz

Zu den Unterstützern des feministischen Donnerwetters im Internet zählen neben dem Chef der Labour-Party Jeremy Corbyn auch die konservative Premierministerin Theresa May. In einer Rede in Manchester anlässlich des Jahrestages feierte May den „Heroismus der Suffragetten-Bewegung”. Unter Umständen träumt die umkämpfte Regierungschefin selbst davon, ein Stück weit aggressiver agieren zu können. Die Brexit-Verhandlungen mit den Europafeinden in ihrer eigenen Partei zehren an der Pastorentochter. Einen Hungerstreik, um den wildgewordenen Brexitieren einen Deal abzuzwingen, erwägt May wohl nicht.

Das Vorgehen der Suffragetten war wegen deren Militanz lange Zeit umstritten. Dass die Frauen bei Demonstrationen Fensterscheiben einschlugen, in Museen Kunstwerke beschmierten und Polizisten anspuckten, hielten viele Briten nicht für die feine Art. Erst über freundliche Darstellungen von Emmeline Pankhurst, verkörpert etwa von Meryl Street im Film „Suffragette” von 2015, haben die militanten Frauenrechtlerinnen inzwischen die Anerkennung der Mehrheit erlangt.

Dennoch wird nun nicht Emmeline Pankhurst, sondern der moderateren Millicent Fawcett ein Denkmal gesetzt. Als erste Frau wird ihr Abbild auf dem Londoner Parlamentsplatz neben nationalen Helden wie Winston Churchill stehen. Fawcett sprach sich gegen Gewalt aus und in dem Dachverband der Frauenrechtlerinnen, den sie anführte, waren im Unterschied zu den Suffragetten Männer erlaubt. In Bronze gegossen wird Fawcett von der Künstlerin Gillian Wearing. Auch sie ist eine erste Frau. Die erste, die einen Auftrag für eine Arbeit erhalten hat, die auf dem Parlamentsplatz vor dem Westminster-Palast stehen wird.

„Ich habe die Statue für Millicent Fawcett immer unterstützt”, sagt Helen Pankhurst dazu, „schließlich geht es darum, die Arbeit aller Frauenrechtlerinnen zu ehren.” Kritik erntete Wearing bisher nur aus künstlerischer Sicht. Die Statue von Millicent Fawcett hält ein Transparent in Händen, auf dem der Slogan „Courage calls for Courage everywhere” (etwa: „Courage zieht Courage nach sich”) steht. Es sähe aus wie ein Stück Wäsche, spotteten böse Zungen, und so, als wäre Fawcett gerade beim Aufhängen derselben erwischt worden. Den Slogan aber prägte Fawcett in einer Rede, nachdem die Suffragette Emily Davidson aus Protest bei einem Derby vor das Pferd von König Georg V. gesprungen und zu Tode getrampelt worden war.

Was heißt Feminismus heute?

Die Feministinnen von 2018 sind jedenfalls nicht im Blick auf die Vergangenheit ihrer Bewegung gespalten. Zwischen den Generationen der heutigen vierten Welle der Frauenrechtlerinnen und den betagteren Heldinnen der 68er-Bewegung dreht sich der Streit eher darum, was Feminismus heute kann und können soll. Kämpft man um eigene Toiletten für Transgender-Menschen? Sind Quoten in den Vorständen von Firmen und Parteien sinnvoll? Und wer soll das entscheiden? Helen Pankhurst stimmt versöhnliche Töne an: „Mein Instinkt sagt mir, wir sollten den jungen Feministinnen zuhören. Sie sind schließlich die, die heute an der Front stehen.”

Das meint sie auch in Hinsicht auf die #metoo-Debatte. Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve, die von vielen Frauen dafür kritisiert worden war, dass sie einen „neuen Puritanismus“ beklagt hatte, seien eben in anderen Zeiten groß geworden als ihre jüngeren Kolleginnen. Was für ältere Frauen und Männer noch irgendwie durchgegangen wäre, sei für jüngere heute oft nicht mehr in Ordnung. Vor allem, wenn Männer wie Harvey Weinstein oder Dieter Wedel ihre Machtpositionen ausgenützt hätten, um Frauen sexuell zu belästigen.

Wobei gesellschaftliche Entwicklungen ja oft auch widersprüchlich verlaufen. Im Vereinigten Königreich sitzt seit 64 Jahren mit Queen Elizabeth II. eine Frau auf dem Thron. In 10 Downing Street residiert mit Theresa May eine konservative feministische Frau. Gleichzeitig ist es möglich, wie die Financial Times Ende Januar 2018 aufdeckte, dass es 33 Jahre lang ein jährliches Charity-Dinner des „Presidents Club“ gab, bei dem nur Männer als Gäste zugelassen waren und denen es erlaubt war, die knapp bekleideten Hostessen zu begrapschen. „Willkommen zu der politisch unkorrektesten Veranstaltung des Jahres”, habe der Moderator des Abends noch in diesem Januar begeistert in den Ballsaal des feinen Dorchester Hotels gerufen. Nach dem Bericht in der Financial Times wurde der Wohltätigkeitsverein geschlossen. 

Für Helen Pankhurst ist Feminismus deshalb auch 2018 in Europa noch immer eine selbstverständliche Notwendigkeit. „Nicht die ganze Gesellschaft bewegt sich immer zur gleichen Zeit in eine progressive Richtung”. Manchmal müsse eben eine Gruppe voranstürmen. Wie ihre Urgroßmutter und die anderen Suffragetten vor hundert Jahren. 

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