Der Flaneur - Kunst und Comics und Selbstgefallen im Museum

Die Kunstmuseen haben viel Kundschaft. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen es laut Statistik mehr Museumsbesucher als Einwohner gibt. Früher hieß es, dass Kunst etwas für wenige sei. Da muss man sich wohl geirrt haben! Oder doch nicht?

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler/Jutta Fricke
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Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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„In der Tat gleichen die Museen mehr und mehr Leichenschauhäusern, die der Ursprungsform auch darin entsprechen, dass es nur noch um mechanische Identifizierungen geht. Die Korridore mit den Bilderstafetten als die Comics für gehobene Bedürfnisse, mit den Hinweistafeln als Sprechblasen.“ So sprach, mehr den Holzhammer als das Florett benutzend, Joachim Fest. Immerhin, der große Erfolg der Museen dürfte damit zusammenhängen, dass man in ihnen Bilder sehen kann, nicht Texte lesen muss. Letzteres fällt den Menschen bekanntlich immer schwerer, sofern die Texte länger als drei Zeilen sind. Die Besucher verbringen, wiederum laut Statistik, im Durchschnitt elf Sekunden vor einem Exponat. Das ist ungefähr so viel, wie sie benötigen, um eine Kurznachricht auf Whatsapp zu lesen. Das Tempo der sozialen Medien teilt sich dem Schritt im Museum mit – die Bilder werden nicht betrachtet, sondern gescrollt.

Die Lieblingsbeschäftigung der Besucher ist das Fotografieren, was sonst. In diesem zwanghaften Akt treffen zwei der zentralen Impulse des modernen Lebens zusammen: Einerseits suchen die Menschen das Authentische, wollen die Blumenwiese von Monet, die zu Hause als Ikea-Druck an ihrer Wand hängt, im Original erleben. Doch kaum wird ihnen dies zuteil, verwandeln sie das Original in eine fotografische Kopie und verschicken es an ihre Freunde. Schließen Authentizität und Kommunikation einander aus? Die Knipser würden wohl nicht einmal die Frage verstehen. Was nicht kommuniziert wird, ist für sie nicht existent. Die Versendung sorgt dafür, dass das Original erst wirklich wird.

Selbstgenuss statt Kunstgenuss

Das Kunstwerk erzeugt im Betrachter, haben wir bei Kant gelernt, interesseloses Wohlgefallen. Diese Theorie wird durch das Museums-Selfie widerlegt (von dem Kant zu seinem Glück noch nichts wusste, sodass er entschuldigt ist). Wenn der Museumsbesucher ein Gemälde sieht, wird das Interesse in ihm geweckt, sich selbst darzustellen. Der Glanz des Kunstwerks strahlt auf ihn ab, sein Ego schwillt vor Wichtigkeit und Begeisterung an, also hält er sein Gesicht neben die Blumenwiese und knipst. Selbstgenuss statt Kunstgenuss! Dem Gemälde begegnet er mit Interesse und sich selbst mit Wohlgefallen.

Im „Shop“ des Museums werden immer weniger Bücher angeboten. Das ist folgerichtig, denn die Bücher enthalten Bilder, und Bilder machen sich die Leute lieber selbst. Stattdessen findet man immer mehr Nippes, der die Kunst infantilisiert. In der Londoner National Gallery kann man das volkstümlichste Gemälde der Sammlung, die van goghschen Sonnenblumen, als Aufdruck auf T-Shirts, Henkeltassen, Handtüchern, Krawatten, Jutetaschen, Strumpfhosen, Federmäppchen, Tischdecken sowie Keksdosen erstehen. Das erinnert an die sekundäre Verwertung von Harry Potter oder Donald Duck – womit wir wieder bei Joachim Fest angelangt wären.

In der National Gallery konnte ich das Dauerfotografieren nicht ertragen; ich setzte mich auf eine Bank und ließ die Knipser vorüberziehen. Eine Aufseherin kam auf mich zu und fragte freundlich: „Are you well?“ Ich muss angegriffen ausgesehen haben; oder fiel ich dadurch auf, dass ich nicht fotografierte?

 

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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