Evangelische Kirche - Seenotrettung statt Seelsorge

Die evangelische Kirche hat angekündigt, ein Schiff zu kaufen, es umzubauen und auszurüsten und sich an der Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu beteiligen. Dabei sollten sich Politik und Religion nie vermischen

Ein Boot der Evangelischen Kirche / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Eine der zentralen Einsichten Luthers ist die Zwei-Reiche-Lehre. Sie unterscheidet scharf zwischen der Welt des Evangeliums und der Politik. In der Politik, so Luther, gelten andere Gesetze als im Verhältnis des Einzelnen zu Gott. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist” (Mt 22,21). Deshalb auch gelten in politischen Organisationen, zwischen Völkern und Staaten andere Regeln als in christlichen Gemeinschaften. Damit markiert Luther nicht nur wirkungsmächtig den Unterschied zwischen privat und öffentlich, sondern zugleich zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Erstere hat in der Politik nichts zu suchen.

Und weil das Reich Gottes nicht in dieser Welt ist, sondern „inwendig in Euch“ (Luk 17, 21), also in jedem Einzelnen und seiner Beziehung zu Gott, ist der Mensch gerechtfertigt allein durch seinen Glauben, nicht aber durch gute Taten. Hierin liegt die Gerechtigkeit Gottes: dass der Sünder ebenso gerechtfertigt ist wie der Heilige. Wer meint, durch gute Taten die Gnade Gottes zu erlangen, verfällt der Werkgerechtigkeit – also einer anthropozentrischen Anmaßung.

Mit Theologie hat die Kirche längst abgeschlossen

Das alles ist theologisches Einmaleins. Aber mit Theologie, erst recht der Theologie des noch vor zwei Jahren abgefeierten Reformators, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schon lange abgeschlossen. Zu sperrig, zu kompliziert und irgendwie nicht kuschelig genug. Lieber schmeißt man sich dem Zeitgeist an den Hals und huldigt einer ebenso diesseitigen wie kitschigen Menschlichkeitsreligion.

Über die kann man streiten, man kann sie gut finden, man kann sie kritisieren, man kann sie als notwendige und logische Folge des Christentums ansehen oder als dessen Karikatur. All das ist legitim. Und für jeden Standpunkt gibt es Argumente. Problematisch wird es jedoch, wenn man selbstgerechte Gesinnungsethik und selbstverliebten Moralismus als lutherisches Christentum ausgibt und in fröhlicher Einfalt danach handelt.

Ein eigenes Schiff muss es sein

Die Ankündigung der EKD, nunmehr ein eigenes Schiff anzuschaffen, umbauen und ausrüsten zu lassen, um sich an dem Transfer von Migranten über das Mittelmeer zu beteiligen – von Seenotrettung zu sprechen, ist in diesem Zusammenhang absurd –, kommt daher nicht überraschend, stellt aber dennoch den absoluten Tiefpunkt der jüngeren Geschichte der Evangelischen Kirche Deutschlands dar.

Gab man sich bisher mit süßlichen Floskeln und sentimentalen Einlassungen zufrieden, so schreitet man nun zur unseligen Tat. Dass bei dieser angeblichen Hilfsaktion niemanden wirklich geholfen wird, nicht den Menschen in Afrika, nicht den Transitstaaten, nicht Europa, dass vielmehr Kriminelle unterstützt werden, Schleppertum gefördert und falsche Hoffnung geweckt – all das ist dieser Kirchenführung offensichtlich egal. Denn allzu gern spielt man sich als politischer Akteur in einem hochpolitischen Spiel auf. Die abgenutzte Floskel vom „Zeichen setzen“ macht das überdeutlich und entlarvt das vorgeschobene Argument der Barmherzigkeit als altbackene Phrase.

Die Kirche sollte auch für Unheilige da sein

Vor allem aber fügt die EKD ihren Kirchen einen massiven Schaden zu, indem sie ihre eigentliche Aufgabe, die Seelsorge, konterkariert. Denn die Kirche sollte für alle da sein: für Linke, für Liberale, für Konservative, für Flüchtlingshelfer und Kritiker der Flüchtlingspolitik, für Internationalisten und Heimatverbundene, für Heilige und Unheilige. Indem sich die Kirche in Verkennung ihrer eigentlichen Aufgaben dermaßen gesellschaftspolitisch positioniert, spaltet sie, wo wie versöhnen sollte. Denn vor allem und zunächst ist die Aktion der EKD auch eine Botschaft nach innen: Guter Christ ist demnach, wer die Schiffspläne der Kirchenleitung unterstützt. Wenig subtil wird hier zwischen erwünschten und weniger erwünschten Gläubigen unterschieden. Und genau das darf eine Kirche niemals tun.

Dem politischen Statement opfern die evangelischen Kirchen ihre seelsorgerische Aufgabe. Es ist ein Trauerspiel ohnegleichen. Die noch verbliebenen Protestanten, die ihren Kirchen bisher dennoch in kritischer Treue verbunden waren, werden sich überlegen müssen, ob das nicht verlorene Liebesmüh war. Denn zum protestantischen Einmalsein gehört auch, dass es eine sichtbare Kirche eigentlich nicht braucht.
 

Anzeige