#Enkelkinderbriefe - Oma, wähl mal grün!

Die Aktion „Enkelkinderbriefe“ will Kinder dazu bewegen, Briefe an ihre Großeltern zu schreiben. Die sollen die Partei wählen, die gegen die Klimakatastrophe kämpft. Die passenden Textbausteine gibt es dazu. Der Enkeltrick ist ein bewährtes Instrument aus dem Baukasten totalitärer Regime, schreibt Alexander Grau.

„Oma, Opa wir müssen reden“: Briefe schreiben, leicht gemacht / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es werden zu wenige Briefe geschrieben, keine Frage. SMS, Social Media und WhatsApp haben der wunderbaren Kulturtechnik des Briefeschreibens den Garaus gemacht. Das ist traurig. Da ist es eigentlich nur zu begrüßen, wenn Kinder angehalten werden, Oma und Opa endlich mal einen Brief zu schreiben. Was für eine romantische Vorstellung: Die Enkel sitzen, den Füller in der Hand, vor einem leeren Blatt Papier und grübeln über den ersten Satz, während das Smartphone in der Ecke schweigt.

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Doch leider: Die Aktion „Enkelkinderbriefe“ ist keine Initiative zur Bewahrung europäischer Schriftkultur, sondern politische Agitation in ihrer unangenehmsten Reinform. Worum geht’s?

Mitte August startete die Initiative #Enkelkinderbriefe nebst zugehöriger Homepage. Auf dieser können geneigte Enkelkinder (oder Menschen, die sich für solche halten) unter der Überschrift „Oma, Opa wir müssen reden“ mittels eines Briefgenerators und vorgefertigter Textbausteine einen Brief an die lieben Großeltern schreiben, in dem diese ziemlich unverhohlen dazu aufgefordert werden, die Grünen zu wählen.

Nach der Wahl der Anrede kann der jugendliche Nutzer zwischen verschiedenen Formulierungen aussuchen, die seiner Sorge um die Zukunft Ausdruck verleihen. Dann muss er angeben, was seine Hauptsorge ist. Wenig überraschend: Von den neun Alternativen haben nur zwei nicht mit Umweltpolitik zu tun. Klickt man eine dieser beiden Nicht-Umwelt-Sorgen an („die Politik hört nicht auf junge Menschen“), landet man jedoch wiederum ausschließlich bei Umweltthemen. Nur das Klick-Feld „Deine Zukunft in Deutschland“ thematisiert Ausbildungs- und Arbeitsplatzsorgen. Schon an diesem Punkt ist klar: Die Initiative richtet sich an Gymnasiasten und Studenten der bürgerlichen Mittelschicht, die aufgrund ihres privilegierten Status keine Ängste um ihre Karriere und ihre Berufsaussichten haben (oder genauer gesagt: glauben, nicht haben zu müssen).

Im Stil totalitärer Regime

Doch auch abgesehen von der sozialpolitischen Ignoranz, die aus diesen Textbausteinen trieft, erstaunt das eindimensionale Weltbild. Was zum Beispiel ist mit der Rente? Ein Thema für die Jugend, könnte man meinen. Und da wären tatsächlich einige Fragen an die älteren Semester zu stellen. Doch das ist natürlich nicht ganz so hip. Durchaus aktuell und ebenfalls nicht ganz unberechtigt wären auch Fragen zum Umgang mit der Corona-Pandemie gewesen. Immerhin wurde in den vergangenen 18 Monaten einer ganzen Generation der Zugang zu Schule, Bildung und Freunden erschwert, zudem unwiederbringliche Erinnerungen an die vielleicht schönsten Lebensjahre – nur um vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen, die man auch anders hätte schützen können. Aber auch das scheint kein Thema zu sein.

Was die Aktion „Enkelkinderbriefe“ jedoch so abstoßend macht, ist weder ihre thematische Einseitigkeit noch die sozialpolitische Blasiertheit der Bessergestellten, die daraus spricht. Sondern die Instrumentalisierung von Kindern zu politischen Zwecken. Das ist, man muss es leider so deutlich sagen, der Stil totalitärer Regime. Deren Art ist es, Kinder gegen ihre Eltern aufzustacheln. Sie gegebenenfalls zu denunzieren und anzuzeigen, wenn sie nicht linientreu sind. Dieselbe Masche unter dem Fähnchen der Sorge um die Menschheit und im Namen der Demokratie anzuwenden, ist verlogen und unangenehm. Hinzu kommt der alarmistische Ton, der allen Ernstes suggeriert, die diesjährige Bundestagswahl sei die allerletzte Chance, die Klimakatastrophe aufzuhalten.

Unterstützt durch Semiprominenz

Wer textet so einen Unfug, der insbesondere für Kinder hochgradig verstörend ist? Und wer traut Kindern so wenig Eigenständigkeit zu, dass er ihnen vorgestanzte Ideologiephrasen in die Feder diktiert? Unterstützt wird das alles von der üblichen Semiprominenz, darunter Jan Delay, Joko Winterscheidt, Annette Frier und Karoline Schuch. Dahinter steht ein nicht näher benanntes „Elternkinderkollektiv“.

Ja, die Asymmetrie zwischen Jungen und Alten in einer überalternden Gesellschaft ist ein Problem. Ein ökonomisches und ein kulturelles. Zu einem politischen wird es jedoch erst dann, wenn Ältere versuchen, die zunehmend geringere Zahl an Kindern für ihre ideologischen Belange einzuspannen. Damit es anrührender klingt, authentischer und dringlicher. Umso wichtiger wäre es, den Kindern in den Schulen wirklich kritisches und eigenständiges Denken beizubringen, um solche Manipulationsversuche zu durchschauen. Aber das scheint ein frommer Wunsch zu sein.

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