Barbara Schnitzler - „Endlich einmal eine Hexe sein“

Barbara Schnitzler im Porträt. Die Schauspielerin, Integrationsfigur des Deutschen Theaters, hält gerne mal für andere die Reifen hoch, damit diese durchspringen und brillieren können. Wenn sie für ein Stück ihre Rolle kommentieren soll, singt sie schonmal im Mauerpark "Massenkompatibel".

(picture alliance) Barbara Schnitzler in "Der einsame Weg" am Deutschen Theater
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Wer in der DDR lebte und Schnitzler hieß, weckte selbst am Theater nicht unbedingt Assoziationen zum berühmten Verfasser der „Traumnovelle“. Im Arbeiter- und Bauernstaat verblasste Arthur gegenüber seinem Namensvetter Karl Eduard von Schnitzler, dem Starintellektuellen der Sowjetzone, berüchtigt für seine wöchentliche Propagandasendung „Der schwarze Kanal“. Die Schauspielerin Barbara Schnitzler, seine 1953 geborene Tochter aus der kurzen Ehe mit der Schauspielerin Inge Keller, musste schon in der Schule die Schattenseiten ihres prominenten Namens kennenlernen. Von den unzufriedenen Eltern angestachelt, hauten die anderen Kinder feste auf die Tochter des inoffiziellen Regierungssprechers ein, ganz so, als könnte sie etwas für Mangelwirtschaft, Reiseverbote und politische Repressionen.

Sie mochte ihn trotzdem, ihren Vater. Nach der Scheidung verbrachte sie oft die Wochenenden bei ihm. In seinem offenen Haus verkehrten interessante Leute, sie war das jüngste Kind, und es gab reichlich Naschereien aller Art. Bei ihrer charismatischen Mutter ging es strenger zu, da herrschte das Diktat der hohen Kunst. Dem unterwarf sich Inge Keller, von 1950 bis 2001 am Deutschen Theater in Berlin engagiert, bedingungslos.

Trotz der Höhen und Tiefen, die sie in der Karriere ihrer Mutter hautnah miterlebte, entschloss sich auch Barbara Schnitzler, Schauspielerin zu werden. „Vielleicht, damit sie mich wirklich wahrnimmt“, sagt sie heute. Als sie 1974 gleich nach der Schauspielschule ein Angebot just des Deutschen Theaters bekam, an dem der Typus ihrer Mutter zu jener Zeit nicht gefragt war, sagte sie zu. Die Bühne, sie scheint ein Teil der Bande dieser Familie zu sein. Auch Schnitzlers eigene zwei Töchter, für die sie sich anders als ihre Mutter immer viel Zeit genommen hat, sind Schauspielerinnen geworden. Ohne dass sie und ihr Ehemann, der Filmregisseur Michael Knof, jemals Druck auf sie ausgeübt hätten.

Die beruflichen Wechselbäder, die Demütigungen blieben auch Schnitzler nicht erspart. Regisseure ignorierten oder übergingen sie, auch sie versäumte Rollen, die sie gern erarbeitet hätte. Aber die stets elegant gekleidete Künstlerin mit der Tänzerinnengestalt hat gar nichts dagegen, den Reifen in die Höhe zu halten, auf dass andere durchspringen und den Applaus ernten – in einem guten Ensemble wechselt das ab, und jemand hält beim nächsten Mal eben den Reifen für sie hoch. Darauf war sie, inzwischen nichts weniger als eine Integrationsfigur im seit 1989 personell stark fluktuierenden Deutschen Theater, immer bedacht: Einerseits spielte sie in Schimmelpfennigs „Ambrosia“ die geduckte, wortlose Hintergründlerin, andererseits brillierte sie im famosen zweistündigen Monolog „Das Jahr magischen Denkens“ nach Joan Didion.

Barbara Schnitzler ist eine kluge Frau, der man es nicht glauben würde, sollte sie irgendwo klein beigeben. Das merkt man auch ihren genau gezeichneten Figuren auf der Bühne an, etwa ihrer resoluten, desillusionierten Malermeistergattin Akulina Iwanowna in Maxim Gorkis „Kleinbürger“. Sie stehen fest auf dem Boden und zeigen zugleich, wie dünn er ist – und wie viel Kraft es kostet, den Blick nach vorne zu wagen, ohne zwischen Erinnerung und Zukunftsaussichten aus dem Gleichgewicht zu geraten. Um Gorkis Stück aus dem Jahr 1901 in die Gegenwart zu übertragen, drehte die Regisseurin Jette Steckel kurze Videos mit den Darstellern, in denen sie ihre Rollen kommentierten. Und so trat Barbara Schnitzler vor Tausenden jungen Menschen auf dem sonntäglichen Freiluftkaraoketreff im Berliner Mauerpark auf und sang „Massenkompatibel“ von Rainald Grebe. Da hatte sie ziemlich weiche Knie. An Neuem Spaß zu finden, bedeutet nicht nur Lust, sondern auch Arbeit. Zu Beginn des kommenden Monats ist sie in Matthias Glasners Film „Die Stunde des Wolfes“ zu sehen, einem Psychothriller, in dem sie nicht schon wieder eine Dame der besseren Gesellschaft verkörpern muss, sondern „ein richtiges Kittelschürzenweib“ sein darf, „ungeschminkt, mit ungewaschenen Haaren, endlich einmal eine Hexe!“

Barbara Schnitzler nennt sich eine Spätentwicklerin, was sie freut, „denn die haben länger etwas zuzusetzen“. „Alles in allem bin ich recht gut mit mir unterwegs“, sagt sie. Doch dann fällt ihr gleich ein bitterer Satz aus Monika Marons Roman „Endmoränen“ ein, in dem die Heldin fürchtet, „der ideelle Vorrat für mein Leben sei aufgebraucht“. Dieser ihr nicht unvertraute Zustand ist zwar irgendwie traurig, sagt Barbara Schnitzler, aber auch schön. Nirgends sonst könne man so viel Freiheit spüren.

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