Disneys Eiskönigin - Sanfter Imperialismus

Kinderfilme prägen unseren Nachwuchs nachhaltig. Der zweite Teil des weltweiten Erfolgsfilms „Die Eiskönigin“ aus dem Hause Disney schwört Kinder auf die Werte einer politisch korrekten Ideologie ein. Ein reiner Tribut an den Zeitgeist?

Kinderfilme beeinflussen unseren Nachwuchs / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Allein 1,61 Millionen Zuschauer sahen ihn bis vergangenen Sonntag in Deutschland: Disneys Animationsfilm „Die Eiskönigin 2“, Schrecken aller Eltern und Alptraum jedes Pädagogen. 14 Millionen Euro spülte die Fortsetzung des Märchens um die Schwestern Elsa und Anna allein in den ersten fünf Spieltagen in die deutschen Kinokassen. Der darbenden Branche sei’s gegönnt.

Die „Eiskönigin“ ist eine Steilvorlage für jede blauäugige Kapitalismuskritik. Es gibt Anna-und-Elsa-Sammelkarten, Anna-und-Elsa-Treupunkte-Aktion im Supermarkt oder Anna-und-Elsa-Spielesets. Disneys orchestriert eine gut geölte Vermarktungsmaschinerie. 

Missionarische Ambitionen

Viel interessanter als billige Konsumkritik ist ein genauer Blick auf die Erzählung, die unseren Kindern hier präsentiert wird und vor allem: deren ideologische Botschaft. Denn der zweite Teil der „Eiskönigin“ erlaubt einen unverstellten Blick in das Weltbild, die Denkweise und missionarischen Ambitionen nicht nur in den Führungsetagen des Weltkonzerns Disney, sondern eines Medien- und Kulturbetriebes, der sich in einem Kulturkampf wähnt. Was sich dabei zeigt, ist nichts anderes als die hässliche Fratze der autokratischen Utopien eines gutmeinenden Kulturimperialismus zwecks Festigung der eigenen Marktposition.

Worum geht es in der „Eiskönigin“? Zusammen mit ihrer Schwester Anna, Freund Kristoff, Rentier Sven und Schneemann Olaf verschlägt es Eiskönigin Elsa an die Peripherie ihres Reiches Arendelle, wo hinter einer undurchdringlichen Nebelwand der Verwunschene Wald liegt. Dort wird sie mit der Vorgeschichte ihrer Familie konfrontiert. Ihr Großvater Runeard, Gründer und erster König von Arendelle, hatte dem im Wald lebenden Volk der Northuldra einst Frieden versprochen und zum Zeichen der Zusammenarbeit einen großen Staudamm errichten lassen. Doch es kam zum Streit. Runeard tötete den Anführer der Northuldra. Der dadurch ausgelöste Krieg dauert noch immer an. Der Staudamm entlarvt sich als ein Instrument der Ausbeutung und Unterdrückung. Elsa sieht ein, dass er zerstört werden muss. Mit ihren Zauberkräften bändigt sie die dadurch entstandene Flutwelle. Die Nebelwand um den Verwunschen Wald verschwindet. Der Fluch ist beendet. Elsa dankt ab und heiratet Kristoff. Anna wird die neue Königin. 

Die gute Autokratin

Disney bemüht sich ersichtlich, den Anforderungen politisch korrekter Diskurse gerecht zu werden: Multikulturalismus, die Schatten kolonialer Vergangenheit, Ausbeutung der Natur, Unterdrückung indigener Völker, die Sühne für die Verbrechen der Väter – hier wird nichts ausgelassen. Tatsächlich ist eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit alles andere als überflüssig.

Doch es ist bezeichnend, dass die Wurzel allen Übels, die autokratische Herrschaft der Königsfamilie, nicht hinterfragt wird. Lediglich die Vorzeichen werden ausgetauscht. Elsa kommt nun, anders als ihr Großvater, als die gute Autokratin: kultursensibel, emanzipiert und ökologisch. Doch diese Achtsamkeit dient vor allem Elsas und Annas Machterhalt. Insofern geht man sicher nicht zu weit, wenn man in Elsa eine Allegorie auf Disney selbst sieht. Um sich Macht, Einfluss und Pfründe zu sichern, surft man auf den Wellen des Zeitgeistes und der politisch korrekten Ideologie. Das eigentliche Ziel bleibt, neben der ökokomischen Macht, vor allem die kulturelle Deutungshoheit.

Freiheit und Autonomie

Es ist Elsa, die über den Ausnahmezustand entscheidet und damit nach Carl Schmitt der Souverän ist – nicht etwa das Volk. Diversität wird gefördert, Toleranz beschworen und dem Tribalismus gehuldigt. Was aber auf der Strecke bleibt, ist das Entscheidende: Freiheit und Autonomie. Der Kitsch der synthetischen Animationsbilder und die Süßlichkeit der Songs können kaum verbergen, dass hier im Grunde einem universalistischen Werteimperialismus gehuldigt wird, der wild entschlossen ist, die Welt nach seinem Gutdünken einzurichten. Dass Elsa dafür sogar Aufklärung, Technik und Zivilisation opfert, gibt im Zeitalter von Extinction Rebellion und Fridays for Future doppelt zu denken.

Die „Eiskönigin“ ist ein filmisches Plädoyer für eine Autokratie der Gutmeinenden. Diversity und Wokeness werden gespendet aus der Hand von Mächtigen. Deren Stellung ist nicht demokratisch legitimiert, sondern naturrechtlich. In der realen Welt von Disney bedeutet das: durch ihren kommerziellen Erfolg. So liefert die „Eiskönigin“ durch die Hintertür den intellektuellen Überbau für die gesellschaftspolitische Mission eines internationalen Medienkonzerns.

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