Die letzten 24 Stunden von Raul Krauthausen - Aus die Maus

In seinen letzten 24 Stunden will der Aktivist Raul Krauthausen all das machen, was er immer schon machen wollte, wie im Schloss Bellevue anrufen und fordern: Geben Sie mir den Bundespräsidenten! Auch für seinen Grabstein hat er den passenden Spruch parat.

Raul Krauthausen: "Man hat mir gesagt, dass das nicht gehe. Und ich habe es zu schnell geglaubt" / Maurice Weiss
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Autoreninfo

Nadine Emmerich ist freie Journalistin.

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Der am 15. Juli 1980 in Peru geborene Aktivist Raul Krauthausen lebt in Berlin und setzt sich dort für soziale Projekte ein. 2004 gründete er den Verein Sozialhelden. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

An meinem letzten Tag stehe ich früh auf. Ich will alles erledigen, was ich schon immer machen wollte – und was noch in 24 Stunden passt. Ich werde Menschen, die mir im Weg standen – mit Skepsis oder Paternalismus –, ein für alle Mal meine Meinung sagen. Kein Blatt vor den Mund nehmen und nicht darauf achten, ob wir danach noch Freunde sind. 24 Stunden sind natürlich zu wenig Zeit, um auch die zu erreichen, die an der Macht sitzen, konservative Parteien und deren Führungen. Denen hätte ich noch mal einiges zu sagen. Dass sie Menschen mit Behinderung kleinhalten. Dass sie über sie reden, statt sie selbst sprechen zu lassen.

Dann werde ich versuchen, alles Geld, das ich habe, auszugeben oder zu spenden. Ich möchte allen Leuten, die mir etwas bedeutet haben, etwas hinterlassen. Ich werde mich noch mal mit meinen Freunden treffen und ordentlich Party feiern. Dinge tun und Sätze sagen, die sonst nur Fantasie waren. Im Schloss Bellevue anrufen und fordern: Geben Sie mir den Bundespräsidenten – wie in einem Hollywoodfilm. Oder eine Bank überfallen und gucken, was passiert, wenn man nichts mehr zu verlieren hat.

Zu schnell geglaubt, dass etwas nicht gehe

Ich bin gestresst, weil 24 Stunden so kurz sind. Traurig und melancholisch, aber auch ruhig und gefasst. Ich habe so viel erlebt, dass man damit zwei Leben füllen könnte. Bliebe mir noch ein Monat, würde ich mich im Ausland noch mal anders ausprobieren – sehen, wie es gewesen wäre, wenn ich mich für Umweltschutz eingesetzt oder mit Kindern gearbeitet hätte. Es war ein Fehler, dass ich keine Auslandserfahrung gesammelt habe. Man hat mir gesagt, dass das nicht gehe. Und ich habe es zu schnell geglaubt.

Als Kind habe ich Todesangst erfahren. Ich hatte mehrere Unfälle. Dieses kitschige Bild, das Leben ziehe an einem vorbei, habe ich öfters erlebt. Ich kann mich an ein Mal erinnern, als das Gefühl, das zurückblieb, war: Ich hatte ein schönes Leben. Da war ich erst neun oder zehn Jahre alt. Diese Zeit gehört zu meinen prägendsten Erinnerungen: Operationen, Untersuchungen, nicht wissen, wie es weitergeht. Ich bin dankbar für meine Eltern, die mich sehr ehrlich begleitet und immer gesagt haben: Egal, was wird, wir machen das Beste daraus.

Platz machen für den Nächsten

Die letzten Stunden werde ich mich zurückziehen in den Kreis meiner Lieben. Wir sitzen nett zusammen, vielleicht kochen wir etwas, worauf ich in dem Moment Bock habe – und wenn es Pommes mit Mayo sind. Menschen, die ich verletzt habe, werde ich noch sagen, dass es mir leidtut, nicht beabsichtigt oder falsch war. Den finalen Moment werde ich da erleben, wo meine Freundin ist. Der Ort ist egal. Ich trage wie immer meine Mütze, die gehört zu mir wie Strümpfe.

Ich habe darüber nachgedacht, was auf meinem Grabstein stehen soll. Ziemlich gut finde ich: „Aus die Maus.“ Das nimmt dem Ganzen die Schwere und man denkt: Ja, so war er immer. Ich habe mal ein tolles Kinderbuch zum Thema Sterben gelesen. Es beleuchtet Trauer in unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Die Klammer des Ganzen ist: Warum wird gestorben? Und die Antwort lautet: Weil die Welt sonst zu voll wäre. Die Idee dahinter finde ich schön: Platz machen für den Nächsten.
Aufgezeichnet von Nadine Emmerich

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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