Debattenkultur - Der Verrat der Philosophen an der Freiheit

Meinungsführer sprechen lieber übereinander als miteinander. In dieser polarisierten Gesellschaft bekommen Philosophen plötzlich eine neue Verantwortung. Doch statt zu vermitteln, drängen sie den Diskussionsteilnehmern ihre Sicht auf die Welt auf.

Autoritäre Volkspädagogik im Namen der guten Sache: Richard David Precht / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das ärgerliche an der Freiheit ist, dass jeder sie anders nutzt. Der eine fährt gerne Auto, der andere gerne Rad. Der eine liebt Schnitzel, der nächste Tofu, der eine die gemütliche Kreuzfahrt, der nächste eine Fahrradtour über die Alpen. Freiheit macht die Welt bunt und unüberschaubar. Das kann schon mal irritieren und äußerst verwirrend sein.

Insbesondere Philosophen haben daher ein zwiespältiges Verhältnis zur Freiheit. Denn wozu Freiheit, wenn es die Wahrheit gibt? Schließlich sagt einem doch die Vernunft, was zu tun und was zu lassen ist. Freiheit braucht es dann nicht mehr, sondern lediglich die Einsicht in das einzig Wahre. Freiheit ist daher aus Sicht vieler Philosophen ein Wert für die Uneinsichtigen und Degenerierten, die wählen wollen, wo es eigentlich nichts zu wählen gibt.

Selbstbild als Avantgarde des Zeitgeists  

Es ist diese kleingeistige Verliebtheit in angeblich ewige Wahrheiten, die das Totalversagen der Philosophen angesichts des immer enger werdenden Diskussions- und Meinungskorridors erklärt. Egal ob Klima-, Gender-, Migrations-, Black Lives Matter- oder Covid-19-Debatte – nie sah man die angeblichen Liebhaber der Weisheit auf der Seite der Freiheit, der freien Rede, des freien Austauschs. Im Gegenteil. Mit der Arroganz des arrivierten Denkers pocht man auf die eine als allein gültig erkannte Wahrheit, die sich – wie der Zufall so will – als identisch mit der neulinken Politagenda erweist.

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Statt sich für das Recht auf Widerspruch und Gegenargumente stark zu machen und den Pluralismus der Sichtweisen zu verteidigen, wischt man mit intellektueller Selbstgefälligkeit alle Ansätze beiseite, die jenseits dessen liegen, was man in linken Akademikermilieus als unumstößliche Wahrheit ansieht. Dass man sich damit zugleich auf eine ungute Art gemein macht mit den Mächtigen in dieser Gesellschaft, den großen Kultureinrichtungen, Stiftungen und Medienhäusern, ist schon unangenehm genug. Noch schlimmer ist jedoch, dass man sich zudem als Avantgarde des herrschenden Zeitgeistes sieht und entsprechend mehr Verbote, mehr Steuerung, mehr Einschränkungen, mehr Framing und mehr Nudging fordert. Mehr intellektuelle Anmaßung war selten.

Autoritäre Volkspädagogik im Namen der guten Sache 

Herausragendstes Beispiel dieses gnadenlosen Zeitgeistpaternalismus ist Richard David Precht. Eine erneute Kostprobe seiner kollektivistischen Erziehungsfantasien gab der Lieblingsdenker der Deutschen am vergangenen Mittwoch bei Sandra Maischberger. Wie schon in anderen Interviews betonte er mit sichtbarer Genugtuung, wie sehr Menschen doch Verbote lieben und wie wichtig es sei, dass der Staat mit Verboten voranschreite. Die Annahmen, auf denen Precht seine Forderungen gründet, sind für ihn über alle Zweifel erhaben. Dass Politiker allen Ernstes Arbeitsplätze über Nachhaltigkeit stellen, entlockt ihm allenfalls ein verächtliches Lächeln. Und wie jeder Fundamentalist sieht Precht seinen Fundamentalismus nicht als Fundamentalismus an, sondern natürlich als Realpolitik.

Dass Precht mit seiner autoritären Volkspädagogik im Namen der guten Sache nicht allein steht, zeigt der zum Starphilosophen erkorene Markus Gabriel. Mit einer Nonchalance, die Prechts missionarischen Eifer durch selbstgefällige Schnöseligkeit zu überbieten sucht, betont der Bonner Vorzeigedenker bei jeder Gelegenheit die Objektivität jener moralischen Werte, von denen er persönlich überzeugt ist, und er bügelt alle als uneinsichtig ab, die diese Überzeugung nicht teilen. Die freudige Erregtheit, mit der Gabriel die Zwangsmaßnahmen des Covid-Lockdowns als Blaupause versteht, mit der man nun auch andere politische Ziele im Namen eines angeblichen moralischen Universalismus durchsetzen kann, überrascht daher nicht im Mindesten.

Inquisitoren einer angeblich universalen Vernunft

Seit der Aufklärung gehörte das Denken von Individualität, Freiheit und Autonomie zu den zentralen Insignien der Moderne. Aus und vorbei. Der zeitgenössische Denker gefällt sich als Inquisitor einer angeblich universalen Vernunft, in deren Namen er alles dekreditiert und niederkartätscht, was seinem einseitigen Weltbild nicht entspricht.

Entsprechend steht der Philosoph unserer Gegenwart auch nicht auf Seiten der Querdenker, der Fundamentalkritiker oder jener, denen ihre Freiheit über alles geht, sondern auf Seiten der Macht. Die herrschende Ideologie hinterfragt er schon lange nicht mehr. Stattdessen wirbt man für Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung dessen, was man für Ausdruck universaler Wahrheit hält. Dass hier die Forschungsgelder und Stellen der Gleichgesinnten winken, schadet dabei sicher nicht. – Was für eine Bankrotterklärung.

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