Das Bedürfnis nach regelmäßigem Konsum von Brot und eine entsprechende Vorratshaltung gehören zu den unverrückbaren Konstanten der deutschen Lebensgewohnheiten. Mangel an Brot wird zumindest unbewusst mit Lebensmittelknappheit und drohendem Hunger assoziiert.
Seinen Höhepunkt erreichte der Verzehr von Brotgetreide in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren mit 97 Kilogramm Jahresverzehr pro Kopf. Der steigende Wohlstand und die damit verbundene Ausweitung des Lebensmittelangebots sowie gewisse Modewellen (Müsli zum Frühstück etc.) führten Anfang der 1970er Jahre zu einem Rückgang auf 62 Kilogramm.
Dem Deutschen sein Brot
Danach stieg der Konsum wieder deutlich und hat sich in den vergangenen fünf Jahren bei rund 75 Kilogramm eingependelt. Die Angebotspalette hat sich enorm diversifiziert. Früher gab in in erster Linie nur Weißbrot, Mischbrot (aus Roggen und Weizen) und deutlich seltener Schwarzbrot, sowie entsprechende Brötchen. Gängige Triebmittel waren (und sind es noch heute) Backhefe und Sauerteig. Backpulver und Natron sind schon seit langer Zeit als Ersatzstoffe bekannt.
Heutzutage ist das Angebot unüberschaubar, registriert sind in Deutschland rund 3200 Brot- und Brötchensorten. Dabei spielen die Reiselust der Deutschen und auch die Zuwanderung von zunächst Italienern und später Türken eine wichtige Rolle, Baguette und verschiedene Fladenbrote sind aus dem deutschen Essalltag nicht mehr wegzudenken. Dazu kommt die Renaissance fast vergessener Brotgrundstoffe wie Dinkel, Buchweizen oder auch Kichererbsen. Doch die klassischen Weiß- und Mischbrote sind nach wie unangefochten die Nummer Eins.
Hamsterkäufe von Mehl und Hefe
In mehr oder weniger bedrohlichen Krisenzeiten reagierten die Deutschen stets nahezu reflexhaft mit enormen Vorratskäufen von Mehl und Hefe. Das war unter anderem bei der „Kuba-Krise“ 1962 und beim „Öl-Schock“ 1973 zu beobachten. In den ersten Wochen der Corona-Pandemie im März war das nicht anders. Der Verkauf von Mehl und Brotbackmischungen lag über 200 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. In vielen Supermärkten kam es zeitweilig zu Engpässen, allerdings nur kurzfristig.
Teilweise über mehrere Tage so gut wie nicht erhältlich war allerdings frische und getrocknete Backhefe, und bis zum heutigen Tag scheint es zumindest örtliche Lieferengpässe zu geben. Aber Mehl wird wohl in mehr als ausreichenden Mengen „gebunkert“ sein, und das sollte dann auch verarbeitet werden, bevor die Mäuse kommen. Doch was tun ohne Hefe?
Es geht auch ohne
Krisen sind auch immer die Zeit der Besinnung auf alte Hausrezepte. Und eine der einfachsten und verlässlichsten Methoden, dem Hefe-Engpass zu trotzen ist die gute, alte Bierhefe. Dazu vermischt man 100ml lauwarmes Hefeweizenbier, 10 Gramm Weizenmehl und zehn Gramm Zucker in einem gut verschließbaren Schraubglas, schüttelt dieses kräftig durch, damit sich keine Klumpen bilden, und stellt es 12-15 Stunden zimmerwarm und dunkel weg.
Wenn möglich zwischendurch, aber vor allem am Ende erneut sehr kräftig durchschütteln, damit eine homogene, leicht breiige Flüssigkeit entsteht. Das war‘s schon fast, denn mit dieser fertigen Pseudo-Backhefe, die in ihrer Triebkraft einem Würfel Frischhefe entspricht, kann man jetzt normal Brot, Brötchen und sogar einfaches Gebäck herstellen. Zwei Besonderheiten sind allerdings zu beachten.
Selbstgemachte Hefe braucht Zeit
Die in den normalen Rezepten angegebenen Flüssigkeitsmengen für Wasser oder Milch sind um die Menge der Flüssigkeit in dem Hefeansatz, also beispielsweise 100ml Weizenbier, zu reduzieren. Außerdem braucht der damit angerührte Teig wesentlich länger, um „aufzugehen“.
Mindestens fünf Stunden sollte man ihm schon Zeit lassen, natürlich dunkel, abgedeckt und zimmerwarm. Und wenn wir schon dabei sind, können wir ja gleich mal zwei sehr unterschiedliche Varianten probieren: Was klassisch-süßes und was exotisch-würziges. Für ein Rosinenbrot Milch mit Butter im Topf erwärmen, bis die Butter geschmolzen ist. Mit der Self-made-Hefe, Zucker und Ei verrühren. Dann Mehl mit Zimt vermischen und hinzugeben. Gut verkneten und die Rosinen einarbeiten.
Exotische Variationen
Den Teig fünf Stunden gehen lassen, erneut gut durchkneten, in eine gefettete Kastenform geben, nochmals 30 Minuten gehen lassen, mit Milch bestreichen und auf der untersten Schiene 45 Minuten in den auf 180 Grad vorgeheizten Backofen schieben. Es wird nicht ganz so locker wie mit „normaler“ Hefe, aber fast – versprochen!
Damit wäre das Krisen-Frühstück gerettet, mit Butter bestrichen ist das ein Genuss. Für den Abend dann was kräftig-würziges. Unseren Hefeansatz mit Wasser (lauwarm), Ölivenöl, Kichererbsenmehl, Meersalz, geraspelten Knoblauch, fein gehackten getrockneten Tomaten und in dünne Ringe geschnittenen grünen Oliven zu einem Teig verrühren.
Wem das noch noch nicht exotisch genug ist, der kann gerne noch Kardamon, angeröstete Senf- oder Sesamkörner und ein wenig getrockneten Koriander dazugeben. Das kontrastiert wunderbar mit dem leicht süßlichen Eigengeschmack des Kichererbsenmehls. Anschließend wie gehabt: Teig gehen lassen, in eine Kastenform füllen und für 45 Minuten in die vorgeheizte Röhre schieben, langsam erkalten lassen. Wer so ein Brot mal zu einem frischen Tomatensalat oder einer würzigen Suppe gegessen hat, wird es nicht mehr missen wollen. Noch eine letzte Bemerkung für mögliche Skeptiker: Von dem verwendeten Hefeweizenbier schmeckt man in den Broten absolut nichts. Und so kochen und backen wir uns weiter tapfer durch die Corona-Krise.
Zutaten für ein Rosinenbrot
Hefeansatz:
100 ml Hefeweizenbier
10 g Weizenmehl
10 g Zucker
Teig:
75 g Butter
150 ml Vollmilch
70 g Zucker
1 Ei
500 g Weizenmehl (am besten Type 405)
Mehl 1 Prise Zimt
5 g Salz
150 g Rosinen
Zutaten für ein Kichererbsenbrot:
Hefeansatz wie oben
200 ml Wasser
40 ml Ölivenöl
300 g Kichererbsenmehl
30 g getrocknete Tomaten
30 g grüne Oliven
1-2 Knoblauzehen
5 g Meersalz
optional Sesamkörner, Senfkörner, Koriander
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