Fit durch die Corona-Krise - „Ich vertraue meinem Immunsystem“

Der Berliner Hausarzt und Internist Erich Freisleben steht in seiner Praxis Tag für Tag an vorderster Corona-Front. Im Interview rät er zu mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Virus. Gute Ernährung, frische Luft und Sport stärkten das Immunsystem weit besser als Panik und Isolation.

Der Hausarzt hilft, wenn das Immunsystem schlappmacht / dpa
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Erich Freisleben arbeitet seit vielen Jahrzehnten als Hausarzt und Internist in Berlin. In seinem jüngsten Buch "Medizin ohne Moral" geht er hart mit dem Menschenbild der modernen Medizin ins Gericht. Der Mensch sei mehr als sein Körper, lautet eine von Freislebens zentralen Thesen, die auch Richtschnur im Umgang mit Corona sein kann.

Herr Dr. Freisleben, Sie stehen als Hausarzt und Internist tagtäglich in Kontakt mit Ihren Patienten. Sollten wir bei Fragen zu Corona nicht nur auf Experten in den Medien hören, sondern erst einmal den Hausarzt konsultieren? 

Der Hausarzt verfügt traditionell über das größte Spektrum an Erfahrungen. Auch, was den gesellschaftlichen Erfahrungsschatz betrifft, den der Hausarzt an unterschiedlichen Lebensumständen, Altersklassen oder Berufen seiner Patienten erwirbt. Das ist ein völlig anderer Blickwinkel als der des analytisch untersuchenden Wissenschaftlers. Aus dieser Perspektive heraus relativiert sich vieles. Denn der Hausarzt ist die erste Bezugsperson und der einzige Arzt, der in diesem Maße den wissenschaftlichen Fundus mit einem Erfahrungsfundus vereint. Denn er kennt seine Patienten und den gesundheitlichen Verlauf meist über Jahrzehnte hinweg und kann individuell die Situation des Einzelnen am besten einschätzen und entscheiden, was dem Patienten hilft und was eher nicht. Das kann keine andere Instanz besser als die des Hausarztes leisten. 

Hat sich im Verlauf der Pandemie das Stimmungsbild verändert? 

Das kann man sagen. Im Unterschied zur ersten Welle im Frühjahr, als die Angst vor der Ansteckung die allergrößte Sorge war, erlebe ich mittlerweile viele Patienten in meiner täglichen Sprechstunde, die geradezu zermürbt sind und seelische Symptome zeigen. Sie zeigen weniger Zuversicht auf das Leben und die Zukunft. Die Menschen befinden sich in einer Art Dauerspannung, die an ihren Kräften zehrt. Wenn ich das Gefühl habe, die Pandemie macht mich ohnmächtig, ist das für den Körper eine Katastrophe. 

Dr. med. Erich Freisleben / privat

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Wie wirken sich diese Symptome auf den Körper aus?

Wir wissen, dass der Ohnmacht meistens die Resignation folgt. In der täglichen Praxis erlebe ich immer wieder, dass Resignation die Tür öffnet für Krankheiten. Ein großes Problem ist auch die Einsamkeit und die daraus ergebenen Folgeschäden. Das medizinische Fachgebiet der Psychoimmunologie lehrt uns, wie groß der Einfluss der Psyche auf das Immunsystem ist. Wie schnell eine seelische Regung auf das Immunsystem unseres Körpers auswirkt, kennt jeder von uns, wenn er sich vor etwas ekelt und als Konsequenz in kürzester Zeit einen Herpes bekommt. So verhält es sich auch mit vielen anderen immunologischen Phänomenen. Die Abwehrkraft hängt ganz wesentlich davon ab, wie stabil meine Psyche ist.

Wie gehen Sie bei der Behandlung dieser Symptomatik vor?

Das wichtigste ist die mentale Arbeit mit dem Patienten. Ich ermutige meine Patienten, weiterhin ihre sozialen Kontakte zu pflegen, natürlich im Einklang mit den geltenden Regelungen, wie Abstand, Mundschutz und Hygiene. Auch versuche ich, ihnen das Vertrauen auf die eigenen Abwehrkräfte ihres Immunsystems zurückzugeben und ihnen eine Perspektive aufzuzeigen, mit mehr Zuversicht ihr Leben selbst zu gestalten. Denn die persönlichen Aktivitäten können das Bewusstsein stärken, das Leben positiv beeinflussen zu können, etwa durch eine gesunde Ernährung, viel frische Luft, Bewegung und Sport. 

Gibt es konkrete Strategien, die Sie gegen Corona empfehlen können? 

Bei der kurzen Dauer der Pandemie gibt es keine belastbaren Studien, sondern nur vorläufige Erfahrungsbewertungen. Bei Vitamin D gibt es inzwischen offensichtlich gute Beobachtungen, dass es zumindest eine unterstützende Funktion aufweist. Da bleiben wir aber zur Zeit auf Vermutungen angewiesen haben noch keine gesicherten Erkenntnisse. Man sollte sich vor Augen halten, dass Corona eine Infektionskrankheit ist, die wir eigentlich schon lange kennen. Corona kam Jahr für Jahr als viraler Infekt vor, nur nicht in dieser besonderen Variation. Was konkrete Medikationen betrifft, die die Abwehrkräfte gegen Virusinfekte stärken oder ihren Verlauf mildern, sollte ein jeder auf die bewährten Präparate für Infekte, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hat, zurückgreifen. 

Könnte das zu einer Leichtsinnigkeit führen, Corona nicht ernst genug zu nehmen? 

Diese Gefahr besteht immer, vor allem bei der Impfung, weil Menschen dann sagen können: „Ich bin ja geimpft und brauche mich jetzt gar nicht mehr an Vorsichtsmaßnahmen zu halten.“ Ich finde es ganz wichtig, die Kirche im Dorf zu lassen bei der Beschreibung dieses Virus und dennoch den Menschen klar zu machen, dass es sich um eine hochansteckende Erkrankung handelt, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ich zeige den Menschen auch beruhigende Seiten auf. Ich sage Ihnen, dass sie stolz sein können auf ihr Immunsystem, das tagtäglich mit unzähligen Erregern zurechtkommt. Wir haben inzwischen auch bessere Kenntnisse über die problematischen Verläufe und deren Therapien bei einer Corona-Infektion. Wir wissen, dass es für über 90 Prozent der Menschen relativ harmlos verläuft oder allenfalls in der Dimension eines schwereren grippalen Infektes. Priorität sollte der Schutz der verletzlichen Personengruppe haben. Die Pflege, ob stationär, häuslich oder privat, sollte maximal unterstützt werden. Die Testlogistik sollte besonders sie schützen. Ein Rest ist Schicksal, das wir genauso wenig beeinflussen können, wie wir Unfälle völlig vermeiden können. Diesen besonnen Mittelweg hätte ich mir auch seitens der Politik und den Medien gewünscht. 

Inwiefern? 

Ich finde den Umgang in den Medien auch im Zusammenhang mit der Politik für unverantwortlich. Die Bevölkerung wird wie ein unmündiges Kind ständig in Angst und Schrecken versetzt. Ich finde, die Menschen sind vernünftig genug und zeigen sich auch einsichtig, was die Maßnahmen zur Vorbeugung betreffen. Man hat es versäumt, auf einer ganz anderen Ebene mit den Bürgern zu kommunizieren. Man hätte sagen können, dass wir zwar ein großes Problem haben, aber das wir gemeinsam die Pandemie überstehen werden. Hätte die Politik auch ihre Fehler eingeräumt, wäre eine andere gesellschaftliche Stimmung entstanden. Denn das Hauptproblem liegt in einen viel zu weit heruntergesparten System der Daseinsvorsorge. Das Nadelöhr sind der Pflegenotstand, das dezimierte öffentliche Gesundheitswesen, die überfüllten Klassenzimmer und überforderten Lehrer und viele mehr. Diese Faktoren entscheiden wesentlich über die Striktheit und die Dauer von Lockdowns. Die Polarisierung und Randgruppenbildung hat viel mit offizieller Unredlichkeit zu tun.

Dann hätte man mehr auf die Querdenker zugehen sollen? 

Wir haben den Zeitpunkt verpasst, einen Großteil dieser Bedenkenträger mit in die Diskussion zu nehmen. Denn die Pandemie hat, wie viele persönliche Schicksale, verschiedene Seiten. Sie zwingt uns zu Veränderungen, stellt uns vor Alternativen und macht verdeckte Missstände deutlich. Das Vertrauen in die übergroße Weisheit des Körpers, sich selbst gesund zu machen, ist nicht weniger wichtig als es die technologisch-pharmakologische Hilfen sind. Die Besinnung auf zwischenmenschliche Werte wie Empathie und Hilfsbereitschaft täte unserer kühler werdenden Konsumgesellschaft nicht schlecht. Mehr Ehrlichkeit hätte einen fruchtbaren Prozess anstoßen können, der auch die ökologischen Auswirkungen unserer Lebensweise und die Möglichkeiten und Gefahren der Biotechnologie offen diskutiert hätte. Auch der Hype um die digitale Transformation hätte abgewogen werden müssen gegen den Verlust an Menschlichkeit durch die Virtualisierung des Miteinanders. Dann hätte man nicht die ganzen Bedenken dieser Menschen pauschal in eine Ecke gedrängt, wo sie dann verschwörerischen Theorien besonders stark ausgesetzt sind, die sie selbst nicht mehr überblicken können.

Sie äußerten eine gewisse Skepsis an die Erwartung an die Impfung, die im Begriff ist, bald zugelassen zu werden. Wieso?

Bei der m-RNA Impfung handelt sich um eine völlig neue Art von einem Prinzip, dass in die menschlichen Körperzellen selbst eingreift. Sie veranlasst sie letztendlich zur Produktion von künstlich erzeugten Antigenen, die dann mit dem Immunsystem beantwortet werden. Ob eine manipulierte m-RNA nicht unerwartete Spätwirkungen hat oder unter ungünstigen Bedingungen sogar in die Keimbahn des Menschen gelangen kann, ist nicht sicher auszuschließen. Wenn man sich vorstellt, dass unter dem Druck der Pandemie ein neues Impfverfahren eingeführt wird, das gleichzeitig ein neues Kapitel aufschlägt an Manipulationen im biogenetischen Bereich, können wir gar nicht ausdenken, was in Zukunft am evolutionären Bestand des menschlichen Genpools sonst noch manipulativ verändert werden wird – ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt. Aber wenn dies einmal geschieht, ist das nicht mehr rückgängig zu machen. Das ist eine so gravierende ethische Frage, die ich zwar auch nicht beantworten kann, die aber dringend ausreichend diskutiert werden muss. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene. Ich will mich damit auch nicht als Impfkritiker positionieren, aber als jemand, der sich im Lichte der Bedenken eine breite Diskussion zu diesem so wichtigen Thema wünscht. 

Haben Sie persönlich Angst vor Corona?

In meiner Zeit als Assistenzarzt zur Weiterbildung zum Internisten habe ich auf einer Spezialabteilung für Infektionskrankheiten in einem Krankenhaus gearbeitet. Wir haben damals die ersten Aids-Fälle behandelt, Verdachtsfälle von Pocken untersucht und den Umgang für Fälle von Lassa-Fieber und das Ebola-Virus geübt. Dort haben wir im Umgang mit diesen Gefahren gelernt, uns zu schützen, aber keine Angst haben zu müssen. Ich bin inzwischen 71 Jahre alt und habe auch in der ersten Pandemie-Welle in meiner Praxis voll gearbeitet. Ich schütze mich, aber ich vertraue nach vierzig Jahren täglicher Auseinandersetzung mit einer unübersehbaren Anzahl von Erregern auf mein Immunsystem. Ich rechne sogar damit, dass es mich irgendwann treffen wird. Auch, dass ich vielleicht mehrere Wochen damit zu tun haben werde, aber ich bin relativ zuversichtlich, die Erkrankung recht gut überstehen zu werden. 

Die Fragen stellte Björn Eenboom

 

 

 

 

 

Erich Freisleben: Medizin ohne Moral. Freya Verlag 2020. Diagnose und Therapie einer Krise. 432 Seiten. 19,90 Euro.

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