Cannabisgesetz - Liberalismus in Tüten

In der Debatte um die Cannabislegalisierung offenbaren viele Konservative exakt jenen Paternalismus, den sie den Grünen gerne vorwerfen. Und der Liberale weiß plötzlich wieder, wo die Grenze zwischen liberal und konservativ verläuft.

Cannabis-Blüten / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Cannabis ist kein Genussmittel, sondern eine hochgefährliche Droge“, schrieb jüngst der Rechtsanwalt Gernot Fritz auf Cicero Online. Fritz begründet dies mit den zweifellos vorhandenen Gefahren für Jugendliche, wenn die es mit dem eigenen Cannabiskonsum übertreiben; was etwa zu der alles andere als vergnügungssteuerpflichtigen Diagnose der cannabisinduzierten Schizophrenie führen kann. 

Alarmismus ist das trotzdem. Denn schon die Vorsilbe hoch- vor gefährlich suggeriert einen Risikofaktor, der viel größer ist als es der Realität der Cannabiskonsumenten wirklich entspricht. Zwar kommt eine jüngere Langzeitstudie der Universität Kopenhagen zu dem Ergebnis, dass sich bei jungen Männern in Dänemark bis zu 30 Prozent aller Schizophreniefälle auf einen problematischen Cannabiskonsum zurückführen lassen. Und es ist auch richtig, dass weitere Studien davor schon gezeigt haben, dass Cannabiskonsumstörungen mit schweren psychischen Erkrankungen einhergehen können, beispielsweise eben mit einer Schizophrenie. 

In der Folge aber so zu tun – oder zumindest zu suggerieren – , dass Cannabis deshalb per se gefährlich sei, ohne das individuelle Konsumverhalten des Kiffers in gleichem Maße wie die potenzielle Gefährlichkeit von Cannabis zu berücksichtigen, geht jedoch an der Realität vorbei. Die liest sich so: Nach dem Epidemiologischen Suchtsurvey von 2021 konsumieren laut Bundesgesundheitsministerium rund 4,5 Millionen Deutsche mindestens einmal jährlich Cannabis. Und dennoch sieht es in den Fußgängerzonen in München, Heidelberg und Buxtehude trotzdem nicht aus wie in der Zombie-Serie „The Walking Dead“. 

Bekämpfung des Schwarzmarktes

Gut, das war jetzt ein bisschen polemisch, aber mit wahrem Kern. Denn abseits der derzeitigen Legalisierungsdebatten – und auch das wird von Gegnern der geplanten Cannabislegalisierung nicht ausreichend thematisiert – wird in Deutschland längst gekifft, und zwar nicht gerade wenig. Dabei verhält es sich mit Geschichten über Cannabiskonsum nicht sonderlich anders als mit Geschichten über die dysfunktionale Deutsche Bahn: Fast jeder Deutsche hat eine zu erzählen oder kennt mindestens eine Person, die eine zu erzählen hat – eher mehr. 

Selbstredend ist das Argument, etwas zu legalisieren, weil man es nicht konsequent verbieten kann, ein eher schwaches Argument für die geplante Cannabislegalisierung. Aber immer noch stärker als, sagen wir, in gleichem Maße mit häuslicher Gewalt umzugehen, weil Cannabiskonsum Dritte nicht schädigt, anders als Alkohol, der die Gewaltschwelle nachweislich sinken lässt. In all meinen 37 Lenzen ist mir jedenfalls noch niemand begegnet, der nach dem Konsum von Cannabis plötzlich Lust verspürt hätte, anderen Menschen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. 

10 Euro pro Gramm

Mit dem von der Ampelregierung geplanten Cannabisgesetz (das eine Legalisierung im Wortsinn gar nicht vorsieht, sondern letztlich eine Ausnahmeregelung formulieren wird) dürfte gleichwohl die Bekämpfung des Schwarzmarktes, ein erklärtes Ziel der Ampelregierung, entweder gar nicht oder nur teilweise gelingen. Zwar macht es einerseits keinen Sinn, als Dealer voraussichtlich 10 Euro pro Gramm auszugeben und es dann noch halbwegs gewinnbringend weiterzuverkaufen, weil sich der Konsument sein Cannabis ja künftig selbst für 10 Euro pro Gramm in diesen Cannabisclubs wird besorgen können. 
 

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Andererseits führt die geplante Regelung, wonach man drei Cannabispflanzen wird zuhause hochziehen dürfen, auch dazu, dass sich der Dealer seine Ware ganz legal züchten kann – inklusive Genossenschaftsprinzip, weil das Heranziehen weiterer Mengen freilich auch auf Dritte ausgelagert werden kann, die dann für einen kleinen Obolus als stille Teilhaber im Cannabisgeschäft ihres Kumpels fungieren können. Und dann ist so ein Cannabispflänzchen auch noch eine kleine Diva, weshalb es vielen Eigenanbauern nicht gelingen wird, jene Qualität selbst herzustellen, die sie für ihren Konsum gerne hätten. Wie groß der Einfluss der geplanten Cannabisclubs hier tatsächlich sein wird, lässt sich aber nicht seriös prognostizieren. Man darf gespannt sein. 

Entlastung von Polizei und Staatsanwaltschaft

Auch die Behauptung, man würde mit einer solchen Maßnahme etwas für den Jugendschutz tun, ist übrigens mehr als gewagt. So liegt es doch auf der Hand, dass einfacherer Zugang und eine Art Legalisierung light Jugendliche eher nicht davon abhalten werden, Cannabis zu konsumieren, weil sie am Ende leichter an die Droge kommen werden als bisher. Da verhält es sich erneut wie mit den Geschichten über die Deutsche Bahn: Jeder kennt einen, der einen kennt, der einen kennt …

Dass sich die allermeisten Ampelversprechen hinsichtlich Sicherheit und Jugendschutz also nicht werden einlösen lassen, beantwortet allerdings nicht final die Frage, ob diese Legalisierung light nicht dennoch sinnvoll ist. Denn kriminelle Strukturen werden dadurch zwar voraussichtlich nicht zerschlagen, das Geschäft wird aber definitiv weniger lukrativ. Und wenn der Cannabiskonsum zumindest teilweise aus der Illegalität geholt wird, wird auch die Aufklärung über die Risiken des Kiffens erleichtert. Außerdem würden, und das ist sehr wohl ein sehr gutes Argument für dieses Vorhaben, Polizei und Staatsanwaltschaft dadurch massiv entlastet. Rund die Hälfte aller 400.000 jährlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gehen derzeit auf Cannabis zurück. 

Von Cannabis bis Fentanyl

Gewichtiger scheint mir allerdings die Frage, ob sich eine solche Legalisierung light unterm Strich nicht eben doch besser verträgt mit dem Anspruch liberaler Gesellschaften, den eigenen Bürgern ihre (Konsum-)Freiheiten zu lassen. Denn als Liberaler ist man bekanntlich der Überzeugung, dass sich der Staat weitestgehend rauszuhalten hat aus dem Leben der Leute und lediglich Dienstleister des Souveräns ist, der in einer Demokratie eben nicht der Staat ist, sondern der Staatsbürger. Das heißt freilich nicht, dass es keine Regeln und Gesetze geben sollte, weil das nicht Freiheit wäre, sondern Anarchie. Es heißt aber sehr wohl, dass sehr gut überlegt sein muss, was man den eigenen Bürgern gerade noch gestattet und was schon nicht mehr.

Anders formuliert: Auf welcher philosophischen Grundlage sollte ein Staat darüber zu entscheiden haben, ob ein Bürger ein Produkt, das wiederum ein Produkt einer Pflanze ist, die hier und dort auch in der Natur vorkommt, konsumieren darf – oder nicht? Und wenn man einerseits betont, dass Cannabiskonsum etwas anderes ist als Alkoholkonsum (wie es etwa Markus Söder tut), müsste man andererseits nicht ebenso betonen, dass Cannabis trotzdem eine andere Art von „Droge“ ist als, sagen wir, Fentanyl, das in den USA derzeit wirklich tagtäglich Menschen in Zombies verwandelt?

Ampelpolitik bekifft ertragen

Interessant ist, dass viele Konservative im Kampf gegen die geplante Cannabislegalisierung nun für sich den guten, alten Paternalismus wieder entdecken, der mittlerweile ja vor allem den Grünen zugeschrieben wird; inklusive Schauermärchen über eine bekifft in die Zukunft taumelnde Gesellschaft, die den Niedergang des Abendlandes wegen Tetrahydrocannabinol-bedingter Hirnschleier dann noch weniger wird aufhalten können. 

Zugegeben, die Pointe von der Ampelpolitik, die sich bekifft besser ertragen lässt als nüchtern, hat durchaus ihren Reiz. Aber spannend zu sehen ist es dennoch, dass die mittlerweile viel verwendete, aber letztlich unklare Formulierung vom Liberal-Konservativen in einer Debatte wie dieser dann doch durch eine klare Grenze zwischen liberal und konservativ definiert ist.

Während der Liberale nämlich generell keine Freund des Paternalismus ist, neigt der Konservative offensichtlich dazu, selbigen nur dann schlecht zu finden, wenn er mit linksgrünen Ideen verbunden ist; mit Veggie-Days in den Kantinen etwa oder Trigger-Warnungen. Das ist von konservativer Seite nicht nur inkonsequent, sondern auch entlarvend. Denn wer seine Maßstäbe variiert, wie es gerade in die eigene politische Agenda passt, der hat leider keine. 

Jeder nach seiner Fasson

Selbstverständlich sollte das Risiko des Kiffens nicht kleingeredet werden, insbesondere mit Blick auf Jugendliche. Aber zu einer liberalen Gesellschaft gehört mehr noch als der Schutz der Bürger die Freiheit der Bürger, sich selbst unter Umständen zu schaden. Und zumindest bei Cannabis lässt sich festhalten, dass der Schaden vor allem dann entsteht, wenn der Konsument den eigenen Konsum nicht unter Kontrolle hat. 

Cannabis ist darüber hinaus aber auch mehr als nur dumpfes Wegdröhnen, Cannabis ist auch ein Sich-Zurückziehen für eine Stunde oder zwei, mit anderen gemeinsam Philosophieren über die Welt auf einem Niveau jenseits der Nüchternheit oder dann und wann auch nur ein passables Mittel, um besser einschlafen zu können. Überdies kommt es sogar als Arznei zum Einsatz, weil es gegen Depressionen hilft oder bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Ein Wunderpflänzchen ist dieses Cannabis schon.

Konservative Kognitionswächter

Genannter Alarmismus jedenfalls, dieses Tohuwabohu konservativer Kognitionswächter, offenbart kurzum eine arg von Vorurteilen behaftete Konsumkritik, die mir oft geprägt zu sein scheint von reiner Unkenntnis, wie das eigentlich ist, wenn man sich hin und wieder ein bisschen Liberalismus in Tüten gönnt. 

Und um abschließend noch jenem Totschlagargument den Wind aus den Segeln zu nehmen, wonach ein Autor meiner Wenigkeit einen solchen Text nur schreiben würde, wenn er endlich in Ruhe kiffen möchte: Die Kifferei ist bei mir schon sehr, sehr lange her. Damals, im Jugendzimmer des lieben D., mit „Smackdown“ auf der Playstation 2, endlos Nuss-Schogetten und kaltem Karamalz. 

Nein, wenn ich heute, Jahre später, auf meiner Terrasse sitze, um wie derzeit dem heraufziehenden Frühling zu huldigen, reicht mir ein kühles „Tegernseer“ und dann und wann ein kleiner Ouzo „Pilavas“ für die Seele, um glücklich zu sein. Aber falls einer vorbeikommt wie der liebe M., der lieber einen kiffen will, statt einen Ouzo, reiche ich ihm gerne das Feuerzeug mit dem Versprechen, dass der Liberale der Überzeugung ist und bleibt, dass bitte jeder nach seiner Fasson stoned und selig werden soll.

 

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