Werden die falschen gecancelt? - Lob der alten weißen Männer

Die Künstlerin Jiny Lan kennt die angeblich schlimmsten alten weißen Männer Deutschlands persönlich. Und kann nicht verstehen, warum sie nicht gemocht werden. Denn schließlich haben eben solche Männer die liberale Gesellschaft mit aufgebaut, aus der sie nun ausgeschlossen werden sollen.

Dieter Nuhr: privat ein netter Kerl / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jiny Lan ist eine deutsche bildende Künstlerin chinesischer Herkunft.

So erreichen Sie Jiny Lan:

Anzeige

Ich bin den alten weißen Männern dankbar, weil sie die jungen weißen Männer so erzogen haben, dass ich sie lieben kann. Vor zwei Tagen kam ich von einer Reise nach Berlin zurück ins Ruhrgebiet. Diesmal habe ich einen freien Journalisten als Mitreisenden dabei gehabt. Außer dem Hauptgeschäft – Bilder an eine Galerie zu liefern – hatte ich noch eine Nebenbeschäftigung: einige Freunde zu besuchen. Der Journalist, mein Mitfahrer, hatte nur eine Beschäftigung: Bekannte und Freunde zu besuchen (in der Coronazeit klingt das Wort „Besuch“ schon fast kriminell, aber wir hielten uns an alle Auflagen). Als wir über unseren eigenen Bekanntenkreis gesprochen haben, kamen wir zu der Schlussfolgerung, dass ich nur die schlimmsten Menschen in Berlin kenne.

Zu dieser „Böse-Menschen-Liste“ gehören auch ein paar Namen, die fast jeder in Deutschland kennt. Zum Beispiel Christian Lindner, der von der Zeitschrift Emma zum „Sexist Man Of The Year“ gekrönt wurde, mit dem ich mich dennoch freiwillig immer wieder treffe. Dieter Nuhr, der von verschiedenen Medien offiziell als Rassist bezeichnet worden ist, mit dem ich mich „zwangsweise“ sehr häufig treffen muss, weil unsere Ateliers in Düsseldorf nur durch eine Schiebetür getrennt sind, die wir wegen der Brandschutzbestimmungen nicht abschließen dürfen. Till Brönner, bei dem ich gar nicht verstanden habe, aus welchen Grund er zu den schlimmsten gehört, vielleicht weil er schon einmal ein Weihnachtkonzert gemacht hat? Stefan Aust, den ich jetzt gerade frisch kennengelernt habe. Ich bin absolut ahnungslos, warum er nicht gemocht wird. 

Meine Sensoren sind empfindlich

Es ist nicht das erste Mal, dass ich solche Bemerkungen gehört habe, diese Menschen seien schlimm, teilweise ist es als Witz gemeint, wie bei den Freunden meines Berlinreise-Mitfahrers, dem freien Journalisten. Aber wenn ich den Rat von Kunst-Fachleuten bekomme, dass ich Abstand zu denen halten soll, weil sonst die Authentizität meines feministischen Images beschädigt werden könnte, dann ist das nicht mehr nur ein Scherz, sondern eine sehr ernsthafte Sache. 

Diese Menschen seien böse, weil sie die Werte alter weißer Männer bewahren wollen. Warum haben diese schlimmen Menschen aber meinen Alarm für Rassismus und Sexismus nicht ausgelöst? Meine Sensoren für solche Dinge sind eigentlich relativ empfindlich. Vielleicht mag ich unterbewusst sogar diese Alte-Weiße-Männer-Werte? Wie alt sind diese Alte-Weiße-Männer-Werte? 2.000 Jahre? 100 Jahre? 50 Jahre? Wenn diese Werte 50 Jahre alt sind, mag ich sie wirklich, schließlich habe ich doch deswegen meine Heimat verlassen und bin ganz alleine nach Deutschland gekommen. 

Endlich geht es in eine vernünftige Richtung

Nach jahrhundertelangen brutalen Kämpfen haben einige alte weiße Männer in den letzten 50 Jahren endlich einmal gelernt, die Welt einigermaßen in eine vernünftige Richtung zu führen. Was wäre, wenn wir diese Alte-Weiße-Männer-Werte komplett abschafften? Würde dann die Welt von Frauen geführt? Das könnte gut sein, mindestens versuchsweise; aber ich glaube, bevor das passiert, wird die Welt sehr wahrscheinlich erst von den alten gelben Männern dominiert. Und das ist meiner persönlichen Erfahrung nach keinen Versuch wert! In meinem Wörterbuch gibt es keine Rasse, aber es gibt doch verschiedene Kulturen, und die verschiedenen Kulturen machen die Menschen unterschiedlich, mindestens über einen gewissen Zeitraum und in einem gewissen Maß.  

Ich stimme zu, dass ich zurzeit in dieser von alten weißen Männern dominierten Gesellschaft lieber lebe als in einer anderen. Ich habe einen jungen weißen Mann, dessen Vater (ein echter alter weißer Mann) vor 40 Jahren einer der ersten Männer war, die an einem Babybetreuungskurs teilgenommen haben und der ein gutes Vorbild für seine Söhne war. Ich profitiere unmittelbar von den Ergebnissen einer Alte-Weiße-Männer-Erziehung. Ich habe drei Kinder und mache meine künstlerische Karriere mit voller familiärer Unterstützung. Das kann ich in meiner Heimat, die von alten gelben Männern geführt wird, nicht erwarten. 

Gentlemen im klassischen Sinn

Interessanterweise kommen die oben genannten „schlimmsten“ Menschen, die ich kenne – wie Dieter Nuhr und Christian Lindner – aus einem ähnlichen Umfeld wie mein Ehemann. Vermutlich haben sie auch einen ähnlichen alten weißen Mann als Vater. Sie haben ein angenehmes Erscheinungsbild und ein nicht zu unterschätzendes inneres Vermögen, sie sind intelligent und gebildet, sie verhalten sich wie Gentlemen im klassischen Sinn.

Sie sind von Natur her Männer, nicht schwul, nicht lesbisch, nicht „cis“-Gender, sie sind einfach nur Männer mit weißer Haut. Wenn sie nach dem Sommerurlaub eine noch dunklere Haut als meine Landsleute bekommen, ändert das nichts daran, dass sie meine Freunde sind, solange sie eine Frau wie mich, die Migrationshintergrund hat und die vom Charakter her ziemlich exzentrisch und egozentrisch ist, akzeptieren, respektieren, sogar bewundern können. 

Darauf lässt sich aufbauen

Wegen Corona muss ich gerade von jedem Abstand halten, aber als Feministin müsste ich vom Sexist-Mann des Jahres keinen Abstand halten: Wenn das das Allerschlimmste für dieses Jahr ist, dann geht es den Frauen in diesem Land richtig gut. Das ist ein Grund, mich zu freuen. (Aber Moment mal, vielleicht zählen die Männer mit Migrationshintergrund, wenn es um Feminismus geht, doch nicht mehr mit? Wenn ja, ist das nicht ein wenig rassistisch?) Als Antirassistin muss ich vom offiziell als Rassisten bezeichneten Dieter Nuhr auch keinen Abstand halten. Ich habe ihn einmal bei einer Reise nach China begleitet, er ist einer der wenigen weißen oder nicht weißen Männer, bei dem ich keine geringste Spur von Rassismus bemerkt habe. 

Als Künstlerkollege hat er mir erlaubt, auf seine Bilder weitere Bilder zu malen, als meine eigenen Kunstwerke. Auch das hat hier eine symbolische Bedeutung: Warum können wir nicht die guten Dinge von den alten weißen Männern (so alt ist Dieter Nuhr allerdings noch nicht) als Basis übernehmen und darauf etwas Neues bauen? Warum glauben wir, wir müssten alles Existierende als negativ oder böse bewerten, um dann etwas Neues (und vielleicht Gutes) beginnen zu können? 

Lesen Sie hier das Porträt der Künstlerin Jiny Lan bei den Kollegen des Monopol Magazins.

Anzeige