Bücher, die die Welt nicht braucht - Genussführer: Wenig appetitanregend

Jahr für Jahr überschwemmen unzählige Genussführer den Buchmarkt. Unser Genusskolumnist hält die in der Regel für vollkommen überflüssig und erläutert dies an einem aktuellen Beispiel.

Qual der Wahl bei der Hotelsuche/dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Ganz so schlimm scheint es mit der viel beschworenen Papierknappheit in Deutschland  noch nicht zu sein. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, dass der deutsche Buchmarkt nach wie vor mit Wein-, Restaurant- und Hotelführern aller Art nahezu überschwemmt wird. Das Reizvolle an diesen Büchern ist – jedenfalls für die Verlage – , dass sie faktisch Periodika sind, die regelmäßig aktualisiert werden „müssen“, da neue Betriebe dazukommen, andere raus fallen oder neu bewertet werden. Längst tummeln sich neben alteingesessenen Platzhirschen wie dem Michelin-Guide , der Gault-Millau-Gruppe, den Varta-Führern und den Publikationen der Falstaff-, Vinum-, und Slowfood-Verlage auch Newcomer und rein regionale Anbieter. Oftmals ist die Kooperation mit werbetreibenden Unternehmen und Institutionen offensichtlich, bei anderen eher versteckt. Dass diese Kooperationen Einfluss auf die Inhalte der Genussführer haben könnten, wird zwar vehement bestritten, ist in der Szene aber ein offenes Geheimnis.

Sterne, Kochmützen, Bettgestelle

Bei aller Unterschiedlichkeit im Stil haben fast alle Publikationen einige Gemeinsamkeiten. Neben ein paar allgemeinen Texten zu bestimmten Regionen wird vor allem bewertet: Mit Sternen, Kochlöffeln oder -mützen, stilisierten Betten, Gläsern, Tellern oder schlicht Punkten. Relativ neu ist, dass in einigen Regionalführern auch Gourmetadressen von Hofläden, Märkten und Feinkostgeschäften aufgelistet und teilweise bewertet werden.

Ich habe es längst aufgegeben, über die Flut von „Genussführern“ auch nur einigermaßen den Überblick zu behalten und lese sie auch kaum noch. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, finde ich sie ausgesprochen langweilig und redundant, und bisweilen auch richtig ärgerlich. Doch manchmal laufen einem Berufskollegen über den Weg, die nicht ohne Stolz von ihrer Mitarbeit an einem neuen Führer berichten. Da bestellt man sich schon mal ein Rezensionsexemplar.

Langweilige Vorworte und Porträts

So wie jetzt die erste Folge des „Genussguide Deutschland“, die der Verlag Henris Edition als Lizenznehmer der Gault-Millau-Gruppe produziert, deren imageförderndes Logo auch auf dem Buchdeckel prangt .Nicht ganz abwegig geht es in dieser ersten Folge um Baden-Württemberg, also jenes Bundesland, das in Sachen Genuss einen gewissen Ruf genießt. Sachsen-Anhalt als Pilotthema wäre da sicherlich weniger geeignet gewesen.

Auf reißerische Untertitel á la „Willkommen im Schemmerparadies“ hat man dankenswerterweise auf dem Cover verzichtet. Eher nüchtern heißt es „Die besten Adressen“. Besprochen und bewertet werden186 Weingüter, 198 Restaurants, 120 Hotels und 121 weitere „Genussadressen“. Nach einigen langweiligen, aber glücklicherweise kurzen Vorworten der Herausgeber und Förderer dieses Projekts geht es zur Sache. Den Aufschlag macht Vincent Klink, der sozusagen als Ikone der schwäbischen Genusskultur eine Art launigen Parforceritt durch die Vorgeschichte des Bundeslandes Baden-Württemberg präsentiert. Es folgen recht willkürlich erscheinende Porträts von einigen besonders „spannenden“ und „innovativen“ Akteuren der Genuss-Szene, unter anderem ein regionaler EDEKA-Manager. Ein Schelm, der Böses…..

PR-Geschwätz und Stilblüten

Dann beginnt der Ritt durch die fünf „Genussregionen“ des Bundeslandes, vom Großraum Stuttgart bis zur Schwäbischen Alb. Jeweils eingeleitet von durchaus mit Spaß und Gewinn lesbaren Einführungstexten aus der Feder von Anke Kronemeyer, einem in Düsseldorf ansässigen Urgestein der Regional- und Genusspublizistik. Es folgen ein paar recht willkürlich wirkende „besondere Empfehlungen“, und dann beginnt jeweils der eigentliche Bewertungsteil. Spätestens jetzt hört der Spaß schnell auf. Denn man stolpert – wie leider zu befürchten war – permanent über jene unsägliche Mischung aus PR-Satzbausteinen, Stilblüten, Weingeschwafel, sinnfreien Lobhudeleien und hohlen Phrasen, die derartige „Genussführer“  letztendlich ungenießbar machen.   

Da wird einem Winzer attestiert, dass seine Weine „allesamt nahbar und animierend trinkig“ sind. Weingüter legen „die Latte sehr hoch“, andere pflegen „die kultivierte Provokation“ oder haben gar „den Riesling neu erfunden“. Nicht fehlen dürfen natürlich unterirdische Kalauer, wie beim Weingut Hirsch, das nach dem Generationswechsel „beträchtlich an Geweih zugelegt“ habe.

Preise spielen keine Rolle

Es folgen Restaurants, die „einfallsreiches Geschmackskino im Crossover-Stil“ zu bieten haben. Oder einen Sommelier, der sich tatsächlich „engagiert um die Gäste kümmert“. Ein weiterer Gastronom setzt demnach auf „Pureness“, bei einem anderen sei das Menü zwar auf „regionalen Produkten gegründet“, aber „nicht beschränkt“, „nicht verkopft“, sondern „äußerst wohlschmeckend“.

Bei Hotels sind besonders der unverwüstliche  „Spagat zwischen Tradition und Moderne“ und die „Liebe zum Detail“ beliebt, bei einem Anbieter überzeugen die „weinaffinen Namen“ der Zimmer und Suiten.  Fast schon subversiv der Hinweis: „Keine Klimaanlage, dafür beste Schwarzwälder Luft“. Wie auch bei den Restaurants erfährt man nicht, in welcher Preiskategorie die Etablissements denn angesiedelt sind. Zielgruppe sind offenbar Menschen, bei denen Geld keine Rolle spielt.

Immerhin: 16 leere Seiten für Notizen

Bei den Einkaufstipps wird es kaum besser. Da ist der Hofmarkt mit dem „klaren Bekenntnis zur Region“, oder eine Metzgerei als „Avantgardist mit einer eigenen Wurstphilosophie“. Skurril auch, dass zwischen all den Bio- Hof- und Feinkostläden auch der Werksverkauf des großen Lebensmittelkonzerns Seitenbacher empfohlen wird, der Anfang des Jahres durch den Nachweis hoher Pestizidbelastungen in einigen Produkten für Furore sorgte. 

Schneller als man blättern kann, verliert man die Lust, das alles weiter zu lesen. Bleibt die Frage: Wer braucht solche Führer, wer kauft sie und wozu? Einen Überblick über Weingüter, Restaurants, Hotels und Märkte kann man sich vor entsprechenden Besuchen in Städten und Regionen mühe- und kostenlos im Internet verschaffen. Und das oftmals mit wesentlich weniger Schwurbelei. Immerhin: Am Ende des Buches sind 16 leere Seiten für eigene Notizen. Aber dafür hätte auch ein einfacher Schreibblock gereicht.

Gault&Millau Genussguide Deutschland
Baden-Württemberg
Edition Michael Fische/EMF Verlag Juli 2022
Hardcover, 432 S.
ISBN: 978-3-7459-1080-3
25 Euro

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