Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch Teil VI - „Götterdämmerung“: Brünnhilde am Bauzaun oder Apocalypse Mau

Der Musikjournalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. Mit der „Götterdämmerung“ ging die „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz zu Ende - unter Buh-Rufen des Publikums. In der Tat ist in diesem „Ring“ wenig zusammengewachsen: zu viel schiefe Symbolik, zu viel Selbstzweckhaftes, zu wenig Humor. Und Dirigent Cornelius Meister sorgte zudem für matschige Klangfarben.

Illustration: Dominik Herrmann
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Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Nachdem Brünnhilde den Sinn der Welt am Bauzaun erkennt und hinuntersteigt in den abgesifften Pool, wo sie eine Art Salome-Tänzchen mit dem abgehackten Kopf ihres geliebten „Dieners“ Grane hinlegt, sich neben den toten Siegfried bettet, während ihr gemeinsames Kind, das als Bettnässer und Seelenkrüppel aufgewachsen ist, schon gestorben ist, legt Cornelius Meister noch eine Generalpause ein, die so lange dauert, dass man auf die Idee kommen könnte, er wäre kurz für „kleine Dirigenten“. Und nachdem dann Wagners Welterlösungsmotiv erklungen ist, darf sich endlich der geballte Opernfrust Bahn brechen, der sich in den letzten 16 Stunden angestaut hat. Die Wagnerianer im Bayreuther Festspielhaus haben sich von diesem „Ring des Nibelungen“ offensichtlich persönlich beleidigt gefühlt. Und so entlädt sich eine stimmgewaltige Meute, die nur darauf gewartet hat, Valentin Schwarz und sein Team mit „Buhs“ zu steinigen – eine Stimmung wie im alten Rom, nur ohne Löwen. 

Tatsächlich ist in der „Götterdämmerung“ nur wenig zusammengewachsen in diesem „Ring“: Valentin Schwarz’ Klugscheißer-Sidestories und die unterschiedlichen Inzest-Ebenen, die Schwarz gegen Wagners eigene Symbolik eingetauscht hat, haben sich immer wieder verknotet, haben sich zu oft als Selbstzweck offenbart und blieben, gerade wenn sie klug gedacht waren, viel zu oft viel zu zahnlos. Schwarz hat es im ganzen „Ring“ verpasst, klar zu arbeiten: Das Systemsprengerkind Hagen hat im „Rheingold“ mit Farbe gekleckert statt den ganzen Kinderhort auseinanderzunehmen; dass Siegfried und Brünnhilde am Ende von „Siegfried“ zu Bonnie und Clyde mutieren, ist eine gute Idee, die aber mehr Exzess verlangt; dass Siegfried alias Gunther Brünnhilde verprügelt, wenn er sie vom Felsen entführt, macht ebenfalls Sinn, hätte aber theatral klarer (vielleicht Blutungen?) sein können, und Brünnhildes Tanz mit dem abgehackten Kopf am Ende blieb handwerklich ebenfalls merkwürdig indifferent. 

No Witz nirgends. Keine Selbstironie

Valentin Schwarz’ Konzept mag auf dem Papier so klar wie Kloßbrühe ausgesehen haben: Alberich und Wotan als Zwillinge, Hagen als verfluchter „Ring“, die Kinder als Gewalt-Opfer ihrer Eltern. No future nirgends. Und leider auch: No Witz nirgends. Keine Selbstironie. Kein Weglachen der Fehler wie bei Castorf. Der Weg vom Papier auf die Bühne wollte zu oft nicht funktionieren.  

 

Axel Brüggemanns „Bericht aus Bayreuth“:

 

Vielleicht ermöglicht die „Werkstatt Bayreuth“ Schwarz eine packendere Umsetzung seiner Ideen in den kommenden Jahren. Ironie an jenen Stellen, an denen seine Knoten sich nicht lösen lassen, klarere, deutlichere Personenregie, Mut zur Absurdität und weniger Ego-Show. Dass Schwarz sich selber als Grane und seinen Kostümbildner Andy Besuch als durchgeknallten Gunther in Szene setzt, ist nicht wirklich lustig, ist Hybris und nervige Selbstreflexion.  

Bayreuth ist in schwierigen Zeiten ein Risiko eingegangen

Vielleicht wäre dieser „Ring“ auch mit einem griffigeren Dirigat besser gelaufen. Cornelius Meister bekam keinen Griff auf die Bühne, seine Tempi unklar, die Klangfarben meist matschig. Während es „Tristan“-Einspringer Markus Poschner noch gelungen ist, einzelne Gedanken und Ideen hörbar zu machen, versinken bei Meister zu viele Gedanken im Unklaren, merkwürdige schwarze Löcher öffnen sich im Orchester, es wackelt, und auch in der „Götterdämmerung“ half Meister dem für Stephen Gould kurzfristig eingesprungen Clay Hilley nicht wirklich durch die heikle Partie. Iréne Theorins Brünnhilde vibriert vor sich hin und klingt im Piano wie ein Mercedes-Diesel, Michael Kupfer-Radeckys Gunther spielt mit Lust eine Art neureichen Robert Geiss und hat auch stimmlich nicht das Potenzial zum Spiel, ebenso wie seine Schwester Gutrune, die Elisabeth Teige herrlich durch die Szene stöckeln lässt. Albert Dohmen zeigt sich als Bayreuther Altmeister, wenn er den Hagen einfach so wegsingt.  

Man muss den Bayreuther Festspielen lassen, dass sie in schwierigen Zeiten ein Risiko eingegangen sind. Regisseur Valentin Schwarz ist dabei auf eine Art gescheitert, die das Theater eben auch braucht: Sein zweimal abgesagter „Ring“ hatte so langen Vorlauf, es gab zu viele Interviews, zu große Erwartungen. Die Festspiele haben stattgefunden, die zahlreichen Umbesetzungen zeigen, wie anstrengend Theater in diesen Tagen für alle Beteiligten ist. Und die Wut des Publikums beweist zum Glück auch, dass Oper noch immer ein gesellschaftliches Emotionspotenzial hat. Es gibt ein bisschen was zu tun in der Werkstatt Bayreuth – gut so.

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