Boykottaufruf gegen Frankfurter Buchmesse - Dann bleibt halt zu Hause

Die Autorin Jasmina Kuhnke hat öffentlichkeitswirksam ihre Lesung auf der Frankfurter Buchmesse abgesagt. Der Grund: Dort gastiert dieses Jahr auch der Jungeuropa-Verlag, der politisch rechts außen zu verorten ist. Nun mehren sich die Boykottaufrufe aus Teilen der linken Autorenszene und ihres Gefolges. So wird Kuhnkes Ermessensentscheidung zum Vehikel für die nächste Portion Gratismut.

Die Frankfurter Buchmesse findet dieses Jahr vom 20. bis 24. Oktober statt / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Die Welt der Lyrik zieht ein paar furchtbare Arschlöcher an“, heißt es in Charles Bukowskis weingetränktem Tagebuch. Die Moral von der Geschichte: Man kann sich halt nicht aussuchen, wer auch zum Stift greift, seine Gedanken auf Papier bringt und dann in Druck geht. Und für fast jedes noch so dumme, peinliche oder unschöne Geschreibsel findet sich früher oder später schon irgendwer, der es an den Mann und die Frau bringen will. Gott sei’s geklagt, und geklagt hat jetzt auch die Autorin Jasmina Kuhnke über die Teilnahme eines rechten Verlages auf der Frankfurter Buchmesse.

Kuhnkes Vater stammt aus dem Senegal. Sie ist Teil jener lauten Garde von Internetakvist*innen, die Antirassismus zum Geschäftsmodell erhoben und abertausende Follower hinter sich versammelt haben. Auf ihre über 100.000 Unterstützer kann die „Quattromilf“, so ihr digitales Alias, verlässlich bauen, wenn es mal wieder darum geht, irgendeinem Rechten oder irgendwem, der irgendwas Rechtes geschrieben haben soll, ordentlich einzuheizen. Das Eingeheize hat sogar einen Namen: „Quattromob“. Will heißen: Kuhnke mag vieles sein, aber sicherlich kein Kind von Traurigkeit.

Verweis auf die Meinungsfreiheit

Auf der anderen Seite – aber eben auf dem gleichen Frankfurter Gelände anwesend, auf dem Kuhnke aus ihrem Erstlingswerk „Schwarzes Herz“ hätte lesen sollen – feiert dieses Jahr Jungeuropa seine Buchmesse-Premiere. Der Verlag wähnt sich nach eigenem Bekunden in der Tradition Alain de Benoists, einem Vordenker der Neuen Rechten, der das Buch „Kulturrevolution von rechts“ geschrieben hat. Verlagschef ist Philip Stein, der laut Medienberichten Teil des Netzwerks „Ein Prozent“ ist, das wiederum vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird. Stein scheint also auch kein Kind von Traurigkeit zu sein. Nur ganz anders gepolt als Kuhnke, versteht sich.

Weil das so ist, hat die Quattromilf jüngst öffentlichkeitswirksam ihre Lesung abgesagt. Unter anderem mit der Begründung, dass sie befürchte, Jungeuropa locke scharenweise Rechtsextreme auf die Buchmesse, weshalb sie Angst um ihre Sicherheit habe. Die Frankfurter Buchmesse argumentiert dagegen und verweist auf die Meinungsfreiheit, darauf, „dass Verlage, die sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegen, auf der Buchmesse ausstellen können“. Ein Verbot von Verlagen und Verlagserzeugnissen obliege „in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteur*innen wie der Frankfurter Buchmesse“. Letzteres ist zwar hanebüchen, weil selbstverständlich der Gastgeber bestimmt, wer mit ihm tafeln darf. Dafür fällt Ersteres, die Meinungsfreiheit, umso stärker ins Gewicht.

Moralisch mindestens fragwürdig

Kuhnkes Absage ist bedauerlich. Auch für die Frankfurter Buchmesse, weil der Zeitgeist eben das liebste Kind der Branche ist. Und davon hat Kuhnke wahrlich genug. Gleichwohl ist Kuhnkes Absage eine Ermessensentscheidung. Denn selbstverständlich wäre sie nicht die einzige Autorin in Frankfurt, die irgendwie Migrationshintergrund hat. Bedauerlich ist aber noch etwas anderes: dass Kuhnke in ihrem Statement nicht nur ihre Teilnahme absagte, sondern all jene, die teilnehmen, moralisch abqualifizierte. In ihrem Statement heißt es: „Ebenso möchte ich die Verleger*innen und nichtbetroffenen Autor*innen an ihre Mitverantwortung erinnern: Ihr duldet, dass Nazis gemeinsam mit euch ausstellen!“

Mitgehangen, mitgefangen, soll das heißen. Denn wer teilnimmt an der Frankfurter Buchmesse, der demonstriert einen Schulterschluss mit dem braunen Sumpf, ist vielleicht gar selbst ein Brauner. Das ist in etwa so, als würde jemand meinen, dass alle Mannschaften der Fußballbundesliga samt Fans die Liga verlassen müssten, um garantiert nicht verdächtig zu sein, gemeinsame Sache mit rechtsextremen Fanclubs zu machen. Sogar das Größenverhältnis stimmt: Die Frankfurter Buchmesse findet ja nicht in einer Schulturnhalle in Hofheim am Taunus statt, sondern auf dem Gelände der Messe Frankfurt mit 1500 Ausstellern. Dass Kuhnke gleichwohl Verständnis äußerte, dass „Viele sowohl die finanziellen als auch beruflichen Konsequenzen nicht tragen wollen und können“, fällt nach derlei Vorwürfen nicht mehr ins Gewicht. Was dank Kuhnke hängen bleibt, ist: Die bei der Buchmesse dulden Nazis!

Bekanntheit im Promillebereich

Wer die Debatten der vergangenen Jahre verfolgt hat, der weiß, dass derlei Hypermoralisierung auf fruchtbaren Boden fällt. Folgerichtig ließen sich die üblichen Verdächtigen nicht lange bitten. Seit Kuhnkes Absage mehren sich die Boykottaufrufe gegen die Frankfurter Buchmesse. Die Autorinnen Annabelle Mandeng und Nikeata Thompson haben ihre Auftritte bereits abgesagt. Die Autorin Sybille Berg findet: „Geht da einfach nicht mehr hin. Alle.“ Und freilich macht im Netz auch der zum Boykottaufruf passende Hashtag die Runde: #BuchmesseBoykott. Der Quattromob ist losmarschiert.

Kuhnkes Absage wird also von der Ermessensentscheidung einer einzelnen Person zum Vehikel für die nächste Portion Gratismut, der sich nicht zuletzt aus der irrsinnigen Annahme speist, die Anwesenheit eines rechten Verlages in Frankfurt sei bereits eine Gefahr für die Demokratie. Oder die Frankfurter Buchmesse sei wegen eines einzelnen Gastes nun eine Art No-Go-Area für schwarze Autorinnen und Autoren. Gleichzeitig wird der Jungeuropa-Verlag, dessen Bekanntheitsgrad sich irgendwo im Promillebereich bewegt, zum Gottseibeiuns aufgeblasen, obwohl seine Anwesenheit nicht hätte mehr sein müssen als ein unpopuläres Pünktchen auf einem Hallenplan. Vergessen wird dabei übrigens, dass erst die große Empörung über den Jungeuropa-Verlag dazu führen könnte, dass sich das braune Milieu bemüßigt fühlt, mal vorbeizuschauen, statt, sagen wir, zum Fußball zu gehen: die Geister, die ich rief.

Riecht irgendwie nach Schwefel

Der Vorgang lässt sich selbstredend nahtlos in eine Reihe ähnlicher Vorkommnisse einsortieren. Allesmögliche, was mit Literatur zu tun hat, sollte schon boykottiert werden, weil es in mancher Nase irgendwie nach Schwefel roch: von Woody Allens Autobiografie und Buchhandlungen, die auch die „falschen“ Bücher verkauften, bis eben hin zu literarischen Veranstaltungen, von der kleinen Lesung bis nun zur großen Frankfurter Buchmesse. Und immer wieder springen sie auf, die Berufsempörten, und kämpfen ihren kleinen Kampf der Gerechten vom Sofa aus, statt sich der eigenen Courage zu stellen.

Jenen, die nun lautstark den Boykott der Frankfurter Buchmesse fordern, lässt sich daher nur sagen: Dann bleibt halt zu Hause – und twittert weiter ganz empört, bis der Akku stirbt. Jedem seine Heldenreise.

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