Berliner Hochschule - Die Humbug-Universität

Die Berliner Humboldt-Universität kommt nicht zur Ruhe. Die Präsidentin musste jetzt bei externen Wissenschaftlern um Entschuldigung bitten. Einige Studenten hatten ihr Recht auf Mitbestimmung offenbar ausgenutzt, um den Ruf der Uni zu beschädigen.

Protest-Aktion an der Humboldt-Universität / picture alliance
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Von Jochen Zenthöfer erscheint in diesen Tagen das Buch Plagiate in der Wissenschaft - Wie „VroniPlag Wiki“ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt, transcript Verlag, Bielefeld, 188 Seiten, ISBN: 978-3-8376-6258-0, 19.50 Euro. Zenthöfer berichtet seit acht Jahren als Sachbuchrezensent in der FAZ. über Plagiate in Doktorarbeiten – nicht nur bei Politikern.

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Was dürfen Professoren? Was dürfen Studenten? Diese alten Fragen sind in der altehrwürdigen Berliner Humboldt-Universität gerade hochaktuell. Darf zum Beispiel der Studentenvertreter João Fidalgo über den Professor Jörg Baberowski auf Twitter so schreiben?

Was war passiert? Die FAZ hatte über interne Gutachten berichtet, die an die taz durchgestochen worden waren. „Unklar ist, wo das Leck in dem Verfahren ist“, schrieb die Journalistin Hannah Bethke, doch wenige Zeilen später fällt Fidalgos Name. Der studentische Vorsitzende für die „Kommission Lehre und Studium“ im Akademischen Senat habe schon im Januar Teile der Gutachten auf Twitter gepostet. Hintergrund ist das „Zentrum für vergleichende Diktaturforschung“, das der Historiker Jörg Baberowski an der HU gründen will. Dafür hatten vier externe Gutachter eine vertrauliche Expertise abgegeben, die dann geleakt wurde. Es ist nicht klar, wer dafür verantwortlich ist, aber es hat vermutlich damit zu tun, dass für einen sehr kleinen Teil sehr linker Studenten Baberowski ein braunes Tuch ist. Er hatte das Offenhalten der Grenzen durch Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 kritisiert und fordert ein restriktiveres Asylrecht. Soweit, so diskutierbar. Ob einzelne weitergehende Äußerungen Baberowskis die Grenze zum Rassismus überschreiten, erfordert eine genaue Exegese seiner Texte. Der Tagesspiegel tat das 2017 und kam zu dem Schluss, dass es sicher übertrieben sei, Baberowski als rechtsradikal zu bezeichnen. „Gleichwohl haben die migrationsskeptischen und pressekritischen Sätze, die er in seiner Rolle als wütender Bürger formuliert, eine rechtspopulistische Schlagseite.“

Eine lautstarke Minderheit 

Für eine Debatte über Baberowskis Thesen sollte eine Hochschule der treffende Ort sein, aber genau das wollen einige Anhänger der studentischen Gruppe IYSSE wohl verhindern. Bei den Studentenwahlen im Januar erreichte IYSSE bei knapp 40.000 Wahlberechtigten lediglich 156 Stimmen. Bei der Sitzverteilung waren sie damit immerhin erfolgreicher als die konkurrierenden Gruppen „Dönerliste“ und „autonome alkoholiker_innen“. In diesem Umfeld agieren die Studenten, die aus der Humboldt-Universität derzeit eine Humbug-Universität machen. Da wäre ein „Zentrum für vergleichende Diktaturforschung“ vielleicht eine sinnvolle Bereicherung. Denn im Studentenparlament verurteilte die politisch linksstehende Mehrheit jüngst den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wegen dessen antipluralistischer Ansichten und des befürchteten Eingriffs in die Wissenschaftsautonomie; von einer Verurteilung der sozialistischen Regime in Venezuela und Nicaragua wollte man aber nichts wissen.

Sehr viele Studenten versammeln sich allerdings nicht hinter solchen „Erklärungen“: Bei den jüngsten Wahlen sank die Wahlbeteiligung erneut, und knapp 92 Prozent aller Studenten drückten ihren Vertretern das Misstrauen durch Fernbleiben von der Wahlurne aus. Der Rest der Stimmen verteilt sich auf einen Block von Listen, die Transparenz fordern (unter anderem „Power of Science“ und RCDS) und Listen, die die bisherige Intransparenz unterstützen, etwa bei der Geheimhaltung von Namen der gewählten Referenten

Umso erstaunlicher ist es, dass nun jene Studentenvertreter, die sich bei ihren eigenen Angelegenheiten für Geheimhaltung entscheiden, bei der Beurteilung akademischer Aktivitäten vehement Transparenz einfordern. Eine Anfrage des Cicero beim „ReferentInnenrat“ (RefRat; gesetzlich AStA) blieb unbeantwortet. Der Pressesprecher der Universität, Hans-Christoph Keller, erklärt derweil ganz diplomatisch, dass das Verhältnis zwischen Präsidium und RefRat an der HU angespannt sei: „Die Universitätsleitung ist sehr daran interessiert, dass Meinungsverschiedenheiten konstruktiv beigelegt und gemeinsame Ziele verfolgt werden. Nach den letzten Gesprächen mit den Studierendenvertreterinnen und Studentenvertretern hoffen wir wieder auf eine bessere Zusammenarbeit.“ 

AfD unterstützt SPD-Universitätspräsidentin

Allerdings muss Universitätspräsidentin Sabine Kunst immer wieder Feuer löschen, die vermeintlich studentische Vertreter entfacht haben. So berichtet der Mainzer Historiker Andreas Rödder, der als externer Gutachter von dem „Leak“ im Fall Baberowski betroffen war, gegenüber dem Cicero, Kunst habe sich bei ihm telefonisch entschuldigt: „Ich habe der Präsidentin aus der Perspektive eines Außenstehenden geraten, dass die HU gut daran tut, mit Nachdruck dem sich verbreitenden Eindruck entgegenzuwirken, dass obstruktive, letztlich totalitäre Minderheiten an der HU die Standards wissenschaftlicher Praxis und die Freiheit der Wissenschaft außer Kraft setzen können“, sagt Rödder.

Auch Martin Trefzer, wissenschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung im Berliner Abgeordnetenhaus, begrüßt die Reaktion der Humboldt-Universität: „Ich unterstütze ausdrücklich Frau Kunst und den Akademischen Senat in ihrem Bemühen, den Vorgang aufzuklären und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dass die universitätsinternen Gegner Baberowskis selbst eine Beschädigung des Ansehens der Humboldt-Universität billigend in Kauf nehmen, ist ein beschämender Vorgang.“ Und die FAZ urteilte: „Beschädigt ist durch diesen ungeheuerlichen Vorgang auch das Ansehen der Universität.“

„Werden alle notwendigen Konsequenzen ziehen“

Cicero hat erfahren, dass sich der Akademische Senat in seiner nächsten Sitzung mit dem Vorfall befassen wird. Dabei wird er, nach Auskunft der Humboldt-Universität, „alle notwendigen Konsequenzen ziehen, um künftig einen noch verlässlicheren und sichereren Umgang mit vertraulichen Dokumenten zu gewährleisten“. Den Umgang mit vertraulichen Antragsunterlagen regelt im Übrigen die Geschäftsordnung des Akademischen Senats, die sich das Gremium selbst gibt. Die Geschäftsordnung rekurriert auf die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Auf dieser Basis wurde bislang ein vertrauensvoller und vertraulicher Umgang mit hochschulinternen Unterlagen unter den Mitgliedern der Gremien der HU gepflegt. Sollten studentische Vertreter an dem „Leak“ beteiligt sein, haben diese damit eine Debatte eröffnet, ob sie überhaupt im Akademischen Senat vertreten sein sollten. Die geringe Wahlbeteiligung könnte dafür sprechen, dass die große Mehrheit der Studenten daran kein Interesse hat. Vermutlich präferieren die meisten, das wissenschaftliche Renommee ihrer Hochschule zu erhalten, statt es durch Leaks, Intransparenz und politische Spielchen von einer sehr kleinen Minderheit zerstören zu lassen. 

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