Archäogenetiker Johannes Krause - Der dritte Mensch

Der Archäogenetiker Johannes Krause hat einen unbekannten Vorfahren unserer Spezies entdeckt. Und erklärt, warum alle Europäer mit Karl dem Großen verwandt sind.

Johannes Krause hat am Max-Planck-Institut in Leipzig eine dritte menschliche Speziens neben Homo Sapiens und Neandertaler entdeckt / dpa
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Andrea Hanna Hünniger, geboren 1984 in Weimar, ist Journalistin und Buchautorin.

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Der Mann, der den dritten Menschen entdeckt hat, wirkt, als wäre er immer wach. Vielleicht liegt das daran, dass er literweise Mate-­Limonade trinkt. Vielleicht aber auch daran, dass er sozusagen eine neue Zeitrechnung eingeführt hat – eine weitere Stunde null in der Geschichte der Menschheit.

Bis dahin hatte niemand mit einer solchen Entdeckung gerechnet. Die Geschichte war geschrieben: Es gab den Neandertaler und den später dominanten Homo sapiens. Dann, im Jahr 2010, fiel Johannes Krause ein winziges Stück Knochen in die Hand: die Fingerkuppe einer jungen Frau. Sie stammte von einem Fossil aus der Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge. Mit einem Zahnarztbohrer entnahm er vorsichtig Spuren. Er fand eine DNA, die genetisch weder dem Homo sapiens noch dem Neandertaler zuzuordnen war. Und entdeckte so eine bis dahin unbekannte Sorte unserer Spezies: den Denisova-Menschen. Und nicht nur das: Wir alle tragen nicht nur unterschiedliche Anteile des Neandertalers in uns, sondern einige, so wissen wir jetzt, auch die Denisova-DNA.

Auf den Spuren des Genoms

Wir laufen durch das Max-Planck-Institut in Leipzig, das so aussieht, wie man sich die Google-Zentrale im Silicon Valley vorstellt: hier ein Tischkicker, dort eine Sauna. In einem gut gekühlten Raum bleiben wir vor einer Maschine stehen, die Johannes Krause die „Ipad-Waschmaschine“ nennt: Mit ihr hat er die DNA des neuen Menschen entschlüsselt. Tatsächlich hört sie sich an, als liefe gerade das Schleuderprogramm. Auf dem digitalen Bildschirm steht „Waschgang“.

Eigentlich hat Professor Johannes Krause, Jahrgang 1980, mit 42 Jahren schon alles erledigt, was die Wissenschaft so verlangt. Er wirkte an der Entschlüsselung des Erbguts des Neandertalers mit, wobei ihm der Nachweis gelang, dass Neandertaler und der moderne Mensch dasselbe Sprachgen teilen. Jetzt ist er einer der sechs Leiter des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Drei davon sind bereits emeritiert. Und er ist einer der ganz wenigen Ostdeutschen, die einem Max-Planck-Institut vorstehen: Er kommt nämlich aus dem thüringischen Leinefelde.

Aus Leinefelde kommt auch der Naturforscher Johann Carl Fuhlrott, dem 1856 an der Tübinger Universität die revolutionäre Entdeckung des Neandertalers gelang. Die Hauptstraße in Leinefelde ist nach ihm benannt und die Schule, auf die Krause ging. Und als Krause 19 Jahre war, wurde gerade das menschliche Genom entwickelt: Die Frankfurter Allgemeine druckte damals ihr gesamtes Feuilleton mit dem Code voll. Auch das war eine Stunde null. 

Erkenntnisse der Ahnenforschung

Krauses Eltern waren Arbeiter. Trotzdem saßen bei ihm zu Hause Professoren, Ärzte, Oppositionelle am Küchentisch. Und als die Wende kam, zerbrachen auch in Leinefelde die Sicherheiten. Krause begann, in Leipzig Biochemie zu studieren. „Ich habe mich nicht danach entschieden, was mir Spaß macht, sondern danach, womit ich später was anfangen kann“, sagt er. Die Biochemie steckte damals in den Kinderschuhen, galt als einer der zukunftsweisenden Wissenschaftszweige: „Es war was Handfestes.“

Er sagt, die Mitglieder seiner Generation seien durch die Turbulenzen der Wiedervereinigung und das Trauma ihrer Eltern zu Opportunisten geworden. Er meint damit nicht Unterwürfigkeit, sondern das Bestreben, sich Ausbildungen, Studien und Berufe zu suchen, die eine Karriere versprechen, mindestens aber eine verlässliche Sicherheit. Und er sagt, alle seine Freunde, die Ende der 1990er die Möglichkeit hatten wegzugehen, hätten das getan.

Vergangenheit und Zukunft verbinden

Anthropologie heißt, Menschen zu verstehen. Evolutionäre Anthropologie heißt, Vergangenheit und Zukunft der Menschheitsentwicklung zu verbinden. Und ihre Ergebnisse sind von der Art, dass sie nicht immer allen Menschen schmecken – zum Beispiel all den Hobby-­Ahnenforschern in Deutschland, die versuchen, sich eine glorreiche Herkunft herbeizurecherchieren.

Und wenn Johannes Krause vor der großzügigen Kletterwand im Institut steht und sagt, dass wir rein rechnerisch alle mit Karl dem Großen verwandt sind, dann ist das ein lustiger Satz, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass noch im Herbst Armin Laschet mit seiner angeblichen Abstammung von dem Frankenkaiser Wahlkampf gemacht hat. „Vor 30 Generationen hatten wir eine Million Verwandte“, sagt Krause. „Es ist simple Mathematik. Im Grunde sind alle Europäer mit Karl dem Großen verwandt.“ Und damit hat er mit einem Satz die triviale Ahnenforschung, die im Rassismus mündet, einfach dekonstruiert. Die Aristokratie der edlen Herkunft hat er sozialisiert. Und vielleicht ist es kein Wunder, dass diese Erkenntnis jetzt von einem Arbeiterkind aus Ostdeutschland kommt.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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