Anti-Rassismus als PR-Strategie - Und die Moral von der Geschicht?

Moralische Ideale scheinen so hoch gesteckt zu sein wie nie. Nun werden auch Unternehmen tätig: Sie unterstützen Initiativen, die gegen Hass im Netz und Rassismus vorgehen. Politische Parolen sind längst zur PR-Strategie geworden. Überzeugung oder Masche?

Boykott gegen Facebook – Unternehmen unterstützen Initiative „Stop Hate for Profit“ gegen Hass im Netz / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Der Staat bedroht die Freiheit. Also muss unsere Freiheit vor staatlichen Übergriffe geschützt werden. Soweit das kleine Einmaleins von Liberalen und Linken, von Antiautoritären und Demokraten. Zu Recht. Denn es beruht auf historischer Erfahrung.

Doch historische Erfahrungen haben einen Nachteil: Sie sind historisch. Zwar hat auch der moderne Staat das Potential, die Freiheit seiner Bürger einzuschränken. Die intensiven Diskussionen über Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, über Telekommunikationsüberwachung und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zeigen das. Doch die Annahme, dass die Diktatur der Zukunft eine Art technisch aufgemöbeltes Ozeanien à la Orwells „1984“ ist, scheint dennoch mehr als naiv.

Die unfreie Gesellschaft der Zukunft

Nein, die unfreie Gesellschaft der Zukunft wird keine Schreckensherrschaft einer Figur oder einer Partei sein. Sie wird auch keine dunklen Keller benötigen und keine Geheimpolizei, die im Morgengrauen Türen eintritt. Die unfreie Gesellschaft der Zukunft wird sich nicht autoritär anfühlen, im Gegenteil. Denn die Menschen werden ihr innerlich zustimmen, sie werden sie für vernünftig halten, für alternativlos und notwendig. Herrschaftsdruck wird in der unfreien Gesellschaft der Zukunft daher nicht von oben nach unten ausgeübt, sondern horizontal – von Bürgern für Bürger. Die Menschen werden sich gegenseitig auf Linie bringen. Man wird das vermutlich Zivilgesellschaft nennen – oder so ähnlich.

Die unfreie Gesellschaft der Zukunft wird ihre demokratische Werte preisen und sich wie eine Demokratie anfühlen. Ihre Macht wird nicht auf einem Repressionsapparat beruhen, sondern auf Medien, Stiftungen, Initiativen und NGOs. Und eine Schlüsselrolle wird dabei der Wirtschaft zukommen. Wie das in etwa funktionieren könnte, kann man in seinen Grundzügen schon heute erahnen.

„Stop Hate for Profit“

Dafür braucht man sich nur die Initiative „Stop Hate for Profit“ anzuschauen. Ihr Ziel: Durch Werbeboykott soll die Internetplattform Facebook dazu gebracht werden, gegen Hass-Reden, Fake News und rassistische Inhalte vorzugehen und diese zu löschen. Ins Leben gerufen wurde sie von der „Anti-Defamation League“, der „National Association for the Advancement of Colored People“ und der Organisation „The Color Of Change“. Und alle machen mit: Unilever, Puma, Adidas, SAP, Starbucks, Volkswagen und Honda – um nur die wichtigsten zu nennen.

Keine Frage: Die Ziele von „Stop Hate for Profit“ sind nobel, und gegen Rassismus im Netz vorzugehen ist aller Ehren wert. Die Frage ist nur: Wer legt fest, was Hetze ist, was Rassismus und was Hass? Wer bestimmt, was eine Falschmeldung ist? Wer beurteilt das? Ist es Aufgabe und liegt es im Ermessen von Marketingabteilungen, solche Fragen zu beantworten? Wollen wir im Ernst unsere Meinungsfreiheit dem Urteilsvermögen von PR-Agenturen überlassen?

Die Moral als das ideale Mittel der Imagebildung

Wollen wir nicht. Werden wir aber, wenn wir nicht aufpassen. Denn die Mechanismen dahinter unterliegen der Logik des stärksten Systems der Welt: der Marktwirtschaft. Sie ist der Hebel, mit dem Ideologien und politische Haltungen am nachhaltigsten einer Gesellschaft implantiert werden können. Das war viele Jahrzehnte über unproblematisch, denn der Kapitalismus wollte vor allem sich selbst. Und ein Waschmittel wurde beworben, weil es weiß und noch weißer wäscht.

Doch dann entdeckten die Marketingfachleute die Moral als das ideale Mittel der Imagebildung für Unternehmen. Ein Waschmittel musste nun nicht mehr weiß waschen, sondern umweltschonend, und das Unternehmen dahinter musste den Kriterien von Inklusion und Diversity genügen. Man kann diese Entwicklung begrüßen.

Digitale Medien als neuer Maßstab freier Rede

Doch inzwischen sind wir einen Schritt weiter. Über die digitalen Medien und sozialen Plattformen maßen sich Unternehmen nun an, ihre Imagekonzepte als Rahmen des Erlaubten und zum Maßstab freier Rede zu machen. Flankiert wird das Ganze von Consultants und Innovationsberatern, die von „Social Purpose Business“ schwadronieren und die Welt mit ihrem Value Content zwangsbeglücken wollen. Doch nichts ist für die Demokratie gefährlicher als die Verbindung von wirtschaftlichem Marketing und ideologischer Missionierung.

Internationale Konzerne verfügen heutzutage über mächtigere Regelungsinstrumente als jeder Staat. Deshalb ist die Mischung aus Sozialen Medien, Werbeeinnahmen, internationalen Konzernen und politischer Lobbyarbeit so toxisch. Grundwerte demokratischer Gesellschaften dürfen nicht in der Hand irgendwelcher PR-Strategen liegen. 

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