Kritik an Anne Will - „Es geht nicht um Fakten, sondern um Gefühle“

ARD-Moderatorin Anne Will steht in der Kritik. In der jüngsten Ausgabe ihrer Talkshow durfte Luisa Neubauer unwidersprochen suggerieren, der CDU-Kandidat Hans-Georg Maaßen wäre ein Antisemit. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Thomas Hacker, sagt, dass Grünen-Politiker in öffentlich-rechtlichen Talkshows einen Bonus genießen.

Wird Annalena Baerbock in öffentlich-rechtlichen Talkshows netter behandelt als andere Politiker? / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Thomas Hacker ist medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Seit 2017 sitzt er für die Liberalen im Bundestag. 

Herr Hacker, der Wahlkampf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat begonnen. Bei „Anne Will“ durfte die grüne Politikerin und Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer am Sonntag Hans-Georg Maaßen in die Nähe von Antisemiten rücken, ohne das zu belegen. Jetzt steht die Gastgeberin in der Kritik. Es heißt, die Sendung sei eigentlich eine Wahlwerbesendung für die Grünen gewesen. Teilen Sie diesen Eindruck?

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Die gesamte Sendung lässt eine andere Antwort als Ja leider gar nicht zu. Es ist sehr bedauerlich, dass der journalistische Umgang von Frau Will mit den Talkshowgästen allein die Diskussion bestimmt. Und nicht die politischen Inhalte – um die es ja eigentlich gehen sollte. Das resultiert natürlich daraus, dass die Moderatorin verschiedene Gäste unterschiedlich angefasst und nur selektiv journalistisch nachgefasst hat.

Luisa Neubauer wurde mit Samthandschuhen angefasst, während Herr Laschet „gegrillt“ wurde?

Man konnte als Zuschauer schon den Eindruck gewinnen: „Alle gegen Laschet.“ Auch der Einstieg war interessant: Nach 16 Jahren mit Angela Merkel komme jetzt mal „was Frisches“, „was Neues“. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat halt einen dezidierten Verfassungsauftrag. Es geht um Informationsvermittlung bei gleichzeitiger politischer Distanz zu den Parteien.

Theoretisch. Praktisch ist aber jeder das Produkt seiner Erziehung und seiner Erfahrungen. Geht das Gebot der Neutralität nicht an der Realität vorbei?

Wir alle sind nur Menschen, wir alle haben unsere eigene politische Überzeugung und Einschätzung der Lage. Aber an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden höhere Ansprüche gestellt als ans Privatfernsehen, wo man weiß, welches Magazin welche politische Linie verfolgt. Zur journalistischen Verantwortung gehört es auch, die eigene Einschätzung zurückzustellen.

Das Format der Talkshow sticht im Nachrichtenjournalismus aber hervor. Es ist keine reine Information. Es soll polarisieren.

Wenn das hartnäckige Nachfragen bei allen Gästen gleichmäßig angewandt wird, haben wir damit auch gar kein Problem. Aber schon seit mehreren Monaten beobachten wir das Phänomen, dass mehr darauf geachtet wird, wie Gespräche geführt werden, als auf das, was gesagt wird. Und das zeigt mir, dass hier etwas in die verkehrte Richtung läuft.

Nun kann man von Anne Will nicht erwarten, dass sie die Äußerungen ihrer Talkshow-Gäste aus dem Stegreif einem Faktencheck unterzieht. In der Sendung hat sie auf den Antisemitismus-Vorwurf gegen Hans-Georg Maaßen gesagt: „Schauen wir uns noch an, versuchen wir zu belegen.“ Wie hätte sie sich aus Ihrer Sicht verhalten müssen?

Um es klar zu sagen: Ich will Herrn Maaßen in keiner Weise verteidigen. Ich sehe seine Amtsführung als ehemaliger Chef des Verfassungsschutzes und seine politische Agenda sehr kritisch. Doch die Prüfung eines Antisemitismus-Vorwurfs darf nicht auf die nächste Sendung verschoben werden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnt vor pauschalen Vorwürfen und hat zu Recht klare und eindeutige Belege gefordert. 

Der Faktencheck fand dann nach der Sendung statt. Da hat Frau Will auf Twitter einen Thread von Aktivisten der Organisation Unionwatch retweetet, der belegen sollte, dass Maaßen mit antisemitischen Äußerungen sympathisiert. Nach der Kritik an der Sendung hat sie diesen dann aber wieder gelöscht. Gilt das Neutralitätsgebot nicht auch für die Social-Media-Kanäle von Moderatoren?    

Diese Kanäle sollten im Wahlkampf keine Rolle spielen. Das Distanzhaltungsgebot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt auch für sie. Natürlich kann man dort spannende Diskussionen bewerben. Aber einzelne Personen in eine politische Ecke zu stellen, das geht nicht. Die Meinungsbildung muss bei den Zuschauern erfolgen.

Fängt die Rücksicht auf das Neutralitätsgebot nicht schon bei der Auswahl der Talkshowgäste an?

Ja, aber mein Eindruck ist: Alle im Parlament vertretenen Parteien kommen auch vor, wenngleich die Methode der Befragung mitunter unterschiedlich ist.

Die AfD würde Ihnen da zustimmen. Sie beklagt ständig, dass ihre Abgeordneten härter angefasst würden als andere Oppositionsparteien.

Das ist nicht auf die AfD beschränkt. So etwas passiert auch mal dem FDP-Generalsekretär oder dem FDP-Bundesvorsitzenden. Trotzdem hat man das Gefühl, dass eine Meinung über eine gewisse Stimmung im Land aufgenommen wird und dies die Haltung der Moderatorin oder des Moderators bestärkt – und dass nicht so sehr die tatsächlichen Inhalte und Fakten berücksichtigt werden.

Liegt das im Fall von Christian Lindner aber nicht vielleicht eher an seinem arroganten Auftreten?

Natürlich hängt es immer auch vom Auftritt ab, aber Christian Lindner ist ein sehr korrekter und höflicher Talkshowgast. Und wenn ihm häufiger ins Wort gefallen wird als Politikern von anderen Parteien, erweckt es schon den Eindruck, dass es mit der politischen Ausrichtung der Moderatoren zusammenhängen kann.

Hat Annalena Baerbock einen Vorteil, weil sie telegen und eine Frau ist?

Frau Baerbock wird als interessante und neue Persönlichkeit wahrgenommen, die sich klar gegen Robert Habeck als Kanzlerkandidatin durchgesetzt hat. Nach so vielen Jahren mit Angela Merkel gibt es eine Sehnsucht nach Veränderung in der Gesellschaft – politisch wie personell. Wir werden aber in den nächsten Monaten erleben, dass sich der Fokus verändern wird. Neu ist nicht ewig neu. Es geht dann nicht mehr um das Gefühl, sondern um die Konsequenz einer Wahlentscheidung.  

Der Faktencheck hat längst begonnen. Im ARD-Presseclub und im ZDF-Brennpunkt „Was nun, Frau Baerbock?“ haben die Kollegen schon kritisch nachgefragt. Ihre Kritik läuft da ins Leere.

Dass andere Kollegen im Nachhinein nachfragen, ist ja die journalistische Kür. Entscheidend ist doch aber, was in einer konkreten Sendung getan und gelassen wurde. 

Aber wo fällt Ihnen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch auf, dass Journalisten parteiisch sind oder sich den Vorwurf des Haltungsjournalismus gefallen lassen müssen?

Besonders problematisch ist es in den Talkshow-Formaten. Wenn ich Journalisten wie im ARD-Presseclub miteinander diskutieren lasse, ist es natürlich eine andere Ebene, als wenn ich Politiker befrage. Es ist aber auch nicht in jeder Talkshow-Folge so.

Thomas Hacker / dpa 

Eine Studie der Uni Oxford zeigt, dass die Bewertung des ÖR von der politischen Einstellung abhängt. Zuschauer, die sich selbst als links verorten, glauben den Nachrichten mehr als Zuschauer im rechten Spektrum. Was sagt das über das Programm aus?

Wir erleben nicht nur eine Veränderung der politischen Diskussion, wir erleben in den sozialen Medien auch eine Veränderung der politischen Information. Gerade Menschen am rechten Rand der Gesellschaft schaffen sich ihre eigenen Filterblasen und Echokammern. Das Bashing des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist da besonders stark. Von daher wundert mich diese Studie nicht. Diese Echokammern werden aus dem Ausland unterwandert. Nehmen Sie zum Beispiel den staatlichen russischen TV-Kanal „Russia Today“. Der hat seinen Einfluss vor der Bundestagswahl erheblich ausgeweitet.

Die AfD will den ÖR praktisch abschaffen. Zieht die FDP mit ihr an einem Strang?

Nein, im Gegenteil. Wir wollen einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk – aber einen, der sich auf seinen Kernauftrag fokussiert. Dazu gehören Information, Bildung und auch Kultur. Und bei der Struktur sehen wir durchaus Optimierungsbedarf. Kleinstsender sollten sich zu größeren Einheiten zusammenschließen. Im Bereich der Kultur könnten wir uns Einsparungen vorstellen.

Weg mit dem „Tatort“?

Nein, den stellt keiner in Frage. Der ist ja schon fast Kulturgut. Aber wir haben darüber hinaus noch fast 30 regionalisierte Krimireihen im Angebot.

Sie sprechen von Verschlankung. Die hessische FDP geht noch weiter. Sie will das ZDF privatisieren.    

Das ist eine sehr plakative Forderung. Aber natürlich muss man sich auch über den nationalen Rundfunkauftrag unterhalten. Brauchen wir zwei Sender, ARD und ZDF? Mir schwebt eine Kooperation vor. Das kann bei Sportgroßereignissen beginnen und findet ja teilweise auch schon statt. Es reicht, zu den Olympischen Spielen ein Team zu schicken.

Die FDP war gegen die geplante Gebühren-Erhöhung. Hat die Partei keine anderen Instrumente, um eine Reform des ÖR einzufordern?

Doch, die FDP regiert in drei Bundesländern mit, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Ländersache. Wir wollen den Auftrag des Rundfunks jetzt neu gefasst sehen, damit wir auch zur Beitragsstabilität kommen.

Öffentlich-rechtlicher Nachrichtenjournalismus in der Corona-Krise boomt. Allein die Zuschauer-Zahl der „Tagesschau“ stieg von 10 auf bis zu 17 Millionen. Brauchen wir in einer Zeit, wo sich die Nachrichten von seriösen Zeitungen ins Internet verlagert und dubiose Telegram-Kanäle boomen, nicht eher mehr als weniger öffentlich-rechtliche Nachrichten?

Ja, klar. Aber er muss sich halt auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Erfreulicherweise ist die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch bei den Generationen hoch, die vom linearen Fernsehen ganz weit weg sind – also bei den unter 30-Jährigen.

Aber ihr Anteil liegt aktuell gerade mal bei über sechs Prozent.

Ja, im linearen Fernsehen. Viele streamen sich die Tagesschau aber aus der Mediathek.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.

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