Amazons neue Inklusions-Richtlinien - Schöne neue Kunst

Die Amazon-Studios haben sich neue Inklusions-Richtlinien gegeben. Kein Zweifel: Sie werden richtungsweisend für die Unterhaltungsbranche sein – und nicht nur für diese. Die Folgen sind absehbar: Es droht nicht nur das Ende der Kunst, sondern der Albtraum der vollständig politisch korrekt gesteuerten und indoktrinierten Gesellschaft.

Die Gipfel der Baldwin Hill Berge hinter dem Hollywood-Schild sind mit Schnee bedeckt / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es geht salbungsvoll los. Immerhin sind wir bei einem amerikanischen Weltkonzern. Und da darf ein bisschen schmalziges Pathos auf keinen Fall fehlen. Mit den neuen Inklusions-Richtlinien, so CEO Jennifer Salke zu Beginn des neuen Grundsatzprogramms, verpflichteten sich die Amazon-Studios „Vordenker und Vorreiter bei der Umgestaltung unserer Branche zu sein“. Es klingt wie eine Drohung.

Denn die Amazon-Studios sind nicht irgendwer. Zwar gehören sie nicht zu den ganz großen Playern der Branche, doch man darf sich keine Illusionen machen. Über seine Marktmacht als Medienkonzern, als Betreiber eines führenden Streamingdienstes und als Anlaufstelle für junge Autoren kommt Amazon ein enormer Einfluss zu. Hier werden Karrieren gemacht. Hier werden die Kriterien formuliert, die über die Zukunft bestimmen.

Freiheit beschneiden in lieblichem Ton

Und wie immer, wenn es im Grunde darum geht, Freiheiten zu beschneiden und Drohkulissen aufzubauen, ist man um einen besonders lieblichen Tonfall bemüht. Schließlich gehe es Amazon lediglich darum, Geschichten zu suchen, „die Stimmen von Charakteren [zu] stärken, unabhängig von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, sexueller Orientierung, Alter, Religion, Behinderung (einschließlich geistiger Gesundheit), Körpergröße, Geschlecht, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck“.

Klingt harmlos. Ist es aber nicht. Was dahinter steht, ist die Vorstellung der vollständig quotierten Produktion: „Wo es die Authentizität der Geschichte nicht beeinträchtigt, sind die Mindestziele für die Besetzung von Sprechrollen 30 Prozent weiße Männer, 30 Prozent weiße Frauen und nicht-binäre Menschen, 20 Prozent Männer aus unterrepräsentierten Rassen und Ethnien, 20 Prozent Frauen und nicht-binäre Menschen aus unterrepräsentierten Rassen und Ethnien.“

Ein Regelkorsett

Zudem strebt man an, „mindestens 10 Prozent unserer Rollen mit Menschen zu besetzen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder geschlechtlich nicht konform/non-binär sind, und 10 Prozent mit Menschen, die sich selbst als Menschen mit einer Behinderung identifizieren“. Wie man sich der sexuellen Orientierung der Schauspieler vergewissern will, bleibt dabei Amazons Geheimnis. Doch das ist nicht das eigentliche Problem.

Kunst, auch die Filmkunst, basiert auf Freiheit, Eigenständigkeit und Kreativität. Filme durch ideologische Vorgaben, sei es seitens der Story, des Settings, des Castings oder was auch immer, in ein Korsett von Vorschriften und Regeln zu pressen, ist das Gegenteil all dessen, was Kunst, auch hochkommerzielle Populärkunst, interessant macht.

Traumfabrik Hollywood

Ja, Hollywood war schon immer ideologisch. Immer noch propagiert es zumeist eine einfältige Jeder-kann-es-schaffen-Botschaft vom einsamen Helden (oder der Heldin), der sich in einer schwarz-weiß gezeichneten Welt gegen die Übermacht des Bösen durchsetzt. Allerdings: Die Pointe an Hollywood war eben immer auch, dass seine Ideologie deckungsgleich mit den Träumen von Millionen war und den Erwartungen, die Menschen an Geschichten haben: dass sie anrührend sind, spannend, dass die Menschen schöner, besser, stärker und mächtiger sind als sie selbst. Dass sie sich mit ihnen identifizieren können – nicht, weil sie genauso krank, schwach und langweilig sind wie man selbst, sondern mächtiger, verführerischer und strahlender. Alles in Hollywood war eben stets „bigger than life“.

Unterhaltungsfilme wollen nicht die Realität abbilden. Sie sollen die Menschen zum Träumen verführen – von der große Liebe, dem großen Helden, dem Happy End. Wir alle wissen, dass das Leben anders aussieht. Wer dieses wirkliche Leben auch noch im Kino sehen will, soll in Arthouse-Produktionen gehen.

Das Ende des Schauspiels

Doch Amazon will keinen pluralistischen Filmmarkt, in dem das Publikum auswählen kann, was es sehen will. Amazon will das politisch korrekte Kino, das anscheinend in einem besonders naiven und öden Realismus besteht. Alles muss sein wie im wirklichen Leben – nur vermutlich süßlicher. Man ahnt, was dabei herauskommt.

Was dabei endgültig untergehen wird, ist der Beruf des Schauspielers. Denn der basiert darauf, Charaktere zu spielen, die dem Schauspieler fremd sind: Liebhaber, Soldaten, Drogenhändler, Mafiosi oder was auch immer. Amazon hingegen hat die Absicht, „Schauspieler in einer Rolle zu besetzen, deren Identität mit der Identität des Charakters, den sie spielen werden, übereinstimmt (nach Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Rasse/ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung und Behinderung)“. Wenn man das zu Ende denkt, werden bald nur noch Franzosen Franzosen spielen, Wissenschaftler Wissenschaftler und Mörder Mörder.

Nun kann man vielleicht auf Schauspieler verzichten. Worauf man aber nicht verzichten kann, ist die Freiheit zu träumen und Geschichten zu erzählen – unabhängig von irgendwelchen moralischen Erwägungen. Wer das in Zweifel zieht, greift nicht nur die Grundlagen jeder Kunst an, sondern auch diejenigen einer Gesellschaft freier Menschen.

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