Comeback von ABBA - Heiter mit Aussicht auf Kötbullar

Es ist eines der spektakulärsten Comebacks der Musikgeschichte. Nach 39 Jahren bringen Abba heute ihre neue Platte „Voyage“ heraus. Ein Konzert gibt es auch, aber statt selbst aufzutreten, schicken die Mitglieder ihre jungen „Abbatare“. Wird man so unsterblich? Ein vorgezogener Nachruf von Antje Hildebrandt.

Zurück in die Zukunft: Björn, Agnetha, Frida und Benny, besser bekannt als ABBA / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Stellen Sie sich vor, Sie sind der Frontmann einer Band, die ihre beste Zeit in den Siebzigern hatte. In einem Alter, in dem Ihre Freunde die Harley Davidson gegen einen Rollator eintauschen, wollen Sie es nochmal wissen. Eine Tournee mit den Hits von früher. Here we go again! Während der Tournee passiert dann etwas, das jedem irgendwann passiert, auch dann, wenn er sich für unsterblich hält: Ihr Schlagzeuger stirbt. 

Genau das ist den Rolling Stones passiert. Charlie Watts trat mit 81 von der Bühne ab. Für immer. Für die Stones ein harter Schlag. Ein Musiker lässt sich zwar ersetzen. Aber Watts war ja nicht bloß Musiker, er war vor allem Watts. Ein Idol. Ein Original, eine lebende Rythmusmaschine, der einzige Erwachsene unter ewig Halbstarken. Nach seinem Tod beteuerte Mick Jagger zwar, Charlie sei im Geiste bei ihnen. Er hätte gewollt, dass sie ihre Tour mit einem jüngeren Ersatzmann fortsetzen. 

Aber ein flaues Gefühl bei den Fans bleibt. Wer seine Idole von früher live sehen will, wähnt sich in der Illusion, er kaufe sich ein Stück seiner Jugend zurück. Der Tod macht diese Illusion zunichte. Er führt einem die eigene Endlichkeit vor Augen. 

Warum tun die uns das an? 

Womit wir beim Comeback von ABBA wären. Und bei der Frage: Warum tun die sich das an? Und warum tun die uns das an? Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch. ABBA, das waren diese vier Bilderbuch-Schweden, die die Charts in den siebziger Jahren mit unfassbar schönen Melodien mit Sha-la-la-la stürmten, zwei Ehepaare auch noch, die beste Freunde waren, das passte gut zu den Songs. Die waren die perfekte Tapete für die mit Ikea möblierten Kinderzimmer. 

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ABBA, das war der Soundtrack meiner frühen Jugend. Heiter. Unbeschwert. Mit einem Hauch von schwedischem Dolce far niente. Wenn unsere Eltern nicht da waren, legten meine Schwester und ich uns nachtblauen Lidschatten à la Agnetha auf, wir toupierten uns die Haare und performten ihre Songs im Wohnzimmer  – lauthals mit Haarbürsten als Mikrophone. Einmal müssen wir es wohl übertrieben haben. Die alte Nachbarin klopfte an die Tür: Was denn da los sei. 

Bullerbü für Pubertierende 

ABBA war unser Schlupfloch aus einer Welt, die zunehmend unüberschaubar wurde. In dieser Welt war die Sonne eine Disko-Kugel, die sich immer drehte  Es war darin kein Platz für Angst vor Pickeln oder einem Körper, der sich auf bedrohliche Weise veränderte. Die Welt von ABBA war ein Bullerbü für Pubertierende, glatt poliert und ohne Widerhaken, heiter mit Aussicht auf Kötbullar. 

Als sich die Band Anfang der achtziger Jahre auflöste, begann für uns ein neuer Lebensabschnitt. Die ABBA-Platten verschwanden hinten im Regal, ganz hinter den Platten von Depeche Mode, The Cure und The Smiths. Wenn sie doch mal einer zufällig hervorkramte, errötete ich vor Scham. Wie jemand, der bei einer Jugendsünde ertappt wurde. 

Here we go again!  

Dass die Band jemals ein Comeback feiern würde, galt lange als ausgeschlossen. Noch im Jahr 2000 hatten ABBA das Angebot ausgeschlagen, für eine Milliarde Dollar auf US-Tournee zu gehen. „Das Sozialleben wäre ein Problem geworden", räumte Anderssen jetzt im Interview mit dem Spiegel ein. Das private Glück der Paare war am Erfolg der Band zerbrochen. Beide hatten sich schon zu ABBA-Zeiten getrennt. Von dem Schmerz erzählt einer ihrer letzten Songs. The winner takes it all. 

Benny Andersson und Björn Ulvaeus feierten Erfolge als Produzenten von Musicals („Chess“) und Studio-Alben. Um die Frauen wurde es ruhiger. Agnetha Fältskog zog sich mit ihrer Tochter auf einen Bauernhof aus der Musikindustrie zurück. Wie Anni-Frid „Frida“ Lyngstad nahm auch sie eigene Platten auf, konnte aber nie an den Erfolg von ABBA anknüpfen.  

Comeback der Avatare

Wenn es nach den Frauen gegangen wäre, wären die Alben von ABBA das geblieben, was sie für mich und meine Generation auch waren: eine nostalgische Reminiszenz an die siebziger Jahre. Musik, die man auf Partys gerne lauter  drehte. Nochmal rein in die Plateauschuhe und den Glitzerfummel und das Scha-la-la-la-la von früher singen? Frida und Agnetha sollen abgewunken haben. Sie waren jetzt schon über 70. Sie sahen noch immer fantastisch aus. Aber mit ihren Songs war es wie mit den Schlaghosen, mit denen sie schon zur Welt gekommen zu sein schienen. Sie passten einfach nicht mehr.

Es waren die Männer, die es noch einmal wissen wollten. „Wir wollten's machen, bevor wir tot sind“, witzelte Benny Andersson bei einer Pressekonferenz in London. Eine Tournee mit den Hits von früher. Here we go again! Und deshalb einigte sich die Band auf einen Kompromiss, nachdem sie 2018 erst einen Song aufgenommen hatten und dann noch andere. Und als sie beschlossen, doch noch einmal die Bühne zu rocken – wenn auch nicht in persona. Stattdessen würden sie ihre Avatare schicken. Darsteller, die aussehen wie die jungen ABBA vor 40 Jahren. Abbatare, um im Jargon der Gruppe zu bleiben. Am 27. Mai 2022 ist Premiere in London. 

„A monumental moment in pop history“

Um die Bilder für diese 3D-Animationsshow zu  produzieren, haben sie sich in Hightech-Anzüge gezwängt und fünf Wochen lang vor 160 Kameras in einem Studio mit Bluescreen geprobt. Von einem „monumental moment in pop history“ spricht Benny Andersson. Davon, dass sie ihre Seele mit der Technik Motion Capture in die Abbatare gesteckt hätten. Was man eben so sagt, wenn einen der Anlageberater ermahnt hat, für die eigene Insel als Altersruhesitz fehlen noch ein paar Millionen. Ihr müsst die Kuh ABBA melken, solange sie noch Milch gibt.

Auch die Rolling Stones machen mit ihrem Comeback Kasse. Doch anders als Jagger & Co. müssen sie keine Angst haben, tot auf der Bühne umzufallen. Die Show kann auch noch laufen, wenn sich die vier die Radieschen längst von unten angucken. Sie ist ihr Testament, „Super-Trouper" in der Endlosschleife. Mich erfüllt dieses Last-Minute-Comeback mit stillem Gruseln. Wenn ich ins Konzert gehe, will ich keine Computer-Helden sehen. Mir ist ein verknitterter Mick Jagger tausendmal lieber als eine makellos verpixelte Agnetha Fältskog. 

Die Fans sind geflasht

In Würde zu altern, damit haben Pop-Idole so ihre Probleme. Kein Wunder. Sie werden ja täglich mit den Bildern ihrer jüngeren Ichs konfrontiert. Der Wunsch, unsterblich zu werden, treibt aber nicht nur sie um. Eine ganze Industrie schlägt daraus Kapital. Menschen lassen ihre Körper nach dem Tod bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff einfrieren – in der Hoffnung, in ferner Zukunft wieder aufzuerstehen, wenn die Medizin weit genug ist, um ihnen einen gesunden Körper zurückzugeben. Eine zombieske Vorstellung.   

Jugend lässt sich aber nicht konservieren. Das zeigt das Comeback von ABBA. Ihr neues Album heißt „Voyager“, das passt gut zu dieser Zeitreise zurück in die Zukunft. Zwei Single-Auskopplungen haben sie schon als Köder auf YouTube ausgeworfen. Die von Kaminfeuerromantik knisternde Ballade „I still have faith in you“ ist eine Liebeserklärung von ABBA an ABBA. Die Uptempo-Nummer „Don’t shut me down“ erzählt vom Wiedersehen zweier Menschen, die mal ein Liebespaar waren. ABBA-Fanclubs sind völlig geflasht. „Ich habe Tränen in den Augen, dass ich das noch erleben kann", schreibt ein Fan. Ich kann die Euphorie nicht teilen. ABBA klingen zwar immer noch wie ABBA. Aber es fehlt ihnen genau das, was ihre Songs früher ausgemacht hat. Diese federleichte Nonchalance, die mich noch heute bezaubert. 

ABBA klingen heute wie eine Band, die ihre Songs jetzt im Sitzkreis performen muss, weil sie nicht mehr so lange stehen können. Wie sollen ihre jungen Abbatare den Kraftakt wuppen, diese Songs zu performen, die vor Altersweisheit triefen? Die Stimmen der Frauen sind nachgedunkelt. Sie klingen geläutert und auch ein wenig desillusioniert. Aber wenn ABBA clever sind, dann ersparen sie uns diese ollen Kamellen. Und sie beglücken uns mit einem reinen Best of. Schließlich sollen wir sie ja so in Erinnerung behalten, wie wir sie vor 40 Jahren kennengelernt hatten. 

Thank you for the music. 

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