Zivildienst - Warum das „Gesellschaftsjahr“ eine gute Idee ist

Die Mehrheit der Deutschen fordert laut einer Studie die Einführung eines sogenannten „Gesellschaftsjahres“, eine Neuauflage des Zivildienstes. Es soll für alle Schulabsolventen Pflicht werden. Diesen Vorschlag kann man nur gutheißen

Schon 1989 machte man sich für Zivildienst stark / picture alliance
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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Vor wenigen Jahren, da war es noch so, dass man von der Schulbank entweder direkt in den kargen Kasernen der Bundeswehr zum Dienst antrat, oder sich aber für die Zivilgesellschaft engagierte. Ein Jahr lang. Dieser Zwang war für viele junge Männer ein großes Ärgernis, hatten sie doch andere Pläne. Darum war ich froh, als 2011 die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Denn ich war ein ebensolcher Bursche, mit ebensolchen Plänen. Dass es mir erspart blieb, war wohl so etwas wie die Gnade der späten Geburt. Viel lieber wollte ich hinaus in die Welt, nach England. Ein Jahr nach London oder Brighton. 

Ich habe also weder gedient, noch Zivildienst geleistet oder ein freiwilliges soziales Jahr absolviert. Auch hätte ich mich damals darüber geärgert, wäre mir dies aufgezwungen worden. Im Rückblick aber wäre ich stolz darauf. Und sicherlich ein Stück weiter als ich es heute bin. Denn nach England kam ich ohnehin nie, das Sparschwein war nicht genug gefüllt. Stattdessen begann ich als freier Reporter bei der Lokalzeitung. Auch gut. Es ist auch nicht so, dass ich mich nicht ab und an sozial engagiert hätte. Was aber wäre gewesen, hätte ich mich dazu entschieden, ein ganzes Jahr meines Lebens für die Allgemeinheit zu geben?

Es soll der Jugend der Schaden nicht sein

Jene, die sich noch für Heer und Gesellschaft verpflichten mussten, hatte es nämlich nicht schlechter getroffen. Ein Kommilitone hatte sich beim Bund noch zu Disziplin und Gründlichkeit erziehen lassen. Ich möchte sagen: Es hat ihm nicht geschadet. Das sieht er heute auch so. Und auch die Zivis wurden durch dieses geopferte Jahr keine schlechteren Menschen. 

Um seinen Teil zur Gemeinschaft beizutragen, muss man heute glücklicherweise keine Waffe mehr in die Hand nehmen. Die Deutschen wollen keine Neuauflage der Wehrpflicht. Aber nach einer aktuellen, repräsentativen Studie spricht sich die Mehrheit der Bundesbürger für eine neue Version des Zivildienstes aus. Die soll „Gesellschaftsjahr“ heißen und für Schulabsolventen Pflicht werden. In der Debatte darum geht es um die Zivilgesellschaft, um persönliche Entwicklung, um die Erweiterung des Horizontes. Etwas Soziales zu tun, dagegen kann es keine Argumente geben. Wer kann schon etwas dagegen sagen, sich um sozial benachteiligte Kinder zu kümmern, oder alten Menschen im Seniorenheim zuzuhören? Man kann den Vorschlag daher wirklich nur gutheißen. Außer entnervten Jugendlichen, die sich ihrer Zeit beraubt fühlen, hat die Idee ausschließlich gute Konsequenzen.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

Denn seien wir ehrlich: Es ist nicht verkehrt, einer Gesellschaft etwas zurückzugeben, die uns zumeist in Wohlstand und Frieden und gerade in Deutschland mit sozialer Absicherung und eiserner Rechtstaatlichkeit aufwachsen ließ. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte mit ihrem abgedroschenen Mantra „Uns geht es gut“ eben doch Recht. Ein jeder darf sich dazu eingeladen fühlen, dem Staat – auch in Zeiten in denen die Liebe zur eigenen Nation in bestimmten Kreisen verpönt ist – zu danken. Nicht mit einer Packung Merci, wie hierzulande üblich. Sondern vielmehr mit der Aufopferung eigener Lebenszeit.

Der Jugend würde es keinen Zacken aus der Krone brechen. Von der Lebenserfahrung, die man dabei gewinnt, könnte sie noch bis ins hohe Alter zehren. Ein Jahr zwischen Schulbank und Hörsaal oder Ausbildung hilft, über sich selbst klar zu werden. Selbst wenn Lisa, 19 Jahre, nach dem Abitur nicht nach Australien ginge, im Great Barrier Reef tauchte, sondern stattdessen im Obdachlosenrefugium Chili con Carne ausgäbe: Sie wäre kein unvollkommenerer Mensch.

Im Gegenteil: Die Gesellschaft leidet – abseits des lobenswerten politischen Engagements für die Umwelt – unter einer gepamperten, unterforderten Wohlstandsjugend. Die kennt sich zwar mit Instagram und Snapchat bestens aus, versteht aber vom Leben, dem gesellschaftlichem Miteinander, von Geschichte, Tradition oder Kultur nur noch selten etwas. Das sage ich nicht als gebrechlicher Greis, sondern als Teil dieser Generation.

Ein Weckruf für die Zukunft

Ihren Teil tragen zu dieser Entwicklung die allseits bekannten Helikoptereltern bei, die ihre Sprösslinge in einer wohligen Blase der Unselbstständigkeit und Unmündigkeit aufwachsen lassen. Mit der Folge, dass sie, einmal aus dem warmen Nest entlassen, der Welt hilflos gegenüberstehen. Charakterlich und intellektuell. Ihnen wäre mit dem „Gesellschaftsjahr“ wohl weitergeholfen. Man kann dem Nachwuchs durchaus etwas mehr zumuten. Man wächst mit seinen Aufgaben.

Das soll kein Appell sein, sich nach alten Zeiten zu sehnen. Das ist ein Weckruf für die Zukunft. Vor allem für die Muße, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Dann profitieren alle davon. Zweitrangig dafür, den Nachwuchs nicht aus überzogener Fürsorge charakterlich verkommen zu lassen. 

Zumindest ein wenig über das Leben zu lernen, sich aus der Komfortzone herauszubewegen, über den Tellerand zu schauen – dem könnte ein „Gesellschaftsjahr“ nur zuträglich sein. Sollte ich irgendeinmal Vater werden, werde ich den Kindern empfehlen, es so zu halten. Besser als ich, der das Jahr zwischen Schule und Universität sinnvoller hätte nutzen können. Vielleicht aber muss ich gar nicht empfehlen. Vielleicht ist das „Gesellschaftsjahr“ dann längst verpflichtend. 

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