Wahlrechtsreform der Ampel - „Ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip“

Am Freitag hat die Ampel ihre umstrittene Wahlrechtsreform beschloßen. Diese hätte unter anderem weitreichende Folgen für die Linke und die CSU. Im Interview erklärt der Staatsrechtler Ulrich Battis, warum er das Vorhaben für verfassungswidrig hält.

Bald in deutlich kleinerer Besetzung? /dpa
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Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

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Ulrich Battis ist Staatsrechtler und Rechtsanwalt. Er ist Emeritus an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im politischen Bereich ist er verschiedentlich gutachtlich tätig.

Herr Battis, vor über drei Jahren haben Sie einen Aufruf zur Verkleinerung des Bundestages mit-unterzeichnet. Erfüllt die angedachte Reform diesen Zweck?

Der Aufruf, den Bundestag zu verkleinern, ist aktueller denn je. Die Reform folgt also dem richtigen Ziel, doch in der Ausgestaltung ist noch einiges zu ändern.

Was müsste geändert werden?

Die Bedenken von Seiten der CDU/CSU, die mit der Kappung der Direktmandate zusammenhängen, müssen gehört werden. Es gibt nun mal sehr gewichtige Stimmen, die sagen, dass die Wahlrechtsreform ein Verstoß gegen den Wahlgleichheitssatz darstellen würde. Für die Verfassung und juristische Bewertung spielt es auch keine Rolle, ob effektiv drei oder sechs Wahlkreissieger wegfallen.

Wird der Gesetzesentwurf vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben?

Eine Reform, die möglicherweise alle direkt gewonnen CSU-Mandate verschwinden ließe, würde vom Bundesverfassungsgericht, meiner Meinung nach, kassiert werden. Hier besteht ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das demokratische Prinzip. Man kann keine Wahlen veranstalten und dem Wähler im Anschluss sagen, dass diese keine Auswirkungen haben werden. Ich halte eine solche Reform für politisch höchst fragwürdig und meiner Meinung nach auch für verfassungsrechtlich illegitim.

Ist die Kappung der Direktmandate der wesentliche Fehler des Entwurfs?

Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass diese Instrumente von den Gutachtern vorgeschlagen wurden, die die CDU/CSU selber ernannt hat. Damals hat man natürlich eher an die Partei Die Linke gedacht und nicht daran, dass einem das selber auf die Füße fallen könnte. Wenn die CSU beispielsweise alle Direktmandate in Bayern gewinnen würde, aber auf Bundesebene unter fünf Prozent bliebe, hätte sei keinen einzigen Sitz im Bundestag. Das kann man dem Wähler nicht erklären.

 

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Diese Verteilung würde aber dem Verhältniswahlrecht entsprechen?

Natürlich könnte man das so argumentieren, dass man jetzt das reine Verhältniswahlrecht einführen will. Die Direktmandate wären dann bloße Vorauswahlen, vergleichbar einer Umfrage. Aber das funktioniert nicht. Dem Bürger wird nämlich etwas anderes als eine Vorauswahl vorgespiegelt und der Wahlkampf ist auch anders ausgerichtet. Deswegen glaube ich nicht, dass man damit durchkommt.

Wie könnte die CDU/CSU diesem Problem begegnen?

Eine Listenverbindung der CDU/CSU würde das Problem lösen und wäre wahrscheinlich auch umzusetzen. Dagegen wird oft mit dem Verbot der Listenverbindung des Bundesverfassungsgerichts von 1990 argumentiert. Allerdings war diese Wahl vor dem Hintergrund der geteilten Wahlbereiche eine besondere. Es gab natürlich immer schon verfassungsrechtliche Vorbehalte dagegen, dass CDU und CSU im Bundestag als zwei Parteien, aber als eine Fraktion auftreten. Man schadet allerdings mit der aktuellen Reform zwangsläufig der gelebten Demokratie.

Können sie den Schaden genauer erklären?

Wenn man die Überhangsmandate kappt, würde in den Wahlkreisen, in denen intensiver Wahlkampf stattfindet, Wichtiges verloren gehen. Es gibt gewisse Gebiete in München oder Berlin, in denen die Wahlentscheidungen immer knapp ausfallen und dort herrscht dadurch die intensivste Form der Partizipation. In den Wahlkreisen, in denen eine Partei einen Besenstiel als Kandidaten aufstellen kann und dennoch gewählt wird, erhält sie Mandate. In den Wahlkreisen mit knappen Ergebnissen hingegen bleiben die Wahlen ohne realpolitische Auswirkungen. Das ist demokratisch höchst unbefriedigend. Denken Sie an den Swing-State Ohio in den USA, der immer knapp ausgeht und dadurch sehr belebend auf die Demokratie wirkt. Bei solchen Entscheidungen dann von einer Vorauswahl zu sprechen, verspottet die Wähler.

Ulrich Battis /dpa

Müssen wir uns nicht irgendwann doch eindeutig zwischen dem Mehrheits- und dem Verhältniswahlrecht entscheiden?

Beide Wahlformen wären rechtlich alleinstehend möglich. Ein reines Mehrheitswahlrecht wird bei uns nicht eingeführt werden, da es die kleineren Parteien wie die Grünen und die FDP schwächen und damit Koalitionspartner wegnehmen würde. Das Beispiel von Churchill, der 1945 nach gewonnenem Weltkrieg abgewählt wurde, obwohl er mehr Stimmen hatte, zeigt die Probleme des Mehrheitswahlrechts sehr deutlich.

Sehen wir dann bald ein reines Verhältniswahlrecht?

Dafür müsste man dann alle Direktkandidaten von den Wahllisten streichen. Die aktuelle Mischvariante beizubehalten wäre besser. Man muss beachten, dass die Fünf-Prozent-Klausel und die Grundmandatsklausel vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert wurden. Diese Regelungen widersprechen der Lehre des Verhältniswahlrechts eklatant, dennoch sind sie gut. Jetzt hier an der Grundmandatsklausel zu schrauben, zu diesem Preis für die Union, halte ich für problematisch.

Was würde bei reinen Verhältniswahlen noch verloren gehen?

Wahlen sind eben nicht nur ein Rechenexempel. Bei reinen Verhältniswahlen wird übersehen, dass Demokratie auch von Engagement und politischen Diskussionen lebt. Die Abgabe der Stimmen für Direktkandidaten sind eben nicht nur Umfragen, sondern sie haben einen anderen Wert, einen eigenen Wert für die Demokratie.

Wie beurteilen sie die Vehemenz, mit der die Regierung jetzt ihren Gesetzesentwurf durchbringen möchte?

Ich halte es für langfristig unklug, hier die Brechstange anzusetzen. Allerdings waren CDU und CSU bisher überhaupt nicht kompromissbereit. Sie haben versucht, ein anderes Modell, das des Grabenwahlkampfs, durchzusetzen, das sie klar begünstigt hätte. Ich habe die Hoffnung, dass sie die drastischen Folgen für die CSU beim jetzigen Vorschlag nicht erkannt haben und jetzt doch noch bereit für Verhandlungen sind.

Weswegen brauchen wir überhaupt eine Wahlrechtsreform?

Die große Anzahl an Abgeordneten ist einfach kontraproduktiv. Das Parlament in China ist nur geringfügig größer als unseres. Dabei vertreten diese deutlich über eine Milliarde Menschen. Außerdem ist der Bundestag ein Arbeits-Parlament, das nicht nur zum Abnicken da ist. In Ausschüssen mit 60 Mitgliedern kann man einfach nicht so effektiv arbeiten, wie in solchen mit 30. Die EU-Kommission ist ebenfalls viel zu groß und plötzlich mussten für alle 27 Mitglieder Aufgaben gefunden werden. Demokratische Parlamente brauchen eine überschaubare Größe und von dieser hat sich der Bundestag in den letzten Jahren weiter entfernt.

Die Fragen stelle Felix Huber.

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